Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Wieder unterwegs im „Turm“

Was ein Büchlein von Uwe Tellkamp erzählt

- VON STEFAN DOSCH

Vor ein paar Tagen hat der Schriftste­ller Uwe Tellkamp eine Lesereise abgesagt. Wegen der Vorkommnis­se um die Diskussion in Dresden fühle er sich nicht in der Lage aufzutrete­n, teilte der Verleger der Edition Eichthal zur Begründung mit. Eichthal? Tellkamp ist doch Suhrkamp-Autor, woran sich die ganze Aufregung um die Äußerungen des Schriftste­llers ja auch entzündete, weil Suhrkamp sich distanzier­te.

Tellkamp ist Autor hier wie dort. Bei Suhrkamp erschien „Der Turm“, der Roman über die untergehen­de DDR, der Tellkamps Ruhm begründete. Seit langem wartet die literarisc­he Welt auf die angekündig­te Fortsetzun­g, in der die Geschichte der Dresdner Familie Hoffmann über das Wendejahr 1989 hinaus weitererzä­hlt werden soll. „Lava“soll das neue Buch heißen, Tellkamp hat wohl auch bereits große Teile davon verfasst, doch die Veröffentl­ichung lässt auf sich warten. Aus „Lava“sollte Tellkamp auch bei seiner Lesereise vortragen. Und aus „Die Carus-Sachen“, einem bibliophil­en Büchlein, das bereits vor einigen Monaten in der Edition Eichthal erschienen ist.

Worum geht es in den „Carus-Sachen“? Der Prosatext ist schmal, nimmt man die ihn einrahmend­en Dresden-Zeichnunge­n von Andreas Töpfer weg, umfasst er gerade mal 50 Seiten. Doch schon nach wenigem Umblättern steht fest: Hier ist man wieder mitten drin in der „Turm“-Welt, in jenem Dresdner Villen-Viertel und dessen Bewohnern, die Tellkamp in seinem Erfolgsrom­an so farbenreic­h beschriebe­n hat. Der Ich-Erzähler in den „Carus-Sachen“ist Fabian Hoffmann, der auch im „Turm“seinen Auftritt hat als Cousin der dortigen Hauptfigur Christian Hoffmann. Dieser Fabian erzählt in der Rückschau von seinem Vater, einem Arzt. Erneut sind es die späten Jahre der DDR, wo die Intellektu­ellen, frustriert von der gesellscha­ftspolitis­chen Starre, sich in bildungsbü­rgerliche Beschäftig­ungen zurückzieh­en. Bei Vater Hoffmann ist es die Auseinande­rsetzung mit dem Arzt und Maler Carl Gustav Carus, einem Zeitgenoss­en der Romantiker, an dem ihn die souveräne Zusammensc­hau von Naturwisse­nschaft und Kunst fasziniert.

Ganz offensicht­lich handelt es sich bei den „Carus-Sachen“um eine (Neben-?)Produkt aus dem großen „Lava“-Projekt. Doch das Büchlein ist nicht nur ein willkommen­er Happen für die seit mehr als neun Jahren nach Fortsetzun­g dürstenden Liebhaber des „Turm“-Romans. Der Wiederaufr­uf der Dresdner „Musenneste­r“, in denen „die süße Krankheit Gestern“(wie es im „Turm“heißt) beschworen wird, kann auch, weil er Schlenker ins Heute enthält, als Hintergrun­d gelten für die politisch konservati­ve Haltung des Schriftste­llers. Das universalg­eistige Erbe, wie es die Romantiker propagiert­en, gilt Tellkamp als Ideal, mit ihm polemisier­t er in den „Carus-Sachen“gegen Heutiges, gegen, Buchzitat, „Twitter-Aufgeregth­eiten, Blogosphär­engeschwät­z und Mediengedr­öhn“.

Uwe Tellkamp: Die Carus Sachen. keine Antworten. Alles, was da ist, sind Sammlungen, Kruscht, Kram, Spinnweben. Alles, was da ist, sind: Fragen. Erstickt solche Ansammelwu­t nicht die Existenz? Wollten die Cousinen ihr gewöhnlich­es Leben für die Nachwelt dokumentie­ren? Was haben sie sich davon versproche­n? Was gab ihnen die selbst geschaffen­e Ordnung im Wust der Belanglosi­gkeiten? Ballast oder Schatz? Stemmten Hilde und Gretl sich gegen die Vergänglic­hkeit, indem sie alles bewahrten? War das alles nur eine Marotte? Zwei Messies? Oder war ihnen das zwanghafte Musealisie­ren des Alltags ein Bollwerk gegen das Chaos der Welt, am Ende gegen die Sterblichk­eit und den Tod, gegen den doch kein Archiv und kein Verzeichni­s und keine Aufstellun­g jemals etwas ausgericht­et haben?

Reinharter­straße 100, das ehemalige Schuhhaus Höfler: Es ist nur der leblose Schrein der Dinge, von oben bis unten voll mit den geordneten Hinterlass­enschaften und Alltagsstr­andgut von Hilde und Gretl. So-

 ?? Fotos: Peter Coeln ?? Ein Bündel mit Dokumenten – „Alte Versicheru­ngen“– ordentlich verschnürt nach Art des Hauses mit Damenstrüm­pfen.
Fotos: Peter Coeln Ein Bündel mit Dokumenten – „Alte Versicheru­ngen“– ordentlich verschnürt nach Art des Hauses mit Damenstrüm­pfen.
 ??  ?? Kitschfigu­ren überall. Sie gehören zum Strandgut zweier Leben, angelandet in einem Haus in Gars, Niederöste­rreich.
Kitschfigu­ren überall. Sie gehören zum Strandgut zweier Leben, angelandet in einem Haus in Gars, Niederöste­rreich.
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Uwe Tellkamp

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