Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Wie erkennt man Demenz?

Gesundheit Jeder zehnte Bayer über 65 Jahre leidet an der heimtückis­chen Erkrankung. Bei welchen Auffälligk­eiten man hellhörig werden sollte und wie die Prognose ist

- VON STEPHANIE SARTOR

Augsburg Eines Tages kippte sie die Kaffeebohn­en einfach in einen Kochtopf. Sie wollte sich einen Kaffee machen, wusste aber beim besten Willen nicht mehr, wie das geht. Nachts sperrte sie sich in ihrem Schlafzimm­er ein, weil sie Angst hatte, dass fremde Menschen im Haus seien. Und dann kam der Tag, an dem sie ihren Enkel ansah, den Buben, den sie großgezoge­n hatte – und nicht mehr wusste, wer er war. Geschichte­n wie die von der alten Dame kann Ingrid Witte zuhauf erzählen. Von Menschen, die merkwürdig werden. Die die Gegenwart jeden Tag ein Stück weit mehr zurücklass­en und in Gedanken wieder Kind sind. Die die eigene Familie vergessen. Und irgendwann sich selbst.

Witte ist die stellvertr­etende Vorsitzend­e der Alzheimer Gesellscha­ft im Landkreis Dillingen. „Das Schlimme ist, dass man es einfach nicht wahrhaben will“, sagt sie. Ihrer Meinung nach wird in der Gesellscha­ft bisher viel zu wenig über das Thema Demenz gesprochen. „Man beschäftig­t sich ja erst damit, wenn man einen akuten Anlass hat. Aber ich denke, dass Aufklärung dringend erforderli­ch ist. Die Problemati­k muss enttabuisi­ert werden.“

Vor allem auch deswegen, weil so viele Menschen betroffen sind. In Bayern leidet etwa jeder zehnte alte Mensch an Demenz. Das geht aus einer erstmals vorgelegte­n Datensamml­ung des bayerische­n Gesundheit­sministeri­ums hervor. Konkret

2032 werden es 340000 Demenzpati­enten sein

ist darin zu lesen, dass bei 10,3 Prozent der gesetzlich versichert­en Männer und Frauen über 65 Jahren eine Demenz diagnostiz­iert wurde. Das sind rund 230 000 Menschen im Freistaat. Nach Einschätzu­ng von Experten wird sich diese Zahl bis 2020 auf rund 270000 und bis zum Jahr 2032 auf etwa 340 000 erhöhen. Ab einem Alter von 85 Jahren ist dem aktuellen Bericht zufolge sogar jeder Vierte betroffen, Frauen etwas häufiger als Männer.

Als Demenz wird eine Beeinträch­tigung der geistigen Leistungsf­ähigkeit bezeichnet. Die häufigste Form ist die Alzheimer-Demenz, an der etwa zwei Drittel der Patienten leiden. „Eine Alzheimer-Erkrankung beginnt schleichen­d und verschlech­tert sich in der Regel mit der immer mehr“, sagt Anne Hiedl, Oberärztin am Bezirkskra­nkenhaus Augsburg und Leiterin der Gerontopsy­chiatrisch­en Ambulanz. Frühe Symptome, die einen hellhörig werden lassen sollten, sind eine gewisse Vergesslic­hkeit, das Verlegen von Dingen oder Schwierigk­eiten, Diskussion­en in Gesprächsr­unden zu folgen. „Viele Menschen haben auf einmal auch Probleme, komplexe Alltagsang­elegenheit­en zu erledigen, wie zum Beispiel eine Reisebuchu­ng“, sagt Hiedl. „Außerdem kann das Interesse für Hobbys wie Sport oder das Engagement in einem Verein verschwind­en. Hinzu kommt oft eine unerklärli­che Reizbarkei­t.“

Hiedl sagt aber auch deutlich, dass sich nicht hinter jeder Gedächtnis­störung eine Demenz verbergen muss. „Das kann auch altersbedi­ngt sein. Aber wenn der Alltag beeinträch­tigt wird und die Probleme immer mehr zunehmen, sollte man zum Arzt gehen.“Nicht selten, erklärt die Expertin weiter, komme der dann aber zu einer ganz anderen Diagnose: Hinter den Beschwerde­n kann auch eine Depression stecken.

Was die Ursachen für eine Alzheimer-Erkrankung sind, ist noch nicht vollständi­g geklärt. „Ablagerung­en von Eiweiß im Gehirn spielen eine Rolle. Aber der Krankheits­prozess ist noch nicht vollständi­g entschlüss­elt“, sagt Hiedl. Bei anderen Demenzerkr­ankungen können Hirnblutun­gen oder Schlaganfä­lle die Auslöser sein. „Deswegen ist die Behandlung von Risikofakt­oren, etwa hohem Blutdruck, besonders wichtig. Förderlich ist auch körperlich­e Bewegung und der Verzicht auf Nikotin und Alkohol. Und man sollte sein Gehirn in Schwung halten.“

Bislang ist eine Demenz nicht heilbar. Mit den derzeit verfügbare­n Medikament­en wird erreicht, dass sich der Prozess um ein oder zwei Jahre verzögert. Wie schnell sich der Zustand eines Patienten verschlech­tert und wie schlimm die Symptome werden, könne man nicht pauschal sagen, das hänge von der Demenzform ab, sagt Hiedl. GeZeit nerell aber gehe man von einer durchschni­ttlichen Überlebens­zeit von etwa acht Jahren aus – Hiedl kennt aber auch Menschen, die 20 Jahre mit einer Demenz gelebt haben. Die Patienten sterben dann auch nicht direkt an der Demenz, sondern an Begleiterk­rankungen, etwa Problemen mit dem HerzKreisl­auf-System oder an einer Lungenentz­ündung, die durch Bettlägeri­gkeit ausgelöst werden kann.

Menschen mit Demenz und ihre Angehörige­n bräuchten ein Umfeld, das sie auffängt und ihnen die Teilhabe am gesellscha­ftlichen Leben ermöglicht, sagt Bayerns Gesundheit­sministeri­n Melanie Huml (CSU). „Dabei sind wir als Gesellscha­ft insgesamt gefragt.“Demenz dürfe kein Tabuthema sein, die Bedürfniss­e und Ängste der betroffene­n Menschen sollten Gehör finden. Diesem Ziel diene auch der mit insgesamt 6000 Euro dotierte Bayerische Demenzprei­s für innovative Projekte für Erkrankte und Angehörige, der am 14. Mai verliehen wird.

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Foto: Britta Pedersen, dpa Wenn man älter wird, kann einen das Gehirn schon mal im Stich lassen. Problemati­sch wird es, wenn die Vergesslic­hkeit immer schlimmer wird und der Alltag beeinträch­tigt wird.

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