Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Stumme Bilder unter Starkstrom
Philharmoniker begleiten einen Film
Wie die Bilder des Films durch Musik im Ausdruck potenziert werden können, ist faszinierend. Erst recht, wenn es um den Stummfilm geht – und um Live-Begleitung. So luden die Augsburger Philharmoniker Carl Theodor Dreyers Klassiker „Die Passion der Jungfrau von Orléans“(1928), stumme Bilder des Leidens, mit musikalischem Starkstrom auf. Ivan Demidov dirigierte im Martinipark die Musik von Tönu Körvits (*1969).
Der Däne Carl Theodor Dreyer (1889 – 1968) gilt, mit F. W. Murnau und Fritz Lang, als einer der prägenden Giganten des Stummfilms. Das Schicksal seiner „Jeanne d’Arc“ist dramatisch. Brände (!) vernichteten das Original. Später wurde eine gut erhaltene Kopie gefunden, das Werk konnte restauriert werden. Dreyer, der die skandinavisch-grübelnden Bild- und Sinnvisionen eines Ingmar Bergmann beeinflusst hat, ging es nicht um die dokumentierten Abläufe, vielmehr ist das der Passion Christi nachempfundene Gerichtsverfahren auf einen Tag verdichtet – als expressives Monument menschlicher Abgründe. Wie sich Schrecken und Glaubensgewissheit, Verzweiflung und Stärke in Großaufnahme auf dem Gesicht von Maria Falconetti abspielen, erscheint wie eine Bühne, ebenso die geifernden, auch differenzierten Antlitze der geistlichen Ankläger, irritiert von dem Mädchen in Männerkleidung. Da kommt tiefenpsychologische, mit sexuellen Untertönen aufgeladene Doppelbödigkeit zum Ausdruck – ein präzis sezierter Aspekt.
Körvits’ Musik hat geschmeidiges Raffinement. Sie deckt nicht das stumme Gebaren zu, sondern transportiert mit leise lauernden Tönen den Horror, wenn Flageoletts flirren, Holzblöcke knacken, Klavier karg präludiert, Streicher und Bläser in perfekter Ökonomie anschwellen – sie lässt Dreyers Bilder wirken. Wie Ivan Demidov, mit Monitor am Pult den Film verfolgend, und die Philharmoniker dies gestalteten, war ein bewundernswertes musikalisches Ereignis.