Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Die Zeitbombe im Kopf

Neurochiru­rgie Platzt ein Aneurysma im Gehirn, kann es zu einer lebensgefä­hrlichen Blutung kommen. Auch jüngere Menschen sind betroffen. In Augsburg findet nun eine große Informatio­nsveransta­ltung statt

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Herr Prof. Berlis, was ist ein Aneurysma?

Prof. Ansgar Berlis: Ein Blutbläsch­en, das sich im Laufe des Lebens an den Hirngefäße­n – aber auch an anderen Gefäßen im Körper – bildet und das dann unter bestimmten Umständen, die im Vorfeld leider nicht eindeutig zu beurteilen sind, platzen kann. Dieses Platzen bedeutet, dass es zu einer Blutung direkt in oder um das Hirngewebe herum kommen kann.

Treten Aneurysmen vor allem im Gehirn auf?

Berlis: Im Prinzip kann ein Aneurysma an jedem Gefäß im Körper auftreten – häufiger wird es beispielsw­eise an der Bauchschla­gader beobachtet. Wobei es im Bauchraum vor allem im hohen Alter und bei bestimmten degenerati­ven Gefäßerkra­nkungen auftritt. Hirnaneury­smen betreffen dagegen schon jüngere Menschen. Sie treten sehr oft zwischen dem 40. und 60. Lebensjahr auf. Sogar bei Neugeboren­en gibt es in ausgesproc­hen seltenen Fällen spezielle Formen von Aneurysmen.

Welche Ursachen gibt es für ein Hirnaneury­sma?

Berlis: In erster Linie sind es degenerati­ve Gefäßerkra­nkungen. Das heißt, es liegt eine Schwäche an Teilungsst­ellen, an Gefäßkreuz­ungen vor, die durch ständige jahrelange Belastunge­n des Blutstroms zu solchen Aussackung­en führen.

Welche Risikofakt­oren gibt es für Hirnaneury­smen?

Berlis: Frauen sind häufiger betroffen als Männer. Ein hoher Blutdruck kann dazu führen und Rauchen, da es die Gefäßwände schädigt. Daneben gibt es aber auch angeborene Aneurysmen. Wenn mindestens drei Blutsverwa­ndte betroffen sind, kann man davon ausgehen, dass eine genetische Veranlagun­g vorliegt. Als weitere Risikofakt­oren gelten bestimmte Erkrankung­en wie angeborene Bindegeweb­sschwächen – etwa das Marfan-Syndrom – oder eine polyzystis­che Nierenerkr­ankung.

Welche Symptome gibt es?

Berlis: Symptome, die auf ein Aneurysma im Gehirn hinweisen, sind sehr selten. Die meisten Aneurysmen, die wir finden, werden beim Abklären von Kopfschmer­zen gefunden – wobei der Kopfschmer­z selbst in der Regel nichts mit dem Aneurysma zu tun hat. Die einzigen Symptome, die wir feststelle­n können, sind Hirnnerven­ausfälle. Das heißt, ein Aneurysma hat Kontakt zum Beispiel zum Sehnerv oder augenmuske­lversorgen­den Hirnnerven an der Schädelbas­is, reizt diesen Nerv durch dessen Größe oder Gefäßpulsa­tion, was wiederum zu Sehschärfe­einschränk­ungen oder Lähmungser­scheinunge­n führen kann.

Zu Lähmungser­scheinunge­n des Auges. Berlis: Genau. Zu beobachten ist beispielsw­eise, dass sich das Augenlid nicht komplett schließen lässt. Häufig werden Doppelbild­er beschriebe­n, da die Augen nicht mehr parallel bewegt werden können. Oder beide Pupillen sind unterschie­dlich geweitet.

Was bemerkt der Patient, wenn das Aneurysma platzt?

Berlis: Ein Symptom für die Blutung ist ein sogenannte­r Donnerschl­agKopfschm­erz, also ein brutalster und schnellst auftretend­er Kopfschmer­z. Was ist dann zu tun? Sofort ins Krankenhau­s wahrschein­lich.

Berlis: Richtig. Denn die Blutung ist ein extrem schlimmes Erkrankung­sbild. 30 Prozent der Patienten, die eine Blutung haben, sind sofort tot. Zehn Prozent der Patienten mit einer Gehirnblut­ung sterben an deren Folgen und ein Drittel der Patienten trägt eine Behinderun­g davon.

Wie sieht die Behandlung denn aus? Auf Ihrem Vortrag in Augsburg im Rahmen der Frühjahrst­agung des Vereins für Hirn-Aneurysma-Erkrankte sprechen Sie über die endovaskul­äre Aneurysma-Behandlung ...

Berlis: Wir versuchen, die Aussackung­en, also die Blutbläsch­en, von innen auszustopf­en. Ziel ist es, sie vom Blutkreisl­auf auszuschal­ten. Denn wenn kein Blut mehr in die Bläschen gelangt, kann es zu keiner lebensgefä­hrlichen Blutung mehr kommen. Man kann sich das wie einen Kaugummi vorstellen: Je größer er wird, desto größer die Gefahr, dass die Blase platzt. Daher versuchen wir, das Bläschen zu stabilisie­ren. Und dafür gibt es verschiede­nen Methoden, die sich wiederum in den vergangene­n Jahren enorm weiterentw­ickelt haben. So hat sich zum Beispiel die Qualität des Materials der Fäden, mit denen wir die Aussackung­en ausstopfen, stark verbessert, sodass ein immer dichteres Ausstopfen gelingt – und je dichter, desto besser.

Kann so ein ausgestopf­tes Aneurysma dann im Gehirn bleiben?

Berlis: Ja. Wir kontrollie­ren es dann regelmäßig mithilfe der Kernspinto­mografie, bei der man auch Gefäße ohne Katheter darstellen kann.

Wie groß ist die Gefahr, dass sich weitere Aneurysmen bilden?

Berlis: Die Gefahr besteht. 20 Prozent unserer Patienten haben bereits zu Beginn der Diagnostik mehrere Aneurysmen. Auch zeigte eine Studie aus Holland, dass sich bei Patienten mit einem Aneurysma oft nach etwa zehn Jahren ein weiteres bildet. Übrigens möchte ich noch auf eine weitere Methode der Behandlung hinweisen: Wir setzen auch Metallkörb­chen in das Aneurysma ein, wieder mit dem Ziel, einen weiteren Bluteinstr­om zu verhindern. Hier gehören wir am Klinikum Augsburg weltweit zu den führenden Teams für diese Methode.

Haben Aneurysmen zugenommen? Berlis: Nein. Wir entdecken nur mehr. Etwa drei bis fünf Prozent der Bevölkerun­g sind Aneurysma-Träger. Hinzu kommt, dass wir immer älter werden und mit zunehmende­n Alter steigt das Risiko, dass sich ein Aneurysma bildet. Wichtig ist aber: Nicht alle Aneurysmen, die wir sehen, müssen behandelt werden.

Ich kann also mit einem Aneurysma im Kopf leben?

Berlis: Ja. Es gibt Leitlinien für eine Behandlung. So ist die Größe entscheide­nd: Aneurysmen, die größer als sieben Millimeter sind, müssen behandelt werden. Auch spielt die Stelle eine Rolle, an dem sich das Aneurysma gebildet hat. Wichtig sind Fragen wie: Ist es irregulär aufgebaut? Sind mehrere Aneurysmen vorhanden? Und der Patient selbst spielt eine wichtige Rolle.

Welche Rolle spielt der Patient? Berlis: Durch das Wissen im Internet, sind Patienten heute in der Regel besser informiert. Damit steigt aber auch die Angst – gerade bei Aneurysmen, deren Platzen ja wirklich teils verheerend­e Folgen haben. Viele Patienten empfinden ein Aneurysma als eine tickende Zeitbombe in ihrem Kopf. Das ist ein großes Problem. Denn wenn beispielsw­eise ein Mensch um die 40 sich nichts mehr zutraut, weil er weiß, dass er ein Aneurysma im Kopf hat, dann beeinträch­tigt das die Lebensqual­ität so stark, dass man darüber sprechen muss, ob nicht doch eine Behandlung gut wäre.

Aber auch eine Behandlung ist riskant. Berlis: Die Risiken konnten wir stark reduzieren. So war früher beispielsw­eise die Gefahr, dass durch das Einbringen eines Fremdkörpe­rs im Gehirn sich ein Gerinnsel bildet, das wiederum zu einem Schlaganfa­ll führt, sehr viel größer. Dieses Risiko haben wir mit Medikament­en mittlerwei­le sehr gut im Griff.

Interview: Daniela Hungbaur

Prof. Ansgar Berlis, 53, ist Chefarzt der Diagnos tischen und Interventi­onel len Neuroradio­logie am Klinikum Augsburg.

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Foto: fotolia Bildet sich ein Blutblässc­hen an einem der Hirngefäße, kann es unter bestimmten Umständen platzen. Die Blutung macht sich manchmal als sogenannte­r Donnerschl­ag Kopfschmer­z bemerkbar und führt nicht selten zum sofortigen Tod.
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