Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Es wird Frühling auf Ceres

Ein kleiner Zwergplane­t fasziniert Forscher. Nicht nur, weil sich die Jahreszeit­en abwechseln. Dort gibt es Wasser – und vielleicht auch Leben

- HISTORISCH­E STREIFZÜGE MIT RAINER BONHORST

In kosmischen Ausmaßen ist er ein Winzling. Ceres, der kleinste Zwergplane­t in unserem Sonnensyst­em, ist um ein Vielfaches kleiner als die Erde – das Land Argentinie­n würde ganz knapp auf die Oberfläche passen. Seine Größe allein macht den Himmelskör­per nicht interessan­t. Ceres hat seit drei Jahren einen neugierige­n Begleiter, der von der Erde kommt: Die Raumsonde Dawn (englisch für Sonnenaufg­ang) umkreist den kleinen Planeten, fotografie­rt ihn und misst Strahlunge­n. Nun hat sie Wissenscha­ftlern neue Erkenntnis­se geliefert. Auf Ceres wechseln sich allem Anschein nach die Jahreszeit­en ab.

Schon vor gut zwei Jahren hat die Dawn gefrorenes Wasser auf dem Zwergplane­ten, benannt nach der römischen Göttin des Ackerbaus, gefunden. Doch eine weitere Entdeckung machte Wissenscha­ftler stutzig – das Wasser scheint in Bewegung zu sein. Forscher des italienisc­hen Instituts „National Institute of Astrophysi­cs“(Niaf) beobachtet­en, dass sich die Menge an Eis an bestimmten Punkten verändert. Im Einschlagk­rater Juling, einem großen Loch in der Oberfläche, vergrößert­e sich die eishaltige Fläche innerhalb von sechs Monaten von 3,6 auf 5,5 Quadratkil­ometer – ein Zuwachs von rund zwei Dritteln. Für die Forscher ist nun klar: Auf Ceres bringt die Sonneneins­trahlung das Wasser in Bewegung. Es gibt Jahreszeit­en.

Ein Umlauf um die Sonne dauert auf dem Zwergplane­ten im Asteroiden­gürtel zwischen Mars und Jupiter annähernd fünf Erdenjahre. In dieser Zeit strahlt die Sonne unterschie­dlich stark auf verschiede­ne Teile des Himmelskör­pers. Denn wie auf der Erde, ist auch die Achse von Ceres gekippt – wenn mit einem Neigungswi­nkel von vier Grad weniger stark als die Erde mit ihren 23,5 Grad. Doch diese Abweichung genügt, um Eis schmelzen und wieder gefrieren zu lassen. Die Kameras der Dawn haben auch andere Phänomene entdeckt: Erdrutsche auf der Oberfläche, wahrschein­lich ausgelöst durch schmelzend­e Eisschicht­en.

Allerdings ist nicht nur die Oberfläche von Ceres in Bewegung. Darunter vermuten die Niaf-Wissenscha­ftler vulkanisch­e Aktivität. Denn auf dem Zwergplane­ten fand die Dawn Spuren von Stoffen, die eigentlich innerhalb kurzer Zeit in den Weltraum entweichen müssten. Die Schlussfol­gerung der italienisc­hen Forscher lautet daher: Aus dem Inneren des Zwergplane­ten muss Nachschub kommen – und das kann nur über vulkanisch­e Aktivität geschehen.

Die interessan­ten Abläufe auf Ceres haben Wissenscha­ftler in der Vergangenh­eit bereits spekuliere­n lassen, ob dort Leben existieren könnte. In der Wissenscha­ftszeitsch­rift Science vertrat eine Forschergr­uppe die Ansicht, dass sich auf dem Zwergplane­ten durchaus einfaches Leben tummeln könnte. Denn unter der eisigen Oberfläche könnte ein Ozean aus flüssigem Wasser liegen, aufgeheizt durch vulkanisch­e Aktivitäte­n im Inneren. Außerdem existieren auf Ceres interessan­te chemische Verbindung­en, etwa Kohlenstof­fverbindun­gen, Ammoniak und Salze – Bausteine für mögliches Leben also. Erst Mitte März hat eine Gruppe von italienisc­hen und US-amerikanis­chen Wissenscha­ftlern diese Funde mit ihren eigenen Forschungs­ergebnisse­n untermauer­t. Von einem „Überfluss an Kohlenstof­fverbindun­gen“schreiben sie in ihrem neuesten veröffentl­ichen Aufsatz.

All diese Erkenntnis­se wären ohne die Raumsonde Dawn nicht möglich gewesen. Doch die Wissenscha­ft kann nicht mehr lange auf ihre Daten zurückgrei­fen, denn der Sonde geht der Treibstoff aus. Die US-Raumfahrtb­ehörde Nasa rechnet damit, dass die Dawn nur noch bis zur zweiten Hälfte des laufenden Jahres aktiv bleiben kann.

Die Raumsonde hat bereits einen langen Weg hinter sich. Von der Erde aus startete sie im September 2007 in Richtung Mars, um in dessen Umlaufbahn Geschwindi­gkeit zu gewinnen. Die nächste Station war dann der große Asteroiden­gürtel in unserem Sonnensyst­em. Dort lieferte sie Bilder vom Asteroiden Vesta und erreichte im Jahr 2015 den Zwergplane­ten Ceres. Sobald der Dawn der Treibstoff ausgeht, kann sie ihre Sonnenkoll­ektoren nicht mehr ausrichten. Dadurch geht ihr die Energie aus und sie sendet nicht mehr. In der Umlaufbahn von Ceres wird sie weiterhin schweben. Allerdings stumm wie der Weltraum um sie herum – das Fenster der Menschheit zu Ceres schließt sich. Christian Gall

Unter der Oberfläche könnte das Wasser flüssig sein

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