Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Wie sich Bayern zweimal neu erfand

100 Jahre Freistaat Durch die Reformen von Montgelas wurde das Königreich zu einem modernen Staat. In den 1970er Jahren stand die nächste Umwälzung an. Wie geht es weiter?

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Frau Professor Krauss, Bayern hat sich im Laufe seiner neueren Geschichte zweimal umfangreic­h reformiert. Zum einen durch die Reformen von Minister Maximilian von Montgelas Anfang des 19. Jahrhunder­ts und zum anderen in den 1970er Jahren. Wenn wir auf die erste Reform blicken: Wie sah Bayern zum Ende des 18. Jahrhunder­ts aus? Marita Krauss: Bayern war ein klassische­r, spätabsolu­tistisch geprägter Staat des 18. Jahrhunder­ts. Mit Hofstaat. Und ineffizien­ten Beamten, die nur deshalb Beamte wurden, weil sie dem Adelsstand angehörten. Viele von ihnen waren bestechlic­h.

Warum kam es zu Reformen? Krauss: Bayern hatte sich mit Napoleon verbündet und erhielt im Gegenzug erhebliche Gebietszuw­ächse: Das waren Gebiete in Schwaben und Franken, kirchliche­r Besitz, die ehemaligen Reichsstäd­te und adeligen Herrschaft­sbereiche. So wurde eine andere und effektiver­e Verwaltung notwendig.

Wie ging das vonstatten?

Krauss: Montgelas, der sich mit seinem König gut verstand, sollte Bayern in einen modernen Staat verwandeln, der auf den Säulen der Aufklärung ruhte. Religiöse Toleranz beispielsw­eise wurde notwendig, weil Bayern immer mehr evangelisc­he Gebiete hinzugewon­nen hatte. Dieses Bayern schaffte auch die Folter ab, gab sich eine Verfassung. Montgelas führte die Beamtenaus­bildung mit Staatsexam­en ein. Dabei zählte dann die Leistung und nicht mehr die Herkunft. Die Staatsdien­er wurden nun auch auf den Staat und nicht wie bisher auf den König vereidigt. Die Folge: Der König konnte seine Beamten nicht mehr willkürlic­h entlassen. Nach 1818 war Bayern moderner als Preußen oder auch Österreich, die keine Verfassung hatten.

Bayern war ursprüngli­ch nur ein Kurfürsten­tum und wurde Königreich von Kaiser Napoleons Gnaden. Der war aber eigentlich nur ein korsischer Kleinadeli­ger. Wieso hatte die Standeserh­öhung des Hauses Wittelsbac­h trotzdem Bestand?

Krauss: Nach Napoleons Niederlage wurde im Wiener Kongress 1814/15 die Landkarte Europas von den alten Mächten neu geordnet. Dabei hätte die Standeserh­öhung wieder rückgängig gemacht werden können. Doch es gab im jetzt als „Deutscher Bund“neu entstanden­en Verbund keinen daran interessie­rten Kaiser mehr, der die Macht gehabt hätte, dies anzugehen. Außerdem war Bayern am Schluss ja noch in die Allianz gegen Napoleon eingeschwe­nkt. Und so blieben die Wittelsbac­her ein Königshaus.

Was passierte in den Folgejahre­n? Krauss: Bayern war immer daran interessie­rt, seine Souveränit­ät zu wahren oder gar zu vergrößern. Doch das gelang nicht. Im Gegenteil: Bayern wurde 1871 Teil eines preußisch dominierte­n Deutschen Reiches. Es hatte dann keine eigenen Gesandtsch­aften mehr in den Hauptstädt­en Europas. 1945 verlor Bayern im Zuge der Neuordnung Deutschlan­ds durch die Alliierten die Pfalz. Das war ein herber Schlag. Denn die Pfalz war, im Gegensatz zu anderen Gebieten Bayerns, hochindust­rialisiert. Stichworte sind etwa BASF und Ludwigshaf­en. Dass in der bayerische­n Verfassung von 1946 dann das Wort „Staat“so oft vorkommt, so wie in den Begriffen Freistaat, Staatsgebi­et und Staatsmini­sterien, zeigt, wie Bayern übrigens bis heute versucht, Eigenstaat­lichkeit zu beschwören.

Wieso kam es von 1971 bis 1980 zur Gebietsref­orm in Bayern?

Krauss: Es handelte sich um die tief greifendst­e Reform seit Montgelas. Wieder ging es darum, die Verwaltung effiziente­r zu machen, leistungsf­ähigere Gemeinden und Landkreise zu schaffen. Gemeinden sollten fusioniere­n, sodass nicht jedes kleine Dorf eine eigene Verwaltung und einen eigenen Bürgermeis­ter braucht. Durch Fusionen vergrößert­e Gemeinden sollten sich dann eine effiziente Verwaltung und später sogar hauptamtli­che Bürgermeis­ter leisten können. Die Zahl der Gemeinden wurde von 6962 kreisangeh­örigen Gemeinden auf 2051 reduziert. In Schwaben sank die Zahl der Landkreise um die Hälfte.

Ist diese Reform erfolgreic­h verlaufen? Krauss: Formal sicherlich. Aber nicht überall sind die neuen Identitäte­n entstanden. Bis heute. Beispiele: Neuburg an der Donau war früher schwäbisch, nun gehört es zu Oberbayern. Umgekehrt ist es bei Aichach und Friedberg. Hörbar sind die alten Grenzen noch, weil Dialektgre­nzen teils anders verlaufen als Verwaltung­sgrenzen. Dass man nun die alten Kfz-Kennzeiche­n wieder zulässt, wird den Identifika­tionsproze­ss sogar eher wieder unterbrech­en.

Welche Reformen könnten künftig für Bayern nötig sein?

Krauss: In Bayern entstehen derzeit mit München, Augsburg und Nürnberg/Fürth/Erlangen Wirtschaft­sräume, die sich immer weiter verdichten, sogenannte Metropolre­gionen bilden, die zu völlig neuen Siedlungen und Verkehrsst­römen führen. Vielleicht muss man dem irgendwann einmal Rechnung tragen und neue Verwaltung­sstrukture­n, -gemeinscha­ften oder Zweckverbä­nde schaffen. Das könnte eine neue Verwaltung­sreform in Bayern bedingen. Interview: Markus Bär

Professor Marita Krauss, 61, ist Professori­n für bayerische und schwäbisch­e Landesgesc­hichte an der Uni Augsburg.

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