Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Wie erkennt man Demenz?
Gesundheit Jeder zehnte Bayer über 65 Jahre leidet an der heimtückischen Erkrankung. Bei welchen Auffälligkeiten man hellhörig werden sollte und wie die Prognose ist
Augsburg Eines Tages kippte sie die Kaffeebohnen einfach in einen Kochtopf. Sie wollte sich einen Kaffee machen, wusste aber beim besten Willen nicht mehr, wie das geht. Nachts sperrte sie sich in ihrem Schlafzimmer ein, weil sie Angst hatte, dass fremde Menschen im Haus seien. Und dann kam der Tag, an dem sie ihren Enkel ansah, den Buben, den sie großgezogen hatte – und nicht mehr wusste, wer er war. Geschichten wie die von der alten Dame kann Ingrid Witte zuhauf erzählen. Von Menschen, die merkwürdig werden. Die die Gegenwart jeden Tag ein Stück weit mehr zurücklassen und in Gedanken wieder Kind sind. Die die eigene Familie vergessen. Und irgendwann sich selbst.
Witte ist die stellvertretende Vorsitzende der Alzheimer Gesellschaft im Landkreis Dillingen. „Das Schlimme ist, dass man es einfach nicht wahrhaben will“, sagt sie. Ihrer Meinung nach wird in der Gesellschaft bisher viel zu wenig über das Thema Demenz gesprochen. „Man beschäftigt sich ja erst damit, wenn man einen akuten Anlass hat. Aber ich denke, dass Aufklärung dringend erforderlich ist. Die Problematik muss enttabuisiert werden.“
Vor allem auch deswegen, weil so viele Menschen betroffen sind. In Bayern leidet etwa jeder zehnte alte Mensch an Demenz. Das geht aus einer erstmals vorgelegten Datensammlung des bayerischen Gesundheitsministeriums hervor. Konkret
2032 werden es 340000 Demenzpatienten sein
ist darin zu lesen, dass bei 10,3 Prozent der gesetzlich versicherten Männer und Frauen über 65 Jahren eine Demenz diagnostiziert wurde. Das sind rund 230 000 Menschen im Freistaat. Nach Einschätzung von Experten wird sich diese Zahl bis 2020 auf rund 270000 und bis zum Jahr 2032 auf etwa 340 000 erhöhen. Ab einem Alter von 85 Jahren ist dem aktuellen Bericht zufolge sogar jeder Vierte betroffen, Frauen etwas häufiger als Männer.
Als Demenz wird eine Beeinträchtigung der geistigen Leistungsfähigkeit bezeichnet. Die häufigste Form ist die Alzheimer-Demenz, an der etwa zwei Drittel der Patienten leiden. „Eine Alzheimer-Erkrankung beginnt schleichend und verschlechtert sich in der Regel mit der immer mehr“, sagt Anne Hiedl, Oberärztin am Bezirkskrankenhaus Augsburg und Leiterin der Gerontopsychiatrischen Ambulanz. Frühe Symptome, die einen hellhörig werden lassen sollten, sind eine gewisse Vergesslichkeit, das Verlegen von Dingen oder Schwierigkeiten, Diskussionen in Gesprächsrunden zu folgen. „Viele Menschen haben auf einmal auch Probleme, komplexe Alltagsangelegenheiten zu erledigen, wie zum Beispiel eine Reisebuchung“, sagt Hiedl. „Außerdem kann das Interesse für Hobbys wie Sport oder das Engagement in einem Verein verschwinden. Hinzu kommt oft eine unerklärliche Reizbarkeit.“
Hiedl sagt aber auch deutlich, dass sich nicht hinter jeder Gedächtnisstörung eine Demenz verbergen muss. „Das kann auch altersbedingt sein. Aber wenn der Alltag beeinträchtigt wird und die Probleme immer mehr zunehmen, sollte man zum Arzt gehen.“Nicht selten, erklärt die Expertin weiter, komme der dann aber zu einer ganz anderen Diagnose: Hinter den Beschwerden kann auch eine Depression stecken.
Was die Ursachen für eine Alzheimer-Erkrankung sind, ist noch nicht vollständig geklärt. „Ablagerungen von Eiweiß im Gehirn spielen eine Rolle. Aber der Krankheitsprozess ist noch nicht vollständig entschlüsselt“, sagt Hiedl. Bei anderen Demenzerkrankungen können Hirnblutungen oder Schlaganfälle die Auslöser sein. „Deswegen ist die Behandlung von Risikofaktoren, etwa hohem Blutdruck, besonders wichtig. Förderlich ist auch körperliche Bewegung und der Verzicht auf Nikotin und Alkohol. Und man sollte sein Gehirn in Schwung halten.“
Bislang ist eine Demenz nicht heilbar. Mit den derzeit verfügbaren Medikamenten wird erreicht, dass sich der Prozess um ein oder zwei Jahre verzögert. Wie schnell sich der Zustand eines Patienten verschlechtert und wie schlimm die Symptome werden, könne man nicht pauschal sagen, das hänge von der Demenzform ab, sagt Hiedl. GeZeit nerell aber gehe man von einer durchschnittlichen Überlebenszeit von etwa acht Jahren aus – Hiedl kennt aber auch Menschen, die 20 Jahre mit einer Demenz gelebt haben. Die Patienten sterben dann auch nicht direkt an der Demenz, sondern an Begleiterkrankungen, etwa Problemen mit dem HerzKreislauf-System oder an einer Lungenentzündung, die durch Bettlägerigkeit ausgelöst werden kann.
Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen bräuchten ein Umfeld, das sie auffängt und ihnen die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ermöglicht, sagt Bayerns Gesundheitsministerin Melanie Huml (CSU). „Dabei sind wir als Gesellschaft insgesamt gefragt.“Demenz dürfe kein Tabuthema sein, die Bedürfnisse und Ängste der betroffenen Menschen sollten Gehör finden. Diesem Ziel diene auch der mit insgesamt 6000 Euro dotierte Bayerische Demenzpreis für innovative Projekte für Erkrankte und Angehörige, der am 14. Mai verliehen wird.