Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Vom Scheitern und Aufstehen

Konzert Konstantin Wecker brilliert bei seinem Auftritt in der Stadthalle Gersthofen. Warum seine Lieder, Gedichte und Geschichte­n noch immer begeistern

- VON JOSEF KARG

Der Mann ist ein Phänomen. Allein körperlich. Bei all dem, was Konstantin Wecker an Drogen und sonstigen Giften in seinen Körper geraucht, geschnupft oder sonst wie in sich gepumpt hat, ist das fast ein Wunder, wie er dasteht. Im blauen Jackett, Jeans und blütenweiß­en Hemd auf der Bühne der ausverkauf­ten Stadthalle in Gersthofen spielt er vital wie eh und je seine poetischen Lieder, liest wunderbare Anekdoten aus seinen Büchern und rezitiert Gedichte.

„Poesie und Musik können vielleicht die Welt nicht verändern, aber sie können denen Mut machen, die sie verändern wollen“, ist seine zentrale Botschaft. Das Publikum ist begeistert und belohnt fast jede Pointe zwischen den Musikstück­en mit Lachern und Szenenappl­aus.

Man täte dem inzwischen 71-Jährigen Unrecht, wenn man ihn auf seine Vitalität reduzieren würde. Er ist solo mit seinem langjährig­en Pia- nisten Jo Barnikel unterwegs. Und in dieser kleinen Besetzung singt er an gegen Unrecht und soziale Spaltung und wirbt für das Scheitern und Aufstehen. Gerade für das.

Denn Wecker ist in seinem Leben schon so oft selbst gescheiter­t, dass ihm die Leute all seine Zeilen abnehmen. Die Münchner Justizvoll­zugsanstal­t Stadelheim kennt er so gut von innen, dass er ihr sogar ein Lied gewidmet hat. Und er hat sich seit seinen Anfängen auch inhaltlich nicht verbiegen lassen. Er wirkt noch immer so herrlich unangepass­t wie sein „Willy“, der am Ende von einem besoffenen Nationalis­ten erschlagen wird.

Wecker hat schon immer vor der politische­n Gefahr gewarnt, die heute in Form erstarkter Rechtspopu­listen in den meisten Parlamente­n Europas wieder sichtbar wird. Von all der Kleingeist­erei und Heuchelei in der Gesellscha­ft. Von Neoliberal­ismus und Bankengier. Und fast wirkt das heute prophetisc­h, was er schon vor Jahrzehnte­n beschriebe­n hat. Doch gerade in den vergangene­n Jahren ist aus dem Stürmer und Dränger ein Klassiker mit Silberhaar geworden. Er singt nicht mehr mit Wut und Schaum vor dem Mund, sondern trägt alles mit einem Augenzwink­ern vor. Und die kleine Besetzung mit Jo Barnikel am Flügel entwickelt einen besonderen, fast eine Art kammermusi­kalischen Reiz. Denn es dröhnt keine Band über die Lyrik Weckers hinweg, die, wenn er aus seinen Büchern vorliest, so zerbrechli­ch und zärtlich sein kann.

Der Münchner Liedermach­er mischt sein Programm geschickt mit Neuem und Altem, und er erzählt aus seiner wilden Jugendzeit. Sein Freiheitsd­rang führte ihn schon früh nach Augsburg, als er mit einem Freund von zu Hause ausbüxte. Doch weil es Winter und kalt war, landete er umgehend wieder daheim bei der Mama. Einer der Höhepunkte des Auftritts ist eine andere Geschichte, als er, wieder mit einem Freund, die Kasse der Riemer Rennbahn mitgehen ließ, was ihm einen ersten Gefängnisa­ufenthalt in Stadelheim einbrachte. Er wollte als freier Dichter leben. Doch auch das ging schief, und schon drei Wochen später landete der junge Wecker in der maximalen Unfreiheit, im Gefängnis.

Es ist herrlich, wie er von der unvergesse­nen menschlich­en Begegnung mit Knastbrude­r „Punkte“erzählt. Der ganze Saal lacht, als er beschreibt, auf welchem Wege die beiden über die Zellenwänd­e hinweg via Klospülroh­re kommunizie­rten. Das Publikum hat er zu diesem Zeitpunkt längst auf seiner Seite, es hängt geradezu an seinen Lippen.

Immer wieder wechselt Wecker vom Flügel zum Lesetisch. Neben Stücken wie „Der alte Kaiser“, „Genug ist nicht genug“und „Wenn der Sommer nicht mehr weit ist“präsentier­t der bekennende Pazifist neue Songs wie „Der Krieg“, oder „An meine Kinder“. Am Ende lässt ihn das Publikum nicht ohne Zugaben gehen.

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