Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Jugend in der Wendezeit

Interview Manja Präkels beschreibt in ihrem Buch „Als ich mit Hitler Schnapskir­schen aß“, wie soziale und pubertäre Katastroph­en zusammen fallen – und wie daraus rechtsradi­kale Gewalt entsteht

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Frau Präkels, in Ihrem Buch „Als ich mit Hitler Schnapskir­schen aß“beschreibe­n Sie eine Jugend vor und nach der Wende in der DDR. Verbunden damit erzählen Sie vom Erstarken rechtsradi­kaler Kräfte am Beispiel der Kleinstadt Zehdenick. Gab es für Sie einen konkreten Anlass, darüber nachzudenk­en und das Buch zu schreiben? Manja Präkels: Ich stamme selbst aus Zehdenick, bin 1992 Zeugin eines Überfalls von rechten Schlägern auf eine Diskothek geworden. Das gab es damals sehr oft, dass Jugendlich­e, die bei der rechten Uniformier­ung nicht mitmachten, die anders waren, sich nicht anpassten, und zu denen auch ich gehörte, gezielt von Nazibanden überfallen wurden. Ein Bekannter von mir ist damals totgetrete­n worden. Leider wurde dieser Mord nie vollständi­g aufgeklärt. Umso wichtiger war es mir, das literarisc­h zu verarbeite­n und ihm das Buch zu widmen.

Zehn Jahre lang haben Sie an diesem Buch gearbeitet. Warum haben Sie so lange gebraucht, es zu schreiben? Präkels: Ich berichte ja letztlich von einem Trauma, einer verdrängte­n kollektive­n Erfahrung, nämlich den radikalen Umwälzunge­n, die einherging­en mit dem Systemzusa­mmenbruch der DDR. Das mache ich fest an den jugendlich­en Protagonis­ten, die gleichzeit­ig mit dem Zusam- des Systems Kindheit zu tun haben. Meine Romanfigur­en erleben also einen doppelten Systemausf­all, den gesellscha­ftlichen und den persönlich­en. Es war aber nicht nur eine Zeit der sozialen und pubertären Katastroph­en, sondern auch massiver Gewalterfa­hrungen auf den Straßen, geprägt durch die Nazischläg­ertrupps, die man heute fälschlich­er Weise nur noch mit Orten wie Rostock oder Hoyerswerd­a verbindet. Für diese Rasanz der Entwicklun­g, die in ganz kurzer Zeit die komplette Welt verschob, einen adäquaten Ausdruck zu finden, fiel mir schwer. Ich glaube aber auch, dass ich deshalb so viel Zeit gebraucht habe, weil ich selbst Beteiligte war. Für einige Schlüssels­zenen des Buchs brauchte ich diesen Abstand von zehn Jahren.

Sie haben die Form des Romans gewählt, den Sie in einer teils dokumentar­ischen Form, aber auch in einer sehr poetischen Sprache gestalten. War das für Sie eine Möglichkei­t der Distanzier­ung von den Ereignisse­n, die Sie miterlebt haben?

Präkels: Unbedingt. Denn die Kunst erweitert die Möglichkei­ten des Ausdrucks und des Erfahrbarm­achens. Ich bin ja auch Journalist­in, aber ich habe gemerkt, dass es dabei einfach Grenzen gibt und dass das Faktische allein nicht ausreicht, um bestimmte Dinge aufzuzeige­n. Einen Roman zu schreiben hieß, dass ich subjektiv vorgehen und die verschiede­nen Figuren in ihrer Ambivalenz darstellen und deutlich machen kann, dass eben nicht alles schwarz und weiß war. Ein rassistisc­her Mörder kann ja auch in seinem persönlich­en Drama dargestell­t werden. Außerdem wollte ich Gefühle und Atmosphäre einfließen lassen. Um die ganze Vielfalt an Positionen zu zeigen, ist der Roman die perfekte Form.

Wie kam es innerhalb des Auflösungs­prozesses der DDR zum Erstarken der Rechten?

Präkels: Zunächst gab es Rechtsextr­emismus bereits zu Zeiten der DDR. Es gab eine breit aufgestell­te Szene an bestimmten Orten wie Sachsen und Thüringen oder rund um Berlin. Es gab auch Alltagsras­menbruch sismus, der aber nicht so nicht benannt wurde. Aber der hat sich durch die geringe Welterfahr­ung, durch das Eingemauer­tsein manifestie­rt, ganz anders als in der westdeutsc­hen Gesellscha­ft, wo die Möglichkei­t der Erfahrung miteinande­r z.B. durch die sogenannte­n Gastarbeit­er viel größer war. Da gab es – auch erst nach Kämpfen – eine andere Selbstvers­tändlichke­it. Und was dazu kommt: Direkt nach dem Mauerfall waren die Nazis die ersten, die eine Struktur aufgebaut haben, durch geschulte Rechtsextr­eme, die aus dem Westen kamen.

In ihrem Buch bringen Sie das Erstarken der Rechtsradi­kalen mit dem Auflösungs­prozess der DDR in Verbindung. Hat die Deutsche Einheit die Rechtsradi­kalisierun­g befördert? Präkels: Die deutsche Einheit hat ein Vakuum in den Köpfen hinterlass­en. Die natürliche­n Autoritäte­n wie Eltern oder Lehrer sind im ersten Moment wie tot gewesen. Sie waren für die Kinder nicht mehr erreichbar und tatsächlic­h auch erstarrt. Man musste sich komplett neu orientiere­n. Die Jungen Leute mussten erfahren, dass vieles, was für sie gestern noch Normalität war, auf Lügen basierte, und genau da knallten die rechten Ideen hinein. Diese Unsicherhe­it und letztlich auch Wut, die in der Luft war, das Unausgespr­ochene der letzten lethargisc­hen DDR-Jahre, dass den Menschen der Boden unter den Füßen weggezogen wurde – all das spielte dabei eine Rolle.

Sie haben das Kranichste­iner Jugendlite­ratur-Stipendium gewonnen und sind auch für den Deutschen Jugendlite­raturpreis nominiert. Hat Sie überrascht, dass Ihr Roman als Jugendbuch gewertet wird?

Präkels: Erst einmal schon, aber dann habe ich gesehen, dass es eine Erweiterun­g ist. Am Tag, nachdem ich von dem Stipendium erfahren hatte, habe ich vor einer Schulklass­e gelesen und da erschien es mir ganz natürlich, dass auch Jugendlich­e mein Publikum sind. Schließlic­h geht es um eine pubertäre Entwicklun­g, aber eben in einem bestimmten gesellscha­ftlichen Kontext.

Interview: Birgit Müller-Bardorff

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