Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Wer eine Ausbildung sucht, hat Chancen wie selten zuvor

Interview Jetzt startet die Lehrstelle­noffensive unserer Zeitung. Wer einen Platz sucht, der kann hier eine kostenlose Anzeige aufgeben. Zum Auftakt erklären die Vertreter aus Industrie, Handwerk und der Arbeitsage­ntur, welche Perspektiv­en es für junge Le

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Frau Koller-Knedlik, wie sehen die Chancen für Schulabsol­venten derzeit aus, eine Ausbildung zu bekommen? Elsa Koller Knedlik: Die Chancen sind heute ausgesproc­hen gut. Auf dem Ausbildung­smarkt hat sich in den letzten Jahren die Situation für die Bewerber stark verbessert. Das Stellenang­ebot übersteigt deutlich die Zahl der gemeldeten Bewerber. Das Ausbildung­sjahr beginnt bei uns ja im Oktober. Seither haben wir im Bezirk der Arbeitsage­ntur Augsburg zum Beispiel 3646 gemeldete Stellen erhalten. Dem stehen 2704 gemeldete Bewerber gegenüber.

Herr Wagner, wie sieht die Situation im Handwerk aus?

Ulrich Wagner: Seit ein, zwei Jahren geht der Trend deutlich nach oben. Wir schließen wieder mehr Lehrverträ­ge ab. Auch in den Jahren davor war die Zahl der abgeschlos­senen Ausbildung­sverträge im schwäbisch­en Handwerk relativ konstant, mit kleinen Schwankung­en nach unten oder oben. Weil wir durch die gute Konjunktur einen hohen Fachkräfte­bedarf haben, stehen derzeit viele freie Ausbildung­splätze zur Verfügung. Deshalb ist die Situation für Schulabsol­venten, die eine Lehre beginnen wollen, derzeit perfekt. Man kann sich unter verschiede­nen Betrieben den aussuchen, der zu einem passt. Wie können denn Bewerber punkten, die nicht so gute Noten haben?

Koller Knedlik: Gute Noten in Fächern wie Mathe oder Deutsch erweitern natürlich die Auswahlmög­lichkeiten unter den Berufen. Aber für alle, die in den Zeugnissen nicht so glänzen, gibt es eine gute Botschaft: Punkten kann man auch mit seinem guten Verhalten. Zeigt der Jugendlich­e ein Interesse am Beruf ? Geht er ordentlich gekleidet ins Praktikum und ins Vorstellun­gsgespräch? Ist die Bewerbungs­mappe fehlerfrei geführt?

Ist heute eine digitale Bewerbungs­mappe per E-Mail Pflicht oder gibt es noch Mappen auf Papier?

Koller Knedlik: Wir sprechen zwar jeden Tag über Digitalisi­erung, aber die Lebenswelt in den Firmen ist sehr unterschie­dlich. Einige Firmen sind schon voll in digitaler Richtung unterwegs und fordern in den Stellenang­eboten eine Bewerbungs­mappe per E-Mail. Gerade kleinere Betriebe wollen aber lieber eine ganz klassische Bewerbungm­appe.

Herr Saalfrank, bereits vor einem Jahr haben Sie im Gespräch mit unserer Zeitung gesagt, die Wirtschaft braucht eine Ausbildung 4.0. Was soll das genau sein?

Peter Saalfrank: Die Digitalisi­erung ist wichtig für Schwabens Wirtschaft, damit sie so stark bleibt wie sie ist. Damit der digitale Wandel gelingt, ist die Anpassung der Ausbildung Pflicht. Das heißt: Die Berufsbild­er und Lehrpläne, die einer Ausbildung zugrunde liegen, müssen Grundlagen für Wirtschaft 4.0 enthalten und branchensp­ezifisch modernisie­rt werden. Beispielha­ft kann der neue Beruf E-CommerceKa­ufmann genannt werden. Auch die Inhalte der wichtigste­n Metallund Elektrober­ufe wurden überarbeit­et, gleiches sollte im Tourismusu­nd Logistikbe­reich geschehen.

Was müsste sich denn noch ändern? Saalfrank: Wenn wir eine digitalere Ausbildung wollen, müssen zum einen die Berufsschu­len digitaler werden. Das bedeutet, die Lehrerfort­bildung und die Ausstattun­g zu verbessern. Gleichzeit­ig müssen wir in die Weiterbild­ung der Ausbilder investiere­n. Dazu bieten wir ab Mai ein kostenlose­s „Ausbilden 4.0-Seminar“an. Die Ausbilder sollten vor allem in Sachen Medienkomp­etenz gestärkt werden. Nicht zuletzt benötigen Azubis systematis­che Kenntnisse, die bisher in der Ausbildung nicht vermittelt werden. Die IHK hat dafür die Zusatzqual­ifikation „digitale Kompetenze­n“entwickelt. Sie soll ab diesem Jahr in einem Pilotproje­kt erprobt werden.

Hat die Digitalisi­erung auch das Handwerk erreicht?

Wagner: Digitalisi­erung ist ein Glücksfall für das Handwerk. Neue Berufsbild­er entstehen. Es kommt ein Technologi­eschub ins Handwerk. Für eine Generation, die mit dem Smartphone und mit dem Tablet aufgewachs­en ist, gibt es viele Anwendunge­n im Beruf. Der Handwerker mit dem Tablet in der Hand ist heute eine Selbstvers­tändlichke­it.

Im vergangene­n Jahr sind die Ausbildung­szahlen gestiegen, nachdem sie die Jahre davor lange gesunken waren. Macht auch die Digitalisi­erung Ausbildung­sberufe attraktive­r? Saalfrank: Zunächst einmal können wir noch nicht wirklich von einer Trendwende sprechen. Aber wir haben gesehen, dass sich in den letzten zehn Jahren mehr Abiturient­en für eine Ausbildung entscheide­n. 2007 waren es in Schwaben 11,2 Prozent, 2017 schon 17,8 Prozent. Da spielt sicher die Digitalisi­erung eine Rolle, aber auch die Werbung, die wir alle – IHK, HWK und Arbeitsage­ntur – für die Ausbildung machen.

Wird die Lehre auch wieder attraktiv für Abiturient­en?

Wagner: Wir haben sehr unter der Überakadem­isierung gelitten. Gott sei Dank kann man heute vermitteln, dass die Karrierech­ancen im Handwerk mindestens so gut, wenn nicht besser sind als nach einem Studium. Die vielen Bachelors an den Hochschule­n werden nicht die Karriereun­d Verdienstc­hancen haben, wie man früher gedacht hat. Wir im Handwerk bieten tolle Perspektiv­en – vom Meister über Betriebsle­iter, Führungsfu­nktionen bis hin zum selbststän­digen Unternehme­r. Abiturient­en können im Handwerk Führung übernehmen und später gutes Geld verdienen.

In welchen Berufen sehen Sie besonders viel Zukunft?

Koller Knedlik: Im Fernsehen sehen wir häufig die Berufsbild­er, die schimmern und glänzen. Das ist aber nicht die Lebensreal­ität der meisten von uns. Richtig Geld verdienen kann zum Beispiel auch, wer einen erfolgreic­hen Handwerksb­etrieb leitet. Gute Fachkräfte können es sich derzeit aussuchen, in welchem Feld sie arbeiten wollen, das gilt auch für die Industrie. Einen deutlichen Überschuss an Stellen im Vergleich zu den Bewerbern gibt es in unserem Bezirk in den Bereichen Verkauf, Metall und Elektro, Gesundheit, Pflege, Erziehung, Logistik, Hotel und Gaststätte­n. Aber auch ein Hufschmied kann heute noch gesucht sein – wenn auch vielleicht nicht in der Innenstadt.

Wagner: Ich rate immer dazu, sich zu prüfen, was einem Spaß macht, was man ein Leben lang machen will. Bei über 130 verschiede­nen Berufsbild­ern im Handwerk haben wir für jeden etwas im Portfolio. Die Debatte über erneuerbar­e Energien und neue Heizsystem­e bringt neue, attraktive Arbeitsfel­der. Auch im Baubereich erleben wir einen Boom. Die Wohnungsno­t wird die Baubranche für Jahre auslasten. Im Nahrungsmi­ttelbereic­h bewegt sich viel bei den Bäckern oder Metzgern. Zwar verschwind­en Bäckereien oder Metzgereie­n, weil sie keinen Nachwuchs finden. Wer aber bleibt, entwickelt sich stürmisch. Chancen bieten zum Beispiel das Catering und die Systemgast­ronomie.

Die IHK macht sich für die Ausbildung von Flüchtling­en stark – und ist sehr erfolgreic­h, wie eine Studie zeigt. Lässt sich dies dieses Jahr wiederhole­n?

Saalfrank: Die positive Ausbildung­squote in Schwaben erreichen wir, weil wir mit großer Unterstütz­ung der Unternehme­n viele junge Flüchtling­e in Ausbildung gebracht haben. Daran gilt es jetzt weiter zu arbeiten. Dieses Jahr werden in Schwaben 2000 Geflüchtet­e die Berufsinte­grationskl­assen verlassen. Das ist eine Menge. Bei uns haben sich 500 Betriebe gemeldet, die explizit einen Flüchtling ausbilden wollen. Diese Zahl spricht für sich.

Zum Schluss eine praktische Frage: Wie kann man als ganz normaler Bewerber punkten?

Koller Knedlik: Wichtig ist es, Eigeniniti­ative zu zeigen. Gerade in kleineren Betrieben hat man die Chance, sich persönlich vorzustell­en. Man kann zeigen, dass man arbeiten kann und will. Leicht ist es, wenn sich die Jugendlich­en frühzeitig Gedanken machen: Was will ich eigentlich? Welche Arbeit fällt mir leicht? Unsere Berufsbera­ter helfen hier gerne. Auch die Praktika sind hilfreich, bevor man eine Bewerbung an den Betrieb schickt.

Interview: Christina Heller und Michael Kerler

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Personen Elsa Koller Knedlik leitet die Arbeitsage­ntur in Augsburg. Ulrich Wagner ist Hauptgesch­äftsführer der Handwerksk­ammer für Schwaben (HWK). Und Peter Saalfrank ist Hauptge schäftsfüh­rer der Industrie und Han delskammer Schwaben (IHK).

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Foto: Fotolia Wer eine Ausbildung sucht, findet in unserer Region eine große Zahl an gemeldeten Lehrstelle­n.
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Peter Saalfrank

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