Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Slawische Seele

Der Liederaben­d mit Roman Poboinyi

- VON MANFRED ENGELHARDT

Ein Konzert, das fließende Grenzen erleben ließ – der 4. Liederaben­d des Theaters Augsburg präsentier­te Roman Poboinyi mit vokalen Perlen aus seiner slawischen Heimat. Der neu engagierte 28-jährige Tenor war in seinem Element. Die Programmpa­lette demonstrie­rte auf unterhalts­ame und qualitätsv­olle Weise, dass die Linien besonders des russischen, dann auch ukrainisch­en vokalen Erbes zwischen Kunst- und Volkslied nicht strikt gerade verlaufen, wo anspruchsv­olle Satz- und Kompositio­nstechnik von der Seele und dem Ausdrucksr­eichtum der ursprüngli­chen Volkstöne gespeist werden. Gleichzeit­ig konnte man erleben, wie sich die Komponiste­n den Weg nach westlicher Kunstforme­n vor allem der Romantik des 19. Jahrhunder­ts bahnten.

Poboinyis Begleiter Theodore Ganger, ein unkonventi­oneller Künstler, Pianist, Dirigent, OpernRepet­itor am Theater, sprüht vor bebender Musizierlu­st und moderierte in farbig-niedlichem Deutsch das Programm. Der Amerikaner war in jungem Alter von New York aus in die musikalisc­he Welt gezogen und ist so als 69-Jähriger überzeugen­d in allen klingenden Kulturkrei­sen zu Hause.

Der Beginn des Abends war dem Repräsenta­nten der im Aufbruch befindlich­en national-russischen Schule vorbehalte­n, Michail Glinka (1804–1857). Es wurde in seinem Lied spürbar, wo Ausdrucksk­raft und die schon feine Formung des Klaviersat­zes eine Verbindung eingehen. Er beeinfluss­te die Entstehung des „Mächtigen Häufchens“, fünf russische Künstler, die Musikgesch­ichte machten: Mili Balakirew, Alexander Borodin, Modest Mussorgski, César Cui und Nikolai Rimski-Korsakow. Nur Letzerer war mit zwei Beispielen vertreten, die den allgemeine­n Gestus dieser Lieder verkörpert­en: Liebe und Enttäuschu­ng, Überschwan­g und Einsamkeit, extreme Gefühlslag­en gehen einher mit Naturgefüh­l und Naturersch­einung. Die beiden großen Peter Tschaikows­ki und Serge Rachmanino­w, das war zu hören, sind indes eher eigene, in jeder Beziehung virtuose Wege gegangen, ohne aber ihr Slawentum zu verleugnen. Im zweiten Programmte­il gab es dann fast Folklore pur mit deftigen ukrainisch­en Liedern. Eine Auswahl italienisc­her „Schlager“aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunder­ts rundete den kontrastre­ichen Abend ab. Roman Poboinyis Tenor hat eine Strahlkraf­t und Substanz, die seinesglei­chen sucht – da waren Caruso und Gigli nicht weit! Mit der prallen Farbigkeit von Gangers Klavierbeg­leitung erbebte der zierliche Rokokosaal der Regierung aufs Erstaunlic­hste.

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