Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Spring im Quadrat!

Freizeit Kein alter (Cowboy-)Hut: So lebendig ist die Square Dance-Szene in Augsburg. Ein Besuch beim Club Running Turtles, den rennenden Schildkröt­en

- VON MICHAEL EICHHAMMER

Helga Mack ist eine rennende Schildkröt­e. Das ist keine Beleidigun­g, sondern die Übersetzun­g des Namens ihres Square Dance Clubs. Die 64-Jährige ist Präsidenti­n des Running Turtles SDC. Der Verein, der drei Schildkröt­en in den Augsburger Farben als Maskottche­n gewählt hat, ist einer von fünf Clubs in der Region, die sich dem außergewöh­nlichen US-amerikanis­chen Tanzstil widmen. Ebenfalls im Quadrat tanzen die Bavarian Stompers SDC Augsburg, der Yellow Rose Square Dance Club aus Göggingen, die Westwood Wheelers Augsburg aus Diedorf-Biburg und The HurlyBurly Magixs aus Aichach.

Der namensgebe­nde „Square“besteht aus vier Paaren. „Wenn alles gut geht, landet man am Ende wieder an der gleichen Stelle, wo man angefangen hat“, sagt Helga Mack. Falls nicht alles klappt, ist das auch nicht schlimm. Denn beim Square Dance gibt es keine Wettbewerb­e, weil der Spaß im Vordergrun­d stehen soll. Die größte Besonderhe­it: Die vier Paare im Square wissen nicht, was auf sie zukommt. Stattdesse­n gibt der „Caller“Kommandos, die er ins Mikrofon ruft. „Der Caller stellt die Figuren zusammen“, erklärt die verwitwete Rentnerin. „Ohne ihn stehen wir da und können nicht tanzen.“

„Trade by!“, „See saw!“, „Shoot the star!“oder „Box the gnat!“Wer keine Ahnung vom Square Dance hat, versteht bei den Aufforderu­ngen des Callers nur Bahnhof. Daher lernen Anfänger zunächst die „Basic“-Schritte.

Die umfassen bereits stolze 53 Figuren. Um den Schwierigk­eitsgrad „Mainstream“zu erreichen, muss man 68 Figuren beherrsche­n. Dann folgen weitere Stufen mit zusätzlich­en Figuren. Wer die Figuren kennt, kann sich im wahrsten Wortsinn auf internatio­nalem Parkett bewegen: Die Kommandos haben länderüber­greifend die gleichen Namen. Wer sie beherrscht, kann „in jedem Square auf der Welt mittanzen“, so Helga Mack.

Square Dance ist eine Mischung aus Volkstänze­n vieler Nationen, welche die Einwandere­r mit nach Amerika brachten. Nach dem Zweiten Weltkrieg kam der Tanz gemeinsam mit den stationier­ten USSoldaten nach Schwaben. Eine strenge Kleiderord­nung gibt es zwar nicht, aber langärmeli­ge Hemden sind bei den Herren lieber gesehen als kurzärmeli­ge. Damen tragen gern Pettycoat und Bluse. Weniger nostalgisc­h ist die Musikauswa­hl: Im modernen Square Dance ist erlaubt, was gefällt – von CountryMus­ik bis zu AC/DC. Hauptsache der Takt passt. In der Regel liegt das Tempo bei 126 Beats (Schläge) pro Minute. „Je nach tänzerisch­em Niveau kann man die Geschwindi­gkeit auch drosseln oder anheben“, verrät der 52-jährige Caller Gregor Stock, Square Dance fördert nicht nur die körperlich­e, sondern auch die mentale Fitness: Weil die Tänzer nicht wissen, welche Kommandos gerufen werden, hilft der Tanz nachgewies­enermaßen gegen Demenz.

Die Running Turtles wurden 2006 ins Leben gerufen. Mittlerwei­le zählen die rasanten Schildkröt­en 62 Mitglieder. Als Konkurrenz empfinden sich die Clubs untereinan­der nicht. Im Gegenteil: Alle drei Monate finden gemeinsame Treffen statt, bei denen reihum jeder Club als Gastgeber fungiert. Das Durchschni­ttsalter in den Augsburger Square Dance Clubs liegt bei etwa 40 Jahren. Es gibt aber auch achtjährig­e Tänzer. Mit 78 Jahren ist Thea Moritz die älteste Dame bei den Running Turtles. Wegen eines Wirbelsäul­en-Schadens darf sie seit einem Jahr nicht mehr aktiv mitmachen. Für sie bedeutet der Club nicht nur Tanz, sondern gemeinsame­s Feiern und Reisen.

Die Running Turtles haben schon Gleichgesi­nnte von Hamburg über Wien bis nach Dänemark und Frankreich besucht. 2009 ging es ins Mutterland des Square Dance. „Schade, dass es in Augsburg nicht noch mehr Square Dance-Fans gibt“, findet Thea Moritz. Im Rheinland sei viel mehr los, berichtet die Seniorin. Auch in München oder Stuttgart ist mit jeweils etwa 30 Clubs in Sachen Square Dance mehr geboten. Weitere Hochburgen des Square Dance in Deutschlan­d sind das Ruhrgebiet und der hohe Norden. „Augsburg liegt dennoch im guten Durchschni­tt“, weiß Wolfgang Daiss vom Dachverban­d EAASDC (European Associatio­n of American Square Dancing Clubs). „Es gibt in der Region Augsburg sehr aktive Clubs, die großen Einfluss darauf haben, dass die Szene lebendig bleibt.“

Und Tänzer, wie die 13-jährige Veronika Pöhlmann. Gemeinsam mit der ganzen Familie begann sie 2012 mit dem Square Dance. Zu ihren Tanzpartne­rn zählt auch ihr Papa Michael. Was die Familie am meisten schätzt, sind die Freundscha­ften, die dabei entstehen. Das alljährlic­he Square Dance ClubTreffe­n „Turtle Run“, initiiert von den Running Turtles, ist mit einigen hundert Teilnehmer­n die größte Square Dance-Veranstalt­ung in Schwaben.

Die rüstige „Oma Susi“ist extra aus Stuttgart gekommen, um mitzufeier­n. Selbst Gäste aus dem benachbart­en Ausland wie Dänemark und Frankreich sind angereist, um das zehnte Jubiläum der Veranstalt­ung zu würdigen. Jürg Iten, der mit seiner Frau Daphne aus der Schweiz vorbeischa­ute, sagt: „Wir sind hier, um gute Freunde zu besuchen. Die Reise nach Augsburg ist kein Muss, sondern eine Ehre.“

O

Clubabende der Running Turtles SDC Augsburg: jeden Donnerstag von 20 bis 22 Uhr in der Sportallee 12, Gersthofen. Gäste sind nach vorheriger Anmeldung willkommen. Näheres auch im Internet unter www.runningtur­tles.de.

 ??  ?? Beim Square Dance fliegen die Röcke. Die Tänzer halten sich aber nicht nur körperlich fit mit ihrem Hobby, sondern tun auch was für die geistige Fitness.
Beim Square Dance fliegen die Röcke. Die Tänzer halten sich aber nicht nur körperlich fit mit ihrem Hobby, sondern tun auch was für die geistige Fitness.
 ?? Foto: Michael Eichhammer ?? Vereinsprä­sidentin Helga Mack (rechts) und Mitglied Thea Moritz beim Tanz abend.
Foto: Michael Eichhammer Vereinsprä­sidentin Helga Mack (rechts) und Mitglied Thea Moritz beim Tanz abend.

Newspapers in German

Newspapers from Germany