Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Schule als Lebenscoaching
Unterricht Das Berufliche Schulzentrum in Neusäß hofft auf eine Anlage für Erlebnispädagogik. Was es damit auf sich hat
Neusäß Wenn Lehrer Peter Schröttle zum Unterricht in der elften Klasse der Fachoberschule in Neusäß geht, hat er eine riesige Tasche voller Seile, Rohre, Pilonen und Plastikflaschen dabei. Auf dem Stundenplan der Schüler aus dem Fachbereich Sozialwesen steht an diesem Tag das Thema Erlebnispädagogik. Die Jugendlichen sollen lernen, wie mithilfe dieser Art von bewegtem Unterricht in ihrem späteren Berufsleben viel erreicht werden kann. Es geht um das, was heute in der Wirtschaft als „Teambildung“bezeichnet wird, aber auch um Psychologie und Pädagogik.
An diesem Tag erleben die Elftklässler einmal selbst, wie solch eine Übungseinheit in Erlebnispädagogik funktionieren kann. Peter Schröttle legt jeweils zehn Schülerinnen und Schülern ein leichtes Rohr auf die Hände. Das soll nun abgelegt werden, wobei jeder Finger in jedem Moment das Rohr berühren muss. Und es passiert, was in diesem Moment zumeist geschieht: Das Rohr wandert nach oben statt nach unten, jeder hat Angst, den Kontakt zu verlieren.
Erst als Christopher und Ronja in ihren Gruppen die Führung übernehmen und einerseits Anweisungen geben, wer in der Gruppe nun das Rohr absenken müsse und dabei andererseits keinen aus der Gruppe aus den Augen lassen, klappt der Versuch. Anschließend erklärt der Lehrer seinen Schülern, was da gerade geschen ist: Nur wenn die Gruppe zusammenarbeitet, kann das gemeinsame Ziel erreicht werden. Für Alleingänge ist hier kein Platz. „Deshalb“, so erklärt Peter Schröttle, „wird diese Aufgabe auch auf von Firmen aufgegriffen, die neue Arbeitskräfte suchen: Wer nur bestimmen will und die anderen nicht im Blick hat, gilt gleich als nicht teamfähig.“
Im späteren Berufsalltag der angehenden Abiturienten, die zumindest teilweise auch in sozialen Berufen tätig werden wollen, ist die Erlebnispädagogik inzwischen ein fester Bestandteil. Sie kann Gruppen helfen, in schwierigen Situationen zueinanderzufinden, und fordert jeden Einzelnen.
Bindung und Vertrauen, in jedem Berufsalltag wichtig, werden geschult. Es geht zudem um Kommunikation, gegenseitiges Kennenlernen und Rücksichtnahme – aber auch um die eigenen Stärken.
Dabei geht es am Beruflichen Schulzentrum in Neusäß nicht nur darum, angehende Fachkräfte auf ihre Aufgaben vorzubereiten. In anderen Klassen kann solch ein Erlebnisunterricht durchaus dazu beitragen, Einzelne zu stärken. In den Klassen kommen Schüler aus ganz verschiedenen Schularten mit unterschiedlicher Vorbildung zusammen. „Jugendliche zweifeln oft an sich und denken, sie seien schlecht“, beschreibt der Pädagoge.
Bekämen sie durch eine gemeinsam gelöste Aufgabe ein positives Feedback, könne das ihre Selbsteinschätzung verändern. „Auch bei euch gibt es viele, die gar nicht wissen, was sie auf dem Kasten haben“, motiviert Peter Schröttle seine Elftklässler. Schule, das sei nicht nur die Vermittlung von Wissen, sondern auch eine Art Lebenscoaching, findet er.
Mit dem Neubau der Beruflichen Schulen, in welche die Einrichtung vor wenigen Monaten umgezogen ist, hofften die Fachkräfte für Erlebnispädagogik auf eine Art Klassenzimmer im Grünen, im besten Fall mit einem Niedrigseilgarten, Anschlusspunkten für eine Slackline und auch einer Kletterwand – das Auf- und Abbauen von mobilen Übungseinheiten hätte sich damit erledigt. Auf seiner Sitzung am heutigen Montag will der Schulausschuss des Landkreises darüber entscheiden, ob er die nötigen Anschaffung unterstützt. Die benachbarte Realschule und das Justus-von-Liebig-Gymnasium haben übrigens schon signalisiert, dass sie das Angebot gerne mitnutzen wollten. Sie sehen vor allem die unteren Klassen als Zielgruppe.
O
Termin Die Sitzung des Schul und Kulturausschusses beginnt am Montag, 12. März, um 9 Uhr im kleinen Sitzungs saal des Landratsamts.