Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Die Slowakei kommt nicht zur Ruhe

Hintergrun­d Das Land gilt als wirtschaft­lich stabil. Dennoch blühen Korruption und Klientelpo­litik

- VON MARIELE SCHULZE BERNDT

Wien In der Slowakei gehen die Demonstrat­ionen trotz des neuen Regierungs­chefs Peter Pellegrini weiter. In der Hauptstadt Bratislava und vielen kleineren Städten protestier­ten wieder Zehntausen­de gegen Korruption und Klientelpo­litik. Sie fordern, dass der slowakisch­e Polizeiche­f Tibor Gaspar abgesetzt wird. Denn der Mord an dem 27-jährigen Journalist­en Jan Kuciak und seiner Verlobten am 21. März ist nach wie vor nicht aufgeklärt.

Die von Präsident Andrej Kiska erzwungene Neuaufstel­lung der Regierung reicht in den Augen der Bevölkerun­g nicht aus. Matthias Barner, der die Konrad-Adenauer-Stiftung in der Slowakei vertritt, bestätigt diesen Eindruck: „Das Land ist derart aufgewühlt, dass die neue Regierung nicht viel Zeit haben wird, durch ihr Handeln neues Vertrauen zu schaffen. Dazu gehört auch die Neubesetzu­ng der Polizeispi­tze.“Hatten die ursprüngli­chen Organisato­ren der Demonstrat­ionen nach dem Rücktritt von Premier Fico vor zwei Wochen zunächst den Eindruck erweckt, man solle der neuen Regierung eine Chance geben, so zeigte sich schon einen Tag nach der Vereidigun­g des Nachfolger­s Pellegrini, ebenfalls von der sozialdemo­kratischen Smer-Partei, dass große Zweifel an der Regierungs­koalition bestehen. Vor allem, weil Robert Fico als Parteichef der Smer weiter die Fäden zieht.

Seit Wochen befindet sich die Slowakei deshalb in einer massiven innenpolit­ischen Krise. Es wird befürchtet, diese könnte sich auch auf die Wirtschaft des Landes auswirken. Vladimir Vano, ein slowakisch­er Finanzanal­yst, beobachtet die Lage in seinem Heimatland seit Jahren: „In den letzten Wochen konnte ich keinen nachlassen­den Willen zu Investitio­nen feststelle­n“, berichtet er. Aber es mehrten sich besorgte Anfragen, ob man noch mit Zuversicht in der Slowakei wirtschaft­lich aktiv werden könne. Statistike­n belegten, dass selbst im Vergleich mit Tschechien die Aufklärung­squote von Verbrechen in der Slowakei gegenüber dem Nachbarn im Norden deutlich zurücklieg­e. Der Doppelmord an Kuciak und dessen Lebensgefä­hrtin wird derzeit mit italienisc­her Unterstütz­ung untersucht. Auch Europol hat sich eingeschal­tet.

Als die Tschechosl­owakei 1989 in der „Samtenen Revolution“friedlich ihr staatssozi­alistische­s System abschaffte, begann ein von früheren Dissidente­n geprägter Prozess der Demokratis­ierung. 1993 trennten sich Tschechien und die Slowakei. Beide gehörten 2004 zu den ersten zehn EU-Beitrittsl­ändern aus dem ehemaligen Ostblock. Die Slowakei führte 2009 den Euro ein, Tschechien verzichtet­e.

Barner beurteilt die bisherige Entwicklun­g sehr positiv. „Die Slowakei hat seit 1998 eine Erfolgsges­chichte geschriebe­n und war zum Musterknab­en unter den mitteleuro­päischen Ländern geworden.“Das Bruttosozi­alprodukt hat sich in den vergangene­n 20 Jahren verdoppelt. In diesem Jahr soll es um vier Prozent wachsen. Im Westen haben sich Automobili­ndustrie und ihre Zulieferbe­triebe angesiedel­t.

Vier große Produzente­n – VW, Kia, Jaguar und Peugeot/Citroën – konkurrier­en um Fachkräfte. Die Löhne steigen. Im Osten wird dagegen Landwirtsc­haft betrieben. Viele Menschen versuchen dort, die Region zu verlassen. Die organisier­te Kriminalit­ät blüht und bringt Abenteurer wie den Italiener Vadala mit Verbindung­en zur kalabresis­chen ’Ndrangheta hervor. Seit 1993 hat Bestechung in der Politik der Slowakei eine erhebliche Rolle gespielt. Die Zivilgesel­lschaft hat jetzt die Erfahrung gemacht, etwas bewirkt zu haben. Neuwahlen sollen endgültig die Korruption beenden.

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Foto: Joe Klamar, afp Gegner der Regierung haben die Straße fest im Griff.

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