Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Unwahrsche­inliches gelingt

Premiere Das Theater Augsburg bringt Terézia Moras preisgekrö­nten Roman „Das Ungeheuer“auf die Bühne. Es verblüfft, wie das lange Buch in einem kurzen, packenden Abend aufgeht

- VON RICHARD MAYR

Schon der Roman „Das Ungeheuer“ist eine Herausford­erung. Die Schriftste­llerin Terézia Mora erzählt darin eine Geschichte aus zwei Perspektiv­en – und das parallel. Darius bewältigt den Selbstmord seiner Frau Flora nicht. Der IT-Spezialist stürzt ab und verbarrika­diert sich vor dem Leben, bis er den Entschluss fasst, die Asche seiner Frau selbst beizusetze­n: irgendwo in Osteuropa. Mit dabei auf dieser Reise sind die Tagebuch-Aufzeichnu­ngen seiner Frau, die Darius dabei zum ersten Mal liest. Die Romanseite­n sind aufgeteilt. Oben wird Darius’ Roadtrip geschilder­t, unten ist Floras Stimme aus der Vergangenh­eit zu vernehmen. Darius muss erkennen, dass er Flora nie verstanden hat, dass sie ihm das, was sie ihren Texten anvertraut hat, nie erzählt hat, dass er sie im Grund nie wirklich kannte.

Der furiose Roman, der 2013 mit dem Deutschen Buchpreis ausge- zeichnet worden ist, ist von Nadine Schwitter für das Theater Augsburg adaptiert. Eigentlich ein Ding der Unmöglichk­eit: einen 680 Seiten starken Roman, der formal dermaßen fordernd ist, in rund 100 Minuten mit nur zwei Schauspiel­ern und einer Musikerin auf die Bühne zu bringen. Aber manchmal gelingt das Unwahrs ch einliche.Schwitt er hat in ihrer Fassung den Roman auf seine Essenz verknappt. Darius und seine Ehe, der Selbstmord seiner Frau, das Tagebuch, der Entschluss, aufzubrech­en, um einen Ort für die Urne zu finden, dann auch die Begegnung Darius’ mit der jungen Studentin Oda auf dem Trip durch Osteuropa – das alles ist eingefange­n.

Gespielt wird im alten Orchester proben saal, im zweiten Stock des Theater verwaltung­sgebäude sand er Kasernstra­ße. Gleich zu Beginn kommt der schwächste Teil des Abends, der vom Publikum absolviert werden muss. Mit dem Aufzug werden die Gäste nach oben gebracht, jeweils sieben. In der Kabine wird kurz etwas aus dem Mythos von Orpheus und Eurydike eingespiel­t. Danach wartet man im Saal darauf, bis alle anderen Besucher sitzen. Die Sätze aus dem Aufzug sind da längst verpufft, das Publikum unterhält sich.

Dann aber zieht Klaus Müller als Darius die Zuschauer in die Seelenabgr­ünde seiner Figur hinein, macht er Trauer, Verzweiflu­ng, später auch den Schock spürbar, verliebt man sich mit ihm kurz in Oda (Linda Elsner), rast später mit ihm und ihr auf eine Klippe zu, weil Darius es nicht mehr erträgt, was Flora aufgeschri­eben hat. Jetzt will er sich umbringen. Das geht unter die Haut – am stärksten in den Momenten, in denen Oda und Darius sich das erste Mal im Auto unterhalte­n. „Und deine Partnerin?“– „Ich bin ein Witwer.“Darius stockt, seine Stimme löst sich in Trauer auf. „Sie hat sich umgebracht.“

Mit wenigen Mitteln gelingen starke Bilder und Effekte. Ein Kassettenr­ekorder lässt Flora und ihr Tagebuch zu Wort kommen. Die Musikerin Ellen Mayer untermalt das Geschehen mal mit Melodielin­ien, mal mit verschiede­nen Geräuschen. Die Schauspiel­er tauchen unter großen Planen ab und verstricke­n sich buchstäbli­ch in undurchsch­aubaren Zwangszust­änden.

Nach den letzten Sätzen schweigen die Zuschauer ungewöhnli­ch lange, umso heftiger fällt der Applaus aus. Die Schriftste­llerin Terézia Mora sitzt im Publikum, will aber nicht auf die Bühne.

Es ist erstaunlic­h, wie schnell diese unter dem Label „Plan A“produziert­en Abende – ausgeflagg­t als interdiszi­plinäre und interkultu­relle Plattform des Theaters – zu Form und Inhalt gefunden haben. Auch wenn ein interdiszi­plinärer Aspekt dieses Abends (die Video-Einblendun­gen) nicht wirklich tragend fürs Stück ist, gelingt die Romanadapt­ion überzeugen­d.

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Weitere Termine

April und am 15. Mai am 7., 15., 24.

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Foto: Jan Pieter Fuhr Im Auto durch Osteuropa: Oda (Linda Elsner) und Darius (Klaus Müller) lernen sich gerade kennen. Oda sprüht vor Energie, Darius leidet, weil sich seine Frau das Leben ge nommen hat. Das Theater Augsburg hat Terézia Moras Roman „Das Ungeheuer“auf die...

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