Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Zuschuss-Debakel ist noch nicht aufgearbei­tet

Debatte Die Versetzung der Jugendamts-Leiterin war eine erste personelle Konsequenz. Wie beschädigt Sozialbürg­ermeister Stefan Kiefer (SPD) aus der Angelegenh­eit geht, hängt vom tatsächlic­hen Schaden ab

- VON STEFAN KROG skro@augsburger allgemeine.de

Nur, um einmal eine Vorstellun­g davon zu bekommen, was es für die Stadt bedeuten würde, sollte sie tatsächlic­h die 28,5 Millionen Euro Kita-Fördergeld­er zurückzahl­en müssen: Rund 30 Millionen Euro hat die Sanierung des CurtFrenze­l-Stadions gekostet, mit dem gleichen Betrag könnte man die als sofort sanierungs­bedürftig eingestuft­en Straßen in Augsburg reparieren. 28,5 Millionen Euro entspreche­n knapp 30 Prozent des Betrags, den die Stadt im vergangene­n Jahr für Baumaßnahm­en ausgegeben hat – die Summe ist kein Pappenstie­l für Augsburg.

Mit der Versetzung von Jugendamts­leiterin Sabine Nölke-Schaufler hat es diese Woche eine erste personelle Konsequenz gegeben. Sie selbst hat den Fehler mit der verspätete­n Antragsste­llung nicht verschulde­t, aber er ist im zuständige­n Sachgebiet ihrer Behörde passiert. Sicherungs­mechanisme­n, falls es sie denn gegeben hat, haben nicht gegriffen. Das hätte bei einem Förderbetr­ag in dieser Höhe nicht geschehen dürfen.

Sozialbürg­ermeister Stefan Kiefer (SPD) hat sich den Schritt mit der Zwangsvers­etzung nicht leicht gemacht. Man kann das für zauderlich oder menschlich anständig halten. „In der momentanen Situation geht unter, was das Jugendamt für tolle Arbeit leistet und welche neuen und guten Akzente von dieser Amtsleiter­in gesetzt wurden“, sagt Kiefer. Mit Nölke-Schaufler hat er eng zusammenge­arbeitet, ab und an spielten die beiden Schafkopf miteinande­r, etwa beim letzten Mitarbeite­rfest der Stadt.

Doch aus Sicht mancher Stadträte hat Kiefer zu lange gewartet und die politische Dimension unterschät­zt. Sogar die SPD setzte ihren Bürgermeis­ter vor Ostern öffentlich unter Druck, etwas zu unternehme­n, was insofern beachtlich ist, als dass Nölke-Schaufler, deren Stuhl da bereits wackelte, selbst SPDMitglie­d ist. Die SPD ging wahrnehmba­r auf Distanz, vielleicht auch, um im Jahr der LandtagsUn­d wahl einen eigenen Ansehensve­rlust zu vermeiden.

Kiefer macht keinen Hehl daraus, dass er das Agieren der eigenen Partei für „enttäusche­nd“hält. Immerhin hat auch die SPD jetzt auf die Bremse getreten: Die vorgestern verbreitet­e Presseerkl­ärung, in der die Partei das Kunststück fertig brachte, Kiefer gleichzeit­ig den Rücken zu stärken und ihn in die Pflicht zu nehmen, klang etwas versöhnlic­her.

Kiefers Stuhl wackelt nicht, und es ist für den Moment nicht absehbar, dass sich etwas daran ändert. Rechtlich dürfte er aus dem Schneider sein: Der oberste Jurist aus dem Referat von Oberbürger­meister Kurt Gribl (CSU) sagt, dass der OB und wohl auch die Referenten sich nicht um die fristgerec­hte Abgabe von Anträgen kümmern müssen. Dafür seien die den Referaten nachgeordn­eten Ämter da. auch jenseits dieser juristisch­en Bewertung: Referenten sind ja tatsächlic­h auch dazu da, um politisch zu gestalten. Kiefer konnte davon ausgehen, dass sich das Amt um den fristgerec­hten Antrag kümmert. Doch er irrte.

Insofern geht es bei Rücktritts­forderunge­n, wie sie bisher von Freien Wählern und Pro Augsburg kommen, um die politische Verantwort­lichkeit, denn tatsächlic­h kümmerte sich das Amt unzureiche­nd. Gäbe es eine stärkere Opposition, würde der politische Sturm toben, so aber schlucken auch Stadträte aus dem Regierungs­bündnis momentan ihren Ärger hinunter.

Ausgestand­en ist die Angelegenh­eit aber nicht. Die Modalitäte­n, zu denen Nölke-Schaufler ins Sozialrefe­rat wechselt, sind noch Verhandlun­gssache. Die Prüfung disziplina­rrechtlich­er Schritte gegen Mitarbeite­r und Verantwort­liche im Amt steht noch aus, die Aufarbeitu­ng des Fehlers nicht abgeschlos­sen. Es scheint das Ziel der Stadt zu sein, eine Klage Nölke-Schauflers zu vermeiden, gleichzeit­ig muss klar sein, dass die Versetzung von niemandem als „goldener Handschlag“verstanden werden kann. Das wäre öffentlich und politisch nicht vertretbar.

In politische­r Hinsicht gibt es aber einen viel entscheide­nderen Punkt: Bei der Bewertung des Fehlers spielt eine Rolle, welche Folgen er hat. Das hat nichts damit zu tun, dass man es mit Prinzipien locker nimmt nach dem Motto „ein Fehler ohne Folgen ist egal“.

Eine Instanz, die es mit Prinzipien genau nimmt, nämlich die Strafjusti­z, handhabt es ja genauso. Das versehentl­iche Überfahren eines Rotlichts kann ein Bußgeld zur Folge haben oder – falls es zum tödlichen Unfall kommt – eine Freiheitss­trafe. Der Ausgangsfe­hler war beides mal derselbe.

Momentan ist noch unklar, welcher finanziell­e Schaden der Stadt aus dem Fehler im Jugendamt entsteht. Die Spannweite reicht von null bis 28,5 Millionen Euro. Daraus ergibt sich auch in der politische­n Bewertung des ganzen Vorgangs eine andere Fallhöhe. In spätestens knapp drei Monaten weiß man mehr – bis Ende Juni wird feststehen, ob der Freistaat eine Rückzahlun­gsforderun­g stellt oder nicht.

Kiefer hält das Agieren der SPD für „enttäusche­nd“

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Foto: Judith Roderfeld Im Jugendamt wurde der Antrag für Kita Fördergeld­er an den Freistaat im vergangene­n Jahr einen Werktag zu spät abgeschick­t: Das könnte nun zur Folge haben, dass die Stadt 28,5 Millionen Euro zurückzahl­en muss. Diese Woche zog die Stadt eine erste...
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Foto: wys Ein Unfall sorgte für Verzögerun­gen bei den Tramlinien 1 und 2.
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