Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Warum Verdi den Intendanten in seine Träume verfolgt
Premiere André Bücker inszeniert „La forza del destino“. Seit anderthalb Jahren beschäftigt er sich mit dieser Oper
Diese Musik geht dem Intendanten des Theater Augsburg so schnell nicht mehr aus dem Kopf. Seit anderthalb Jahren beschäftigt sich André Bücker mit Verdis Oper „La forza del destino“. Zu Hause hat er fünf oder sechs verschiedene Einspielungen, auf Reisen begleitete ihn der Klavierauszug – und jetzt, in der letzten Probenwoche der Inszenierung, ist die Musik allgegenwärtig. Tagsüber auf der Bühne, aber auch nachts in den Träumen. „Das wird auch noch länger so bleiben“, sagt Bücker.
Gerade befindet sich der Intendant in der Phase einer Inszenierung, in der der Blick nicht mehr nach rechts und nach links geht, sondern nur noch auf die aktuelle Produktion gerichtet ist. Dementsprechend überrascht war er, als die Welt außerhalb des Theaters den Probenplan durcheinanderwirbelte. Die Gewerkschaft Verdi rief am Dienstag auch die Mitarbeiter des Theaters zu einem Warnstreik auf. „Zum Glück konnten wir kurzfristig umplanen“, sagt Bücker. Anstelle der Beleuchtungsprobe setzte er eine Probe mit Orchester, Sängern und Kostümen an.
Eine Unterbrechung – aber keine, die sich schicksalhaft ausgewirkt hat. Anders also als der Stoff, mit dem sich Bücker auseinandersetzt. Da gibt es ein Liebespaar, das fliehen will, weil Leonoras Liebe vom Vater nicht geduldet wird. Aber während sich das Paar nicht entschließen kann, wegzurennen, wird es vom Vater überrascht. Eine Pistole wird gezückt, dann weggeworfen, dabei löst sich ein Schuss. Der Vater stirbt. Das Paar flieht, verliert sich, es wird verfolgt. Beide suchen eine andere Identität, verstecken sich, werden gefunden. „Diese Geschichte ist wild, es geht um Rache – mir kommt die Handlung wie ein hard-boiled Krimi vor“, sagt Bücker. Das Schlüsselmoment für die Verwicklungen sieht er nicht in dem Schuss, sondern zuvor in dem Zaudern Donna Leonaras, die sich nicht dazu durchringen kann, gleich zu fliehen. Sie will noch einen Tag warten, aber da ist alles schon zu spät. „Das ist für mich der Wendepunkt von allem.“
Dementsprechend rückt bei Bücker auch Donna Leonora ins Zentrum. Gespielt und gesungen wird sie von Sally du Randt. „Sie macht das toll, ist eine großartige Künstlerin.“Es sei eine Freude, mit ihr zusammenzuarbeiten, sagt Bücker. Durch die Inszenierung lernt er sein Opernensemble und den Chor noch einmal über die tägliche Zusammenarbeit an einer Inszenierung auf neue Weise kennen. Das Engagement, auch die Lust am Spiel, die er dort vorfinde, seien für ihn eine große Freude.
Über seinen Zugriff und seine Ideen möchte Bücker nicht zu viel verraten: „Sonst achten die Zuschauer nur darauf. Das verengt den Blick“, findet er. Ein bisschen lässt er doch durchblicken, etwa, dass die Handlung in Donna Leonoras Zimmer spielt. Auch, dass er Szenen im Stück umgestellt hat, nicht, um ihnen eine neue Bedeutung zu geben, sondern um die dramaturgische Stringenz zu steigern.
Hauptsächlich hat er sich bei der Arbeit auf Verdis zweite Fassung gestützt, die Mailänder Fassung, das Ende der ersten – Petersburger – Fassung habe ihm allerdings besser gefallen, sodass es da einen Mix gibt. In dieser Version bringt sich Don Alvaro, der Geliebte von Leonora, am Ende um. „Ich finde diesen Schluss konsequenter, stringenter – und auch lapidarer.“Aber: Einen kleinen Funken Hoffnung wird es auch am Samstag zum Ende der dreistündigen Inszenierung geben. „Da kommt es auf die Zuschauer an, was sie sehen wollen.“