Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Dieses Rennen läuft seit 37 Jahren
Volksfest Der Augsburger Schausteller Heiner Wirth ist Gesicht und Stimme des „Schwaben-Derbys“auf dem Plärrer. Das Spiel mit Bällen und Pferden ist Kult – und hat Suchtpotenzial. Dahinter steckt eine ausgefeilte Technik
Er wird im Intercity von wildfremden Menschen angesprochen, in der Straßenbahn oder auf dem Parkplatz eines Freizeitparks. Die Frage ist fast immer dieselbe: „Sind Sie nicht der Mann vom Pferderennen?“Viele Volksfestbesucher in Süddeutschland kennen den Augsburger Schausteller Heiner Wirth, 57. Er reist seit 37 Jahren mit dem „Schwaben-Derby“zu Volksfesten in Bayern und Baden-Württemberg. Seither steht er tagtäglich in dem Stand und moderiert die Pferderennen. Er hält das Mikrofon locker in der Hand, kommentiert das Geschehen im für ihn typischen Plauderton.
Losbuden und Spielstände haben es nicht leicht auf den Volksfesten. Viele Besucher zieht es inzwischen sofort in die Bierzelte, zudem stehen die kleineren Buden im Schatten der spektakulären Attraktionen. Es ist ein schwierigeres Geschäft geworden, auch auf dem Augsburger Plärrer. Solche Existenzsorgen hat Heiner Wirth nicht. Sein „SchwabenDerby“fasziniert die Menschen seit Generationen. Einige Spieltische sind fast immer belegt. Und meistens stehen Zuschauer dabei, die das Rennen verfolgen. Das Erfolgsgeheimnis? „Den meisten geht es bei uns gar nicht ums Gewinnen, sondern um den Spaß am Spiel“, sagt Heiner Wirth. „Und es kommt nicht nur auf das Glück an, sondern auch auf das Geschick.“Auf den ersten Blick ist die Idee kurios. Die Spieler sitzen an einem Spieltisch und versuchen, Kugeln in verschiedene Löcher zu rollen. Wer einlocht, dessen Pferd bewegt sich auf einer Rennbahn nach vorne. Für den Gewinner gibt es Punkte und, abhängig von der Punktzahl, einen Preis.
Das Spiel fasziniert. Nonnen saßen bei Heiner Wirth schon gleichzeitig mit Rockern an den Spieltischen, dazwischen kleine Kinder. Der Rennleiter muss derweil den Überblick behalten. Er verkauft Spielchips, startet den Wettbewerb, greift bei Problemen ein, achtet auf Trickser und kommentiert gleichzeitig den Stand des Rennens. „Die Nummer zehn legt vor, die Acht schließt auf, auch die Sechs ist noch dran“– so klingt das dann. Er muss dabei gar nicht mehr auf die Pferde er hört es an den Geräuschen, welche Nummer führt. Man muss jedem Spieler das Gefühl geben, dass er gewinnen kann. So umschreibt Heiner Wirth die Kunst des Kommentierens. Seine Kommentare sind es, die dafür sorgen, dass Volksfestbesucher als Zaungäste stehen bleiben. Manche lassen sich zu einem Spiel hinreißen. Andere bleiben Zuschauer. „Ich habe viele Stammspieler“, sagt Heiner Wirth, „aber viele Stammzuschauer, die gar nicht spielen.“Doch sie tragen auch zur Rennatmosphäre bei.
Seit 1981 betreibt er das Pferderennen. Mit seinen Eltern schaffte er damals einen gebrauchten Schießstand an. 1969 steht als Baujahr auf dem Typenschild. Der Stand wurde zum „Schwaben-Derby“umgebaut. Technik und Spielidee stammen aus England, der Heimat des Reitsports. Die Wirths waren die ersten Schausteller in Deutschland mit einem Spielstand dieses Typs. Inzwischen gibt es rund 20. Nicht immer sind es Pferde. Heiner Wirth kennt Stände mit Rennwagen, Dampfschiffen und Fußballspielern. Die Technik ist aufwendig. Viele Kabel und Relais sind hinter den Kulissen verbaut. Fällt der Ball am Spieltisch durch ein Loch, dann rollt er danach über einen Schalter. An der Rennbahn wird so die Schiene, auf der das dazugehörige Pferd steht, kurz unter Strom gesetzt. Jedes Pferd hat einen Motor. So bewegt es sich Schritt für Schritt nach vorn. 18 Schritte sind es bis zum Sieg. Heiner Wirth kennt sich genau aus in dem Kabelwirrwarr. Er muss die Technik selbst reparieren, wenn sie streikt. Längere Ausfälle kann er sich nicht leisten.
Der Plärrer ist für Heiner Wirth ein wichtiges Volksfest. Hier hat er viele treue Kunden. Sein Wohnwagen steht direkt hinter dem Stand. Dackel Aron bewacht alles aufmerksam. Heiner Wirth stammt aus einer Schaustellerfamilie. Es gibt eine Urkunde aus dem Jahr 1400, die einen seiner Vorfahren als „Gaukler“ausweist. Auch auf dem Cannstatter Wasen in Stuttgart kommen viele Spieler schon lange zum „Schwaben-Derby“. Ist Heiner Wirth dagegen neu auf einem Fest, dauert es einige Tage, bis das Geschäft läuft. Die Leute müssen erst damit warm werden. Jahrelang moderierte Heischauen, ner Wirth von vormittags bis abends durch. Nur zum Mittagessen machte er eine Pause. „Das ist aber nicht gut“, sagt er. Man schaltet nicht mehr. „Man wacht nachts auf und sucht nach den Spieltischen.“Inzwischen hat er einen Mitarbeiter, mit dem er sich im Zwei-StundenRhythmus abwechselt. So bleibt auch mal Zeit fürs Plaudern.
Dieser Tage hat ihn auf dem Plärrer ein Ehepaar besucht, das im Lauf der Jahre eine ganze Küchenausstattung bei ihm gewonnen hat. Kaffeemaschine, Eierkocher, Elektromesser, Toaster. Und alles ist bis heute noch im Einsatz.