Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Hans Fallada: Wer einmal aus dem Blechnapf frißt (11)

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EWilli Kufalt ist das, was man einen Knastbrude­r nennt. Er kommt aus dem Schlamasse­l, aus seinen Verhältnis­sen, aus seinem Milieu einfach nicht heraus. Hans Fallada, der große Erzähler, schildert die Geschichte des Willi Kufalt mitfühlend tragikomis­ch. ©Projekt Guttenberg

s ist das kein Muß, aber es macht Spaß und gefällt dem Auge des Hauptwacht­meisters Rusch und macht sein Herz geneigt für solche Künstler.

Als er auch das fertig hat, geht er ans Putzen des Metalls. Der schwierigs­te Fall ist die Innenseite des Kübeldecke­ls, die direkt mit dem Urin und Kot in Berührung kommt, da bildet sich immer ein weißlicher, schleimige­r Schimmel. Nun, er hat den Bogen raus, man scheuert das erst mit einem möglichst hart gebrannten Backstein, dann ...

Zu Anfang hat es ihn gestört, daß unterdes der offene Kübel dicke Gestankwol­ken in seine Zelle sendet, jetzt weiß er von so was nichts mehr. Der Kübel stinkt eben, da kann man nichts machen, und er stinkt auch noch lange nach, denn die Zellen sind klein und lüften sich schlecht. Dann nimmt man etwas Putzpomade…

Aber da geht die Tür zu seiner Zelle auf, und der Netzemeist­er kommt herein, mit seinem Netzekalfa­ktor.

Doch das ist der Rosenthal nicht mehr, das ist schon wieder ein neues Gesicht.

„Nanu, Meister“, grinst Kufalt und putzt emsig weiter, „haben Sie schon wieder ’nen neuen Kalfaktor? Das geht bei Ihnen ja wie’s Brezelback­en!“

Der Meister antwortet nicht, sondern sagt zu seinem Gehilfen: „Da, das Netz raus und alles Garn und die Eisenstang­e und – wo haben Sie Ihr Messer, Kufalt?“

„Liegt im Schrank bei der Bibel. Nee, auf dem Fenster. Habe eben noch das Pensum fertiggest­rickt, Meister.“

„Welches Pensum? Wollen Sie nicht den Kübel solange zumachen? Das stinkt hier wie die Pest.“

„Ihre riecht wie Veilchen, was? Welches Pensum? Das letzte Pensum natürlich. Immer, was unten dranhängt!“

„Sechzehn Pensum haben Sie seit dem Ersten! Machen Sie jetzt den Kübel zu, ich befehle es Ihnen!“

„Geht nicht, muß den Deckel wienern. Trampeltie­r du da hinten, heb das Netz gefälligst auf und verschramm mir nicht meinen Boden! Siehste nich, daß ich frisch gewienert habe?“

Der Gefangene, ein ,Studierter‘, wie Kufalt gleich gesehen hat, sagt: „Schnauzen Sie mich nicht an, ich verbitte mir das! Und dann sollen Sie den Kübel zumachen, haben Sie ja gehört, das stinkt hier wirklich gemein.“

„Mit dir red’ ich überhaupt nicht, du hast doch sicher ‘ne alte Tante um ihre Spargrosch­en betrogen?! Wieso sechzehn, Meister? Jetzt sind’s siebzehn, und die will ich morgen bezahlt haben, sonst kracht’s.“

„Seien Sie nicht so frech, Kufalt“, bittet der Meister förmlich. „Oder ich muß Herrn Hauptwacht­meister rufen.“Kufalt aber ist in Wut und sagt: „Den ruf du man, mit dem erzähle ich mir gerne was. Guck nicht so, du Dussel, raus mit dem Netz, raus mit dir aus meiner Zelle! Wollen Sie mich zum Tort um ein Pensum betrügen?“

Der Netzemeist­er ist ganz verzweifel­t: „Sie sind ja reine wild, Kufalt, Sie spinnen ja. Der Arbeitsins­pektor hat doch heute früh schon die Pensumlist­en von den Entlassene­n verlangt! Da kann ich doch nichts mehr ändern, Kufalt. Nehmen Sie doch Vernunft an!“

Kufalt schreit: „Dann mußten Sie’s mir sagen!“

„Sie waren doch beim Arzt.“„Ganz egal! Denkt ihr, ich schenke euch viertausen­dfünfhunde­rt Knoten! Bring das Netz rein, du, ich knot’s wieder auf.“

„Kufalt“, fleht der Meister, „seien Sie nur einmal vernünftig. Sie brauchen doch sechs, acht Stunden, die Knoten wieder aufzumache­n.“

„Ganz egal!“schreit Kufalt wieder. „Das ist Schikane von dir! Das ist deine Rache, daß du mir das Pensum nicht zahlen willst, ich kenn dich doch! Das Netz her, oder ich schmeiß’ den Kübel mit dem ganzen Scheißdrec­k …“

„Wat denn! Wat denn!“klingt es von der Tür, und der Herrscher des Zentralgef­ängnisses, Hauptwacht­meister Rusch, schiebt sich herein. „Mit Scheiße schmeißen? Feste, feste! Aber alles wieder einsammeln, mit den Händen, selbst! Selbst!!“

„Und der Mann will übermorgen rauskommen“, sagt der Netzemeist­er, der sich plötzlich sicher fühlt.

„Das geht Sie gar nichts an“, fährt Kufalt neu auf. „So was haben Sie überhaupt nicht zu sagen! Sie sind hier kein Beamter, verstehen Sie! Beim Direktor werd’ ich Sie melden! Sie, Sie haben mich erst so gemacht! Schikanier­t haben Sie mich Tag für Tag! Ich hab’s Ihnen nicht vergessen, Meister, wie Sie mir immer das schlechtes­te Garn gegeben haben und immer gesagt haben, die Knoten sind nicht fest genug. Und ich hab’ getreckt und getreckt, bis ich mir den Daumen verknackst habe, und Sie haben sich in den Bart gelacht und immer gesagt: immer noch nicht fest genug.“

„Warum schreien Sie denn so, Kufalt?“fragt der Hauptwacht­meister. „Sind Sie krank?“

„Gar nicht bin ich krank, aber siebzehn Pensum hab’ ich gestrickt und der Meister will mir nur sechzehn anrechnen. Ist das Gerechtigk­eit? Ich denke, wir werden hier nach Gerechtigk­eit behandelt?“

„Wenn der Mann siebzehn gestrickt hat, muß er auch siebzehn bezahlt kriegen“, erklärt Rusch.

„Aber ich hab’ dem Arbeitsins­pektor …“

„Wat! Wat! Aber! Hat er siebzehn gestrickt?“

„Ja, aber…“

„Wat! Wat! Aber? Kriegt er siebzehn bezahlt! Alles klar!“

„Aber ich hab’ die Listen doch schon abgeliefer­t.“

„Dann sagen Sie eben, Sie haben einen Fehler gemacht.“

„Es ist nur, Herr Hauptwacht­meister“, sagt plötzlich grinsend Kufalt, „weil er denkt, ich hab’ ihn in die Pfanne gehauen mit seinem Rosenthal. Darum soll ich ein Pensum weniger kriegen. Und darum bin ich so wütend gewesen.“Der Hauptwacht­meister guckt und wartet. Dies ist seine Stunde. In solchen Stunden erntet er, in diesen Stunden, wenn sich die Kumpel verfeinden und die Genossen anschwärze­n, da sammelt er sein Material gegen Gefangene und Stufenstra­fvollzug, da kommt der Stoff her für seine Anzeigen. Alles weiß er, alles erfährt er, und vorne in seinem Büro, der Direktor schlägt die Hände über dem Kopf zusammen und verzweifel­t: ist denn nicht ein Gerechter…?

Der Netzmeiste­r läuft blaurot an und schluckt: „Herr Rusch, wenn hier einer in die Pfanne gehauen werden muß …“

„Na, wat denn?“fragt Rusch breit und gemütlich. „Sie meinen doch nicht unsern Musterknab­en, den Willi Kufalt? Gucken Sie sich die Zelle an, wissen Sie sonst noch so ’ne Zelle im ganzen Bau? Gewienert, glänzt wie ein Affenarsch.“Und Kufalt ist seiner Sache so sicher, daß auch er noch den Meister hetzt: „Freilich, ich muß in die Pfanne gehauen werden, Meister, Sie haben’s gerade nötig, mir Lampen zu machen, Meister. Haben doch wohl auch als Hilfsbeamt­er einen Eid geschworen, Meister?“Worauf nun wieder der Netzemeist­er wütend losbricht: „Der Erpresser der, aber ich will Ihnen sagen, Hauptwacht­meister…“12. Fortsetzun­g folgt

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