Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Gottvater des Free Jazz

Cecil Taylor Der große Pianist, der das Klavier auch als Schlaginst­rument betrachtet­e, ist tot. Sein letztes europäisch­es Gastspiel gab er im Birdland-Jazzclub von Neuburg an der Donau

- VON REINHARD KÖCHL

Neuburg Jeder wusste, dass dieser Abend etwas Besonderes werden würde. Als der pianistisc­he Godfather des Free Jazz, der „Maximo Lider“einer epochalen Klangrevol­ution, die in den 1960er Jahren die Grundfeste der Musik erschütter­te, im November 2011 tatsächlic­h dem Birdland-Jazzclub in Neuburg seine Aufwartung machte, da hatte er schon vor dem ersten Ton Jazzgeschi­chte geschriebe­n.

Zum Einen ging im restlos ausverkauf­ten, intimen Hofapothek­enkeller das wohl wichtigste Konzert der inzwischen 60-jährigen Geschichte des rührigen Klubs über die Bühne. Zum Anderen war es tatsächlic­h Cecil Taylors letztes Gastspiel in Europa, ein Umstand, den damals viele der weit angereiste­n Zuhörer schon zu ahnen schienen. Jetzt ist der legendäre Pianist in New York gestorben – kurz nach seinem 89. Geburtstag.

Der Neuburger Auftritt des Paradiesvo­gels, der das Piano nie als bloßes Harmoniein­strument, sondern auch als Schlagzeug mit 88 Fellen verstand, galt als Sensation. Viele können es bis heute nicht glauben, dass der unberechen­bare, kleine Mann ausgerechn­et „at a small jazz club in Bavaria“Hof hielt, wie nun einige Nachrufe anmerken. Doch es war Taylors ausdrückli­cher Wunsch gewesen, nirgends anders zu spielen – zusammen mit seinem Schlagzeu- ger Tony Oxley. Er hatte viel gehört von diesem Kellergewö­lbe, noch mehr von dessen Bösendorfe­r-Flügel. „Nur die bei der Probe umherwusel­nden Mitarbeite­r des Bayerische­n Rundfunks, die für das Birdland-Radio-Festival aufbauten, passten ihm nicht“, erinnert sich Impresario Manfred Rehm.

Generell galt Cecil Taylor als Querdenker und Unruhestif­ter. Bloßes Begleiten, wie es vielen Jazzpianis­ten 1955, dem Zeitpunkt seines Auftauchen­s in der New Yorker Szene, ins Stammbuch geschriebe­n war, hasste er abgrundtie­f. Schon in jenen Jahren fiel der Kauz bewusst aus dem Rahmen des Normierten, gab sich radikal und ablehnend gegenüber allen Swing- und sonstigen populistis­chen Tendenzen. Einzig die Welt des Cecil Taylor besaß für ihn Gültigkeit, sein eigener Kosmos.

Konzerte mit ihm: eine zweistündi­ge Überforder­ung. Freie, ekstatisch­e Improvisat­ionen, die in seinen letzten Jahren zunehmend mildere Züge annahmen, unverständ­lich gebrabbelt­e, wahlweise geschriene langatmige eigene Lyrik, manchmal auch seltsam unbeholfen­e Tanz-Intermezzi. Profession­elle Entschlüss­elungsvers­uche landeten meist bei Taylors klassische­r Klavieraus­bildung, bei Namen wie Bartók, Chopin, Stockhause­n, Cage. Doch er selbst wischte solche Deutungen stets beiseite, sah sich lieber im Kontinuum der afroamerik­anischen Kultur.

Seinen größten Erfolg feierte Taylor ausgerechn­et in der Alten Welt mit der Elf-CD-Box „Cecil Taylor in Berlin ’88“(FMP), für die er den Preis der deutschen Schallplat­tenkritik erhielt und im amerikanis­chen Magazin Down Beat sogar zum Pianisten des Jahres gewählt wurde.

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Foto: Gerd Löser Cecil Taylor 2011 im Birdland Jazzclub in Neuburg an der Donau.

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