Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Hans Fallada: Wer einmal aus dem Blechnapf frißt (12)

Willi Kufalt ist das, was man einen Knastbrude­r nennt. Er kommt aus dem Schlamasse­l, aus seinen Verhältnis­sen, aus seinem Milieu einfach nicht heraus. Hans Fallada, der große Erzähler, schildert die Geschichte des Willi Kufalt mitfühlend tragikomis­ch.

-

Und besinnt sich, dunkelrot, aber besinnt sich: „Also Sie kriegen Ihre siebzehn Pensum bezahlt, Kufalt. Und wenn ich Ihnen die achtzehn Pfennig übermorgen unterm Tor selber geben muß. Sie kriegen Sie!“Der Netzemeist­er geht ab. Jetzt steht der Hauptwacht­meister unzufriede­n und wütend da.

„Hab’ ich keine Post, Herr Hauptwacht­meister?“fragt Kufalt.

„Post. Post. Sie kriegen Ihre Post, wenn’s Zeit ist. Und überhaupt haben Sie nicht so frech zu sein. Der Netzemeist­er ist Ihr Vorgesetzt­er. Ich schreib’s in Ihren Entlassung­sschein, Kufalt, daß die Führung schlecht war. Dann kommen Sie bei keiner späteren Strafe auch nur in die zweite Stufe.“Spricht’s und schrammt die Tür zu, ehe Kufalt sich von neuem entrüsten kann.

9

Abends um acht Uhr hat die dritte Stufe ihren allwöchent­lichen Radioabend.

Es ist schön still im Bau, die paar Wachtmeist­er vom Nachtdiens­t schlurren auf Filzlatsch­en herum und schließen die schon für die Nacht versperrte­n Zellen der Leute von der dritten Gruppe vorsichtig und leise noch einmal auf. Und sachte gehen die runter zum Schulzimme­r, denn nichts ist schlimmer als ein Gefängnis, das nachts in Lärm gerät. Sind die Gefangenen erst einmal in ihrer kostbaren Nachtruhe gestört, dann hört das Schreien und Toben und Brüllen überhaupt nicht wieder auf. Im Schulzimme­r sammeln sich die Zwölf, es ist noch ziemlich taghell, der Schuster hantiert schon am Radio.

„Was gibt’s denn?“fragt Kufalt, aber der Schuster ist noch von mittag her böse und antwortet nicht.

Dafür sagt Batzke, der lange Batzke, der über nackte Mädchensch­önheiten gebietet und der die Heizkessel der Anstalt versorgt: „’ne Oper, von Verdi. Willste zuhören?“

„Nee, nur nicht. Warum die am Abend nie was Humoristis­ches machen, versteh’ ich nicht. Könnten doch auch mal an ’nen Gefangenen denken.“

Aber Batzke leiert seinen alten Vers: „Warum sollen die an uns denken? Sind froh, daß sie nicht an uns zu denken brauchen. Heilfroh, daß sie uns los sind, Vieh, das wir sind.“Das Radio hat eingesetzt, und die beiden gehen den langen Gang neben den Schulbänke­n auf und ab.

„Hast du Tabak? Au, Mensch, Batzke, wo kriegst du nur immer den feinen Tabak her? Ich habe hier ja auch was gelernt von Schieben, aber so wie du ...“

„Wenn du erst vierzehn Jahre Knast abgerissen hast wie ich“, sagt der sechsunddr­eißigjähri­ge Batzke, „kennst du den Laden auch schon besser.“

„Nur nicht!“ruft Kufalt. „Lieber tot!“

„Das sag man nicht“, tröstet Batzke. „Dafür ist die Zeit draußen um so schöner.“

„Nee, danke, ich werde jetzt solide.“

„Mach bloß so was nicht“, warnt Batzke. „Du hältst es ja doch nicht durch. Da strampelst du dich zwei Monate ab oder drei oder fünf und schiebst Kohldampf und rennst dich um nach Arbeit. Und vielleicht kriegst du wirklich Arbeit und schuftest dich tot, daß sie dich nur behalten. Aber dann kommt’s doch irgendwie raus, daß du gesessen hast, und der Chef befördert dich an die Luft oder die Kollegen – die sind immer die schlimmste­n – wollen mit so ’nem Verbrecher nicht arbeiten. Hab’ ich alles versucht. Aber wenn du dann mürbe bist und hast drei Tage nichts gefressen und faßt was an und gehst hoch dabei, gleich sagen sie: ,Das haben wir uns doch gedacht. Gut, daß wir den damals gleich rausgeschm­issen haben.‘ So sind die, und wenn du schlau bist, dann hörst du auf mich und fängst gar nicht erst so was an wie Solidwerde­n. Dann machste mit mir mit.“

„Aber man wird geschnappt und kommt wieder ins Kittchen.“

„Nicht so leicht, wenn man ausgeruht ist und Geld hat. Immer wenn man Kohldampf hat und Angst, und Geld kriegen muß. Irgendwann fassen sie einen natürlich doch, aber bei mir wird das seine Weile haben.“

„Aber es gibt doch welche, die kommen nicht wieder rein?“

„Wer denn? Wer denn? Sag doch, wie lange schiebst du Knast? Wieviel Leute hast du schon wiederkomm­en sehen in der Zeit? Na also! Und die nicht hierher wiedergeko­mmen sind, die schieben jetzt woanders Knast. Ich dreh’ mein nächstes Ding auch nicht wieder in Preußen, ich geh’ mit ’nem Stadtplan brechen in Hamburg, daß ich nur nicht über die Grenze nach Altona gerate. Knast in Fuhlsbütte­l ist viel besser als in Preußen, da kann schon die zweite Stufe Fußball spielen.“

„Ich mag aber nicht brechen gehen. Hab’ keinen Mumm für so was.“

„Sollst du auch nicht, mein Junge. Weiß ich doch selber. Wie wirst du mit solchen Ärmchen brechen gehen? Nee, auf so einen wie dich habe ich schon lange gewartet. Du bist doch fein, kennst die Fremdwörte­r und ein bißchen Englisch. Parlewuh, du ahnst ja nicht, wie einem so was fehlt. Ich mach’ auch lieber was anderes als auf Bruch gehen.“Kufalt fühlt sich geschmeich­elt. „Ich hab’ gelernt und gelernt“, erzählt Batzke weiter, „aber den richtigen Dreh krieg’ ich doch nicht raus. Eine Weile lang hab’ ich mal in Heiratssch­windel gemacht, das Risiko ist nicht so groß und du brauchst kein Geld auszugeben für die Nutten, aber glaubst du, ein besseres Mädchen hab’ ich gekriegt? Ich hab’ so aufgepaßt wie’s gemacht wird, auf der Rennbahn und in der Bar, und die Fingernäge­l hab’ ich mir manikürt – nichts. Die feinen Kavaliere sind mit den großen Kallen abgezogen, und wenn ich meine besah, dann waren’s immer ein Dienstbolz­en oder höchstens ’ne Stütze, mit ein paar hundert Erspartem, es lohnte nicht.“

„Richtiges Benehmen könnte ich dir schon zeigen.“

„Siehst du, das ist es, was einen wurmt. Ich versteh’ alles, ich kamt ’nen Geldschran­k knacken mit ’nem Schneidbre­nner wie nur einer. Aber immer krieg’ ich nur die kleinen Sachen, die andern gehen mit den großen über den Harz. So was wurmt einen, wenn man sein Fach versteht.“

„Aber zum Einbrechen braucht man doch keine Bildung, Walter!“

„Du hast ’ne Ahnung! In einen feinen Klub kommen als Doktor Batzke oder mit einem Luxuszug mitfahren, ohne daß gleich die Schmiere den Braten riecht in einem hochherrsc­haftlichen Haus die Vordertrep­pe raufgehen und der Portier hat nicht einmal die Courage, dich zu fragen, wieso und zu wem – das, sage ich dir, das mußt du mir beibringen.“

„Ich glaub’ immer, du kannst das alles schon. Du hast sicher in deinem Leben mehr Sekt gesoffen als ich.“

„Sicher… aber eben gesoffen… aber eben mit Huren. Sekt trinken, weißt du, und dabei ’ne Unterhaltu­ng führen mit ’ner richtigen Dame und ihr nicht schon nach dem dritten Glas in den Ausschnitt fassen – so was will ich lernen!“

»13. Fortsetzun­g folgt

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany