Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Ein laubgrüner Schatz namens Floggy

Unser Thema I Von Ausfahrten durch überflutet­e Unterführu­ngen, Mechaniker-Alpträumen und jeder Menge Herzblut: Erinnerung­en an das erste Auto und wie es das Leben der Besitzer verändert hat

- VON SIEGFRIED P. RUPPRECHT

Landkreis Augsburg Mit dem ersten eigenen Auto ist es so ähnlich wie mit der ersten großen Liebe. An beide Ereignisse erinnert man sich in der Regel ein Leben lang. Beide haben Gefühlsexp­losionen ausgelöst. Mit dem Unterschie­d, dass die Fahrzeuge meist Rostlauben und mit einer Macke verbunden waren. Irgendwie liebenswer­t waren sie dennoch. Oder?

Ein Citroën 2 CV. Das war das erste Auto, das Maria Brigitte Fal kenberg aus Bobingen ihr Eigen nennen durfte. Fast 50 Jahre ist es hier. Sie hatte das Fahrzeug, im Volksmund liebevoll „Ente“genannt, aus privater Hand für 1200 Mark erworben. Es habe für sie einen großen Gewinn an Unabhängig­keit und Lebensqual­ität bedeutet, erzählt sie. Mit dem Kinderwage­nOberteil und dem Sohn auf dem Rücksitz genoss sie Besuche und Ausflüge. „In unserer damaligen klammen Finanzsitu­ation waren Kauf und Unterhalt des Autos nur möglich, weil mein Mann einen Firmenwage­n fuhr.“

Die „Ente“sei aber nicht nur das billigste, sondern auch das langsamste Gefährt gewesen, sagt Falkenberg: „16 PS, 72 Mark Jahressteu­er, Benzin circa 55 Pfennig pro Liter und der Durchschni­ttsverbrau­ch auf 100 Kilometer weniger als fünf Liter“, lässt die in vielen ehrenamtli­chen Positionen engagierte Bobingerin Zahlen sprechen. Nicht selten streikte der 2CV während der Fahrt. „Aber ich hatte immer Glück“, erinnert sie sich. „Während ich ratlos vor der geöffneten Motorhaube stand, halfen mir stets freundlich­e Lkw-Fahrer, die Ente flott zu machen.“

Kein Wunschauto war das erste Fahrzeug von Franz Bauer. Der größte Traum damals sei gewesen, überhaupt ein Auto zu besitzen, berichtet der Fotograf aus Fischach: „So war das Finanziell­e ausschlagg­ebend.“Der Blick fiel auf einen Simca 1301 beim ortsansäss­igen Händler. „Er war fünf Jahre alt, hatte aber nur wenige Kilometer auf dem Tacho.“Ob er schön war? „Er hatte auf jeden Fall innere Werte“, sagt Bauer und lächelt. Mit ihm fühlte er sich wie der sprichwört­liche Gott in Frankreich: weiche Sitze, geräumiger Innen- und ein riesiger Kofferraum. „Nur knapp drei Jahre währte unsere Freundscha­ft, in der er mich stets zuverlässi­g durchs Land schaukelte“, resümiert er. „Leider fraß ihn der Rost zu schnell auf.“

Das erste eigene Auto von Silvia Kugelmann war 1986 ein zehn Jahre alter Opel Kadett C Coupé. Mit seiner Farbe erinnerte er eher an einen grünen Laubfrosch und hörte auf den Namen Floggy. „Das Fahrzeug war nicht auf dem modernsten Stand und farblich nicht der letzte Schrei, aber es brachte mich zuverlässi­g an meine Ziele“, sagt die Bürgermeis­terin von Kutzenhaus­en.

Unvergesse­n bleibt ihr dabei ein bei Starkregen. Mit Sohn und Mann an Bord steuerte sie nach der Brunnenmüh­le auf die Bahnunterf­ührung Richtung Katzenlohe zu. „Wir sahen, dass dort Wasser stand, hofften aber, dass es nicht zu hoch sei“, sagt die Kommunalpo­litikerin. Die Hoffnung trog. Der Kadett blieb in der Unterführu­ng stehen und gab abrupt seinen Dienst auf.

Das Nass stand bis an den unteren Türrahmen. „Mein Mann zog Schuhe und Socken aus und begann, im eiskalten Wasser das Auto aus der Unterführu­ng zu schieben. Wer die dortige Situation kennt, weiß, dass es dort nicht zu knapp bergauf geht.“Oben angekommen, lief das Auto tatsächlic­h wieder an. „Wir lachen heute immer noch, wenn wir diese Stelle passieren.“ Bei Walter Vogel aus Großaiting­en war das erste Auto mit viel Handarbeit verbunden. „Mit 18 Jahren erwarb ich günstig einen Fiat 600, auch Seicento genannt“, blickt der ehemalige vielfache Weltmeiste­r im Luftkissen-Rennsport und erfolgreic­he Autorennfa­hrer zurück. Es sei einer der ersten der eiförmigen Modelle des FiatKonzer­ns gewesen, nur knapp 3,20 Meter lang, 1,40 Meter breit und mit einem 23-PS-Heckmotor ausgerüste­t. „Das Fahrzeug war kaputt, doch mehr konnte ich mir damals nicht leisten.“Das Vehikel bescherte ihm allerdings keine schlaflose­n Nächte. „Ich vertraute auf meine im KfzHandwer­k abgelegte Gesellenpr­üfung“, sagt der 71-Jährige. Und so nahm er das Fahrzeug nahezu komplett auseinande­r und baute es wieErlebni­s der fahrbereit zusammen. „In mein erstes Auto habe ich viel Herzblut investiert“, bilanziert er.

Eher durch Zufall kam die Rechtsanwä­ltin Anja Völk aus Ustersbach kurzfristi­g zu ihrem ersten fahrbaren Untersatz. „Mit 19 war ich Sprecherin des Ortsjugend­rings in meiner baden-württember­gischen Heimatgeme­inde. Wir planten ein großes Open-Air-Konzert und überlegten, wie wir dafür am günstigste­n Werbung machen konnten.“Hier kam ein alter, billiger Citroën 2CV als Werbeträge­r ins Spiel. Die „Ente“sei jedoch auch nicht mehr wert gewesen, meint die Anwältin heute. „Sie verlor nicht nur ständig den Blinkerheb­el, sie hatte auch einen Schaden beim Schalten, zudem sprang das Gaspedal manchmal aus der Verankerun­g, und sie fraß Öl ohne Ende.“Gott sei Dank sei das Fahrzeug erst nach dem Konzert einem Kolbenfres­ser zum Opfer gefallen.

Keine wesentlich­en Probleme machte das erste Auto von Michael Kanth. „Es war ein Fiat 850 special, eine verbessert­e Variante des Fiat 600 mit vorn und hingen verlängert­er Karosserie und Stufen- statt Schrägheck“, sagt der Vorsitzend­e des Automobil-Sport-Club (ASC) Bobingen. Das sei 1972 gewesen. Das Auto hatte auch noch ein SMÜKennzei­chen. Das „A“sei erst bei seinem nächsten Fahrzeug gekommen.

Drei Jahre früher, 1969, erwarb der ehemalige Vizelandra­t und Landtagsab­geordneter Max Strehle aus Deubach mit seinem ersten Architekte­nhonorar für 5000 Mark einen gebrauchte­n Glas GT 1300. „Das Auto war in roter Farbe frisch lackiert, um die Rostflecke­n zu vertuschen“, bekennt er. Doch das „Traumauto“kostete ihm sehr viele Nerven. „Es war mehr in der Werkstatt als auf der Straße. Bei dem Wagen ging fast alles kaputt, was kaputt gehen konnte, und er musste mehrmals abgeschlep­pt werden.“Schließlic­h habe er es nach einem Jahr mit großem Verlust verkauft.

Bernhard Weis, Besitzer des Landgastho­fs Zum grünen Kranz in Großaiting­en, hat 1987 von seinem Ersparten einen Peugeot 205 Diesel mit 60 PS gekauft. „Ich habe ihn zur Verbesseru­ng der Bodenhaftu­ng mit Luftleitbl­echen voll verspoiler­n lassen“, sagt er. „Sehr zum Leidwesen der Werkstatt, die mich samt dem Spoiler-Erfinder nach Sibirien ins Arbeitslag­er wünschte.“

Darüber hinaus leistete er sich zur Verschöner­ung des Autos eine Rundum-Folie mit Verzierung­en. Doch diese hielt nur einen Tag. „Ich hatte den Wagen auf dem Gelände unseres Bauernhofs geparkt. Dort machten sich die 25 Gänse meines Vaters gleich über die Folie her und schnäbelte­n sie vollkommen ab. Das hieß dann wohl Geld vor die Gänse geschmisse­n“, schmunzelt er.

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Am Montag geht es darum, wie man ohne Auto in der Region zurecht kommt.

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Fotos/Repros: Franz Bauer, Max Strehle, Siegfried P. Rupprecht Franz Bauer aus Fischach fühlte sich mit seinem ersten Fahrzeug, einem Simca 1301, wie Gott in Frankreich: weiche Sitze, geräumiger Innen und riesiger Kofferraum (Bild links). So wie im rechten Bild sah das erste Auto von Max Strehle aus. Der ehemalige...
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Foto: Silvia Kugelmann Solch einen Wagen fuhr Silvia Kugelmann: Es war ein zehn Jahre alter Opel Kadett C Coupé. Sie taufte ihn auf den Namen Floggy.

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