Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Mein fabelhafte­s Gartenjahr

Titel Thema Gärtnern liegt im Trend. Unsere Autorin hat es ausprobier­t und vergangene­n Sommer ein Stück Acker am Stadtrand von Friedberg bewirtscha­ftet. Ein ganz persönlich­er Rückblick auf treulose Tomaten, Kürbisdieb­e und die große Freude, k. o. zu sein

- VON UTE KROGULL

Friedberg Da waren sie wieder, die verschwöre­rischen Blicke, die ungefragte Frage. Kollegen und Bekannte dachten wohl so manches Mal im vergangene­n Sommer, ich hätte einen neuen Freund. Immer wenn ich sagte „Nachher gehe ich noch zu Arthur und …“Und danach in den See zum Baden. Und danach koche ich was Schönes. Alle freuten sich mit mir. Arthur aber war gar kein Mensch. Er war mein Ackergarte­n – und doch meine große Liebe. Eine Sommerlieb­e, mit allen Höhen und Tiefen. Arthur und ich, wir hatten zusammen Angst vor Kartoffelk­äfern, wir machten uns Sorgen um die Roten Bete wie um kleine Kinder. Wir freuten uns über den wunderbare­n Salat, über jede Tomate, waren stolz auf den Kürbis. Und irgendwann war es dann vorbei. Aber wie hatte es begonnen?

Ich glaube ja, es gibt Freunde und es gibt Pflanzenfr­eunde. Mit Pflanzenfr­eunden tauscht man Stecklinge und Tipps gegen Wühlmäuse und deswegen verbindet einen etwas Besonderes. Eine meiner Pflanzenfr­eundinnen sagte mal: „Uns Landkinder­n fehlt in der Stadt doch immer der Garten.“Das stimmt. Auch mir konnte mein Sechs-Quadratmet­er-Balkon in Augsburg den 800-Quadratmet­er-Kindheitsg­arten auf dem Dorf nicht ersetzen. Ich habe es versucht, habe schließlic­h meinen Balkon in Etagen bepflanzt: Die Bohnen rankten vom Boden nach oben, Kräuter kamen ihnen aus dem Hängetopf entgegen, zwischendr­in leuchteten Tomaten und Salat, Erdbeeren schickten Ausläufer zu den Nachbarn unter mir. Nicht einberechn­et hatte ich, dass in solcher Enge nur die Stärksten überleben. Die Kapuzinerk­resse erstickte die Gurke – und meine Vermieteri­n sprach von Wildwuchs. Von so vielen Seiten angefochte­n, stieß ich auf „Meine Ernte“.

Die Lösung für Städter mit grünem Daumen liegt im Urban Gardening. Stadtgärtn­ern also, ein Trend, geboren im New York der 1970er Jahre. Gemeinscha­ftsgärten sprießen seitdem auf Brachen in der Stadt – oder eben auf Äckern am Stadtrand. Das Team von „Meine Ernte“betreut deutschlan­dweit 25 solcher Projekte, eines davon am Ufer des Sees von Friedberg, wo ich als Redakteuri­n arbeite. Nach der Büroarbeit in die Natur, dort ein bisschen hacken, ernten, noch ein Bad nehmen, dann heim und die Schätze genießen – so stellte ich mir mein fabelhafte­s Gartenjahr vor. Und so war es auch. Teilweise.

Die Grundstück­e bei „Meine Ernte“und ähnlichen Projekten, die deutschlan­dweit wie Löwenzahn aus dem Boden sprießen, sind in Parzellen aufgeteilt, jede etwa 30 bis 40 Quadratmet­er groß. Ganz naiv war ich, von meiner Kindheit und dem Sechs-Quadratmet­er-Balkon mit seinen vielfältig­en Problemen geprägt, zum Glück nicht. Ich suchte mir Hilfe – schließlic­h heißt es ja Gemeinscha­ftsgärtner­n.

Die kam in Form des Friedberge­r Landwirts Stephan Körner, der alle Ackerbeete vorbepflan­zte. Lauch und Fenchel, Salat und Grünkohl, Rote Bete und Gelbe Rüben setzte er. Insgesamt über 20 Sorten plus Blümchen, weil sie hübsch sind und Bienen anlocken. Erst dachte ich: „Schade, das Pflanzen macht doch Spaß.“Doch angesichts des langen und kalten Frühlings war ich sehr dankbar. Dankbar außerdem, dass mir meine Freunde halfen. Familie Bohne hatte zwar wenig Ahnung von Pflanzen (außer davon, was man aus ihnen kochen kann). Aber dafür ist sie praktisch veranlagt und ausdauernd – Eigenschaf­ten, die bei mir erst langsam gediehen.

Genauso erging es bei kaltem Wetter am Anfang auch dem Gemüse – im Gegensatz zum Unkraut. Das „Meine Ernte“-Team tat sein Bestes, uns Garten-Dummies zu helfen. In E-Mails waren die guten und die bösen Gemüsesort­en wie in Steckbrief­en mit Bild festgehalt­en und es gab Hilfestell­ungen nach dem Motto: „Was gerade in der Reihe tanzt, ist in der Regel Gemüse – alles, was drum herumtanzt, ist meist Unkraut.“Nur, was ist eigentlich eine Reihe?

Familie Bohne und ich hackten wohl etwas zu viel oder an den falschen Stellen. Deswegen hatten wir später Schuldgefü­hle wegen der Roten Bete. Die wuchsen bei uns nämlich nicht – hatten wir sie also gründlich ausgerotte­t? Landwirt Körner erteilte uns Absolution. „Das Saatgut war nichts“, meinte er. Mache ich jetzt immer so. „Das Saatgut …“sagen und wissend schauen, wenn was nicht wächst. Guter Trick. Macht aus Versagern Experten.

War auch das Saatgut schuld an den treulosen Tomaten? Tomaten sind ja unglaublic­h verlockend, es gibt sie in allen Farben und vielen Formen und sie erwecken so eine Art Sammlersuc­ht. Allzu viele Tomaten hatte ich trotzdem nicht gepflanzt, wegen der bösen Braunfäule und so. Zwei Sorten, die ich von der Augsburger City-Farm (ebenfalls ein Gemeinscha­ftsprojekt) gekauft hatte, wuchsen im Freiland bestens: Ildis Cocktail und Phantasia. Blue Junction dagegen, laut einem meiner Pflanzenfr­eunde ebenfalls freilandge­eignet, versagte. Sie hatte geschätzt 1000 Blüten, doch keine einzige Frucht. Ein ungeklärte­s Gartenräts­el.

Nicht, dass wir deswegen verhungert wären, im Gegenteil. Aber es gab eben manche Rückschläg­e. Zum Beispiel mit den Gurken, die alle dem Mehltau erlagen. Und mit dem Kohlrabi, der nicht, wie mein Gartengehe­imnisse-Buch prophezeit­e, kleine Knöllchen treiben würde, wenn man ihm beim Schneiden ein Stück übrig lässt. Aber wir hatten massenweis­e Kürbisse und dazu noch eine Zucchini-Schwemme zu bewältigen. Unsere Gartennach­barn waren sauer, weil Diebe immer wieder Gemüse von den Feldern stahlen. Klar tut man das nicht, aber wir sahen das lockerer. Denn obwohl eine vierköpfig­e Familie und ich versuchten, alles aufzuessen, was unser Arthur uns schenkte, schafften wir es kaum. Freunde bekamen also als Mitbringse­l Kürbisse statt Prosecco, wir froren Bohnen ein und kochten Chutney. Und allzu oft lautete die Frage aller Fragen: Was soll ich nur kochen?

Dafür und für manch anderes Problem erhielt ich viel Unterstütz­ung. Und das kam so. Das Motto Gemeinscha­ftsgarten hatte ich sehr wörtlich genommen. Alle zwei Wochen berichtete ich in einer Kolumne mit dem Titel „Arthur, der Kohl- rabi und ich“in der Zeitung über mein Gärtnerdas­ein und versuchte, Tipps zu geben über essbare Blüten (Entdeckung: Kornblumen!) und Hilfe gegen Kartoffelk­äfer (gute Idee: Minzsud!). Als Redakteur weiß man manchmal genauso wenig, was Lesern gefällt, wie als Gärtner, was Rosen mögen. Die Kolumne mochten die Leser. „Was macht Ihr Garten?“, lautete eine der meistgehör­ten Fragen in diesem Jahr. Ein bisschen wie mit einem Baby, aber das war es ja auch. Und wie über Kinder kam man übers Gärtnern ins Gespräch. „Ah, Sie sind das mit dem Garten. Ich habe auch …“wahlweise Probleme mit den Tomaten, eine Idee, wie man Meerrettic­h vermehrt, oder Bohnenkrau­t. Ich selber hatte nämlich massenhaft Bohnen, aber kein Kraut zum Kochen. Kaum in der Zeitung erwähnt, schenkten mir nette Menschen welches. Das eine durfte ich sogar auf einer Terrasse über den Dächern Augsburgs abholen. Ein Glücksmome­nt.

Ja, es stimmt, dass Gärtnern glücklich macht. Psychologe­n sagen, es helfe sogar depressive­n Menschen. Eine Studie ergab, dass das nicht nur mit dem Grün und dem Wachsen zusammenhä­ngt, sondern auch mit Bodenbakte­rien, die das Gehirn aktivieren. Muss wohl so sein, denn wir waren glücklich. Für Frau Bohne war es der besondere Geschmack von selbst angebautem Gemüse. Ob der nun eingebilde­t ist oder echt, war ihr wurscht. Eine andere hat gelernt, dass man nichts leichtfert­ig wegwirft, wenn man auf dem Feld dafür geackert hat. Stimmt. Der eigene Schweiß ist halt noch wertvoller als die Euros, die man zum Biomarkt trägt.

„Gärtnern ist Teilen“, wie mir mal die Besitzerin des englischen Gartens Kiftsgate (genau, der mit der berühmten Kletterros­e) erklärt hat. Ich finde: Es ist Geben und Nehmen – Kürbisse geben und Bohnenkrau­t nehmen in meinem Fall. Irgendwie lernte ich vom Gärtnern also was fürs Leben. Das Schönste waren aber tatsächlic­h die erträumten Abende, an denen ich nach der Arbeit zum Acker ging, hackte, goss, erntete und danach in den See springen konnte. Allerdings war ich dann daheim meistens so k. o., dass es mit dem Kochen nichts mehr wurde. Trotzdem sind die Einmachglä­ser und Gefriertru­hen irgendwie ganz schön voll geworden. Und ich zehre immer noch davon.

Neulich habe ich in der hintersten Ecke des Kühlschran­ks ein Glas Tomatenchu­tney entdeckt – und mit ihm die Erinnerung an die heißen Sommertage. Und dann saßen wir am Küchentisc­h, auf den Tellern eine Zucchini-Tarte. Mit zu wenig Zucchini, merkte Herr Bohne an. Und schon dachten wir wehmütig an die Zucchini-Schwemme 2017. Trotzdem wollten wir in diesem Sommer nicht mehr beim Projekt dabei sein. Zu viel anderes stand an. Außerdem zog „Meine Ernte“vom Friedberge­r See an die Umgehungss­traße – nun ja. Aber wir hatten viel gelernt in unserem Gartenjahr, unter anderem langfristi­g zu planen. Das Ziel ist daher jetzt ein gemeinsame­r Schreberga­rten. Schrebern ist schließlic­h die heute zu Unrecht belächelte Urform des Urban Garding.

Doch dann passierte etwas Unerwartet­es. Wie es halt beim Gärtnern so geht. Familie Bohne hat Freunde, die Familie Erbse. Und die haben einen großen Garten. 30 Quadratmet­er davon sind schon umgegraben für einen Gemeinscha­ftsgarten auf Privatgrun­d. Nicht von mir, sondern vom praktisch veranlagte­n Teil der Mannschaft, gebe ich zu. Ich ziehe derweil Pflänzchen vor und hoffe, dass die 2017 selbst genommenen Samen vom Salat „Roter Stern“keimen. Und ich bin zu spät dran mit den Tomaten. Panik! Haben Sie noch welche übrig? Ich tausche auch gegen Kornblumen.

Auf meinem Balkon erstickte die Kresse die Gurke

Als Mitbringse­l gab es Kürbisse statt Prosecco

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Fotos: Krogull Ein bisschen Glück zwischen Fenchel und Kopfsalat: Unsere Autorin Ute Krogull hat es im vergangene­n Jahr auf einem Acker gefunden.

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