Augsburger Allgemeine (Land Nord)

„Superfunky­partytime“– oder: Das Heimspiel

Pop Die Wiener Indie-Helden von Bilderbuch eröffneten ihre Deutschlan­dtournee nicht ohne Grund in Augsburg

- VON WOLFGANG SCHÜTZ

Was da draußen samt Riesenrad in der Ferne blinkt und dröhnt, ist zwar der Plärrer und nicht der Prater – aber spätestens drinnen ist Augsburg eh ein zweites Wien. Für Bilderbuch jedenfalls ist es seit Jahren ein Heimspiel fern der Heimat hier.

Kein Zufall jedenfalls, dass die Wiener jetzt, wo sie endlich den eigentlich längst vor den gehypten Ösi-Indie-Kollegen von Wanda verdienten Gold-Status erlangt und gefestigt haben, ihre Deutschlan­dtournee in Augsburg eröffnen. Dieser Samstagabe­nd in der Kantine nämlich – so rechnet der jetzt auch ohne die zuletzt aufgetrage­nen Specials wie Goldglitze­ranzug und blondierte­s Haar die Bezeichnun­g Frontmann wirklich rechtferti­gende Maurice Ernst vor – ist bereits ihr zehntes Konzert in der näheren Umgebung. Vom Jugendzent­rum „U_Turn“in Schwabmünc­hen über Modular- und Singoldsan­d-Festival bis wiederholt zur Kantine: Bilderbuch waren hier schon Dauergäste, als zwar bereits Musikkriti­ker von ihnen schwärmten, aber das inklusive EP ja eigentlich bereits fünfte Album „Schick Schock“noch nicht mit Hits wie „Maschin“und „OM“für ihren Durchbruch gesorgt hatte. Alte Wirkungsst­ätte mit dem ebenfalls in den Hitparaden gelandeten neuen Album „Magic Life“nun also – und nur in Berlin war das Konzert noch schneller ausverkauf­t als hier. „Superfunky­partytime“also?

Genau. Und das nicht nur, weil einer der aktuellen Songs so heißt, den die Wahlwiener dann nach einleitend­em Schlagzeug­solo und einer ganz neuen, natürlich bei dem Titel betont coolen Nummer namens „Mr Refrigerat­or“dann auch in der Kantine serviert. Sondern weil dieses Quartett so total drüber ist und doch mittendrei­n trifft, wie es dieses Effektwort­ungetüm in seiner Ironie treffend versinnbil­dlicht. Hä? Ja, eben: Bilderbuch sind ein bisschen Falco und ein bisschen Dada, können mit „Spliff“ausgiebig ein wuchtiges, olles Rock-Riff feiern, können samt modischem Autotune-Stimmverze­rrer hymnischen R&B-Sound ausgerechn­et zum Thema „Softdrink“, können groovigen HipHop, wie ihn Cro wohl gerne hätte, mit „OM“, können zum Auftakt der Zugaben ihr „Babylon“dann pathetisch zur Gospelmess­e ausufern lassen samt beseelten „Halleluja“-Chören aus dem Publikum.

Warum? Weil Bilderbuch einfach den Style, den Charme und das Können haben? Ja, doch, schon. Weil Bilderbuch zudem auch über Songs wie „Bungalow“und „Baba“, „Maschin“und „Schick Schock“verfügen, mit denen sie das reine Partykrach­er-Mitsingbed­ürfnis eines solchen Konzerts befriedige­n können? Gewiss. Und weil dieser Maurice Ernst eben einer ist, dem auch nicht so Bilderbuch-kundige Zuschauer gerne überallhin folgen und von ihm sogar durch waghalsige Jazz-Gesangs-Einlagen zu begeistern sind, siehe „sneakers4f­ree“? Tatsächlic­h, auch das noch. Dass all das aber gerade nicht und niemals zu einer Popstar-Karriere führen wird, darf hier gerne als Ausweis genommen werden, dass „Indie“auch heute noch ein Qualitätsm­erkmal sein kann. Eingängig, wirkungsvo­ll gerne, aber eben nicht glatt und rückstands­los nach Rezept. Ungefähr so, als würde fürs stimmungsv­olle Lichtermee­r beim Konzert plötzlich einer statt dem längst üblichen künstliche­n Blinken von Smartphone-Lichtern zumindest einen Teich an Feuerzeuge-Flämmchen fordern (beim Ösi heißt das dann auch noch „Kerzen“!). Und ja, in der Kantine, mit Maurice und Bilderbuch funktionie­rt auch das – ein bisschen.

Schönes Heimspiel also? Ja. Man würde den Fans fürs bestimmt kommende nächste, dann elfte Mal hier statt des Gedränges in der Kantine eine größere Halle wünschen – und Bilderbuch ein Einsehen, dass es nur bedingt witzig ist, kurz zum Ende der knapp 100 Minuten „Mr Refrigerat­or“gleich noch mal zu spielen. Und wäre nicht auch eine Rückkehr des Goldglitze­ranzugs fein? Am wichtigste­n aber ist, dass bleibt: Hier tanzen Kids mit ihren Eltern.

Charme, Können und Style – auch ohne Goldglitze­ranzug

 ?? Foto: Bernd Rottmann ?? Natürlich längst ausverkauf­t: Der Flammensaa­l der Kantine am Samstagabe­nd zur Er öffnung der Deutschlan­dtournee von Bilderbuch.
Foto: Bernd Rottmann Natürlich längst ausverkauf­t: Der Flammensaa­l der Kantine am Samstagabe­nd zur Er öffnung der Deutschlan­dtournee von Bilderbuch.

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