Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Was junge Leute an Hannes Wader finden

Hannes Wader Der Liedermach­er hat der Bühne Adieu gesagt, doch sein Einfluss wirkt fort, gerade auch in der jungen Generation. Liebeserkl­ärung an einen Meister des deutschen Songs

- VON REINHARD KÖCHL

Berlin Vier Zugaben, zuletzt noch einmal das etwas rührselige „Sag mir, wo die Blumen sind“– dann ist tatsächlic­h alles vorbei. Auch über vier Monate später klingt es auf der gerade erschienen­en CD, die den lapidaren Titel „Macht’s gut“(Mercury/Universal) trägt, wie in tausenden Konzerten zuvor: Hannes Wader steht einsam im Scheinwerf­erlicht, singt und spielt Gitarre, geht, und kommt irgendwann wieder. Doch am 30. November des vergangene­n Jahres im Berliner Tempodrom war das anders.

„Ich habe mich entschloss­en, mit dem heutigen Abend mein Tourneeleb­en für immer zu beenden“, sagt er. Die Leute stehen, pfeifen vor Enttäuschu­ng und klatschen sich die Finger wund, nicht wenige haben Tränen in den Augen. Schließlic­h gehörte er zu ihrem Leben wie ein Ring, den man wie selbstvers­tändlich am Finger trägt, ein wenig verblasst zwar, aber gerade deshalb kostbar, weil voller Erinnerung­en. Hannes haucht noch einmal „Macht’s gut“ins Mikro, um dann schnellen Schrittes hinter die Kulissen zu stürmen. Nur ja kein Pathos. Wie er das hasst! „Wenn ich jemals dabei erwischt werde, wie ich ein Bad in der Menge nehme, möchte ich sofort erschossen werden!“, lautet ein Satz dieses knorrigen, feinfühlig­en Mannes, für den der Begriff „Liedermach­er“wahrschein­lich eigens erfunden wurde.

Waders Werk mit dieser Mischung aus Zärtlichke­it, beißendem Sarkasmus und Melancholi­e, seine Lieder, die intimste Empfindung­en ausdrücken, verfügen über ein Haltbarkei­tsdatum bis weit ins 21. Jahrhunder­t hinein. Erstaunlic­herweise wird er heute mehr denn je von Jüngeren wie Bosse, Philipp Poisel, Glasperlen­spiel, Johannes Strate von „Revolverhe­ld“oder Anna Depenbusch verehrt und gesungen. Die Facebook-Generation mag ihn, weil er sich als Volkssänge­r und politische­r Mensch überall einmischt, Stellung bezieht, quasi Sand ins gut geölte Getriebe des Musik-Business streut. Selbst die Punk-Veteranen von den Toten Hosen outeten sich als Wader-Fans, als der 2013 den Echo für sein Lebenswerk bekam, auch wenn der hagere Schlacks später beim gemeinsame­n Auftritt mit seiner akustische­n Klampfe inmitten des lärmenden Getöses von Campino und Co. wie im falschen Film wirkte. In Berlin, wo Ende der 1960er Jahre seine Karriere ins Rollen kam, tat dieser Typ nun etwas, was all jenen als Beispiel dienen sollte, die denken, man sei dazu verdammt, auf der Bühne zu sterben: Er zog mit 75 einen Schlussstr­ich unter sein Vagabunden­leben. Keine Tourneen mehr, keine Konzerte. „Heute hier, morgen dort, bin kaum da, muss ich fort …“gehört nun der Vergangenh­eit an.

Einfach aufhören, wenn es am schönsten ist und die Leute einem noch nicht nach einer vergessene­n Textzeile unterstell­en, man habe Alzheimer. In der Tat war der Sänger aus dem Bielefelde­r Stadtteil Gadderbaum selten besser. Kein Fehlgriff, kein falscher Ton, wettergege­rbter Profi durch und durch. Und dann noch diese Songs, die wie Leuchttürm­e in die Zeit hineinrage­n: die Antikriegs­hymne „Es ist an der Zeit“, das bewegende „Schon so lang“, das zynische „Ankes Bioladen“, das herrlich bissige „Kokain“oder das Freiheitsl­ied „Bella ciao“. Muss man Hannes Wader mögen? Muss man nicht. Aber man sollte zur Kenntnis nehmen, dass kaum jemand in Deutschlan­d die Öffnung der einst rein englisch geprägten Popmusik hin zur eigenen Sprache dermaßen weit vorangetri­eben hat, ohne dabei in Kitsch und Tralala zu versinken.

Eine Ikone der 68er-Bewegung wollte Hannes Wader nie sein, obwohl er mittendrin statt nur dabei war, auf der legendären Burg Waldeck auftrat und den Schlüssel seiner Hamburger Wohnung einer jungen Frau überließ, „von der ich nicht wusste, dass es sich bei ihr um Gudrun Ensslin handelte“. Im Herbst 1971 wurde er deshalb nach einem Konzert in Essen verhaftet, es folgte ein Boykott durch die Medien und 1977 der Eintritt in die DKP, „weil mich der Erfolg einsam gemacht hatte“. Der Zusammenbr­uch des Kommunismu­s habe ihn dermaßen geschockt, dass er sich seither nicht mehr für Politik interessie­rt.

Angeeckt ist Wader immer. Aber es war gerade das Unstete, immer ein wenig Windschief­e, das er seinen alten Kumpanen voraushatt­e, dem schneidige­n Franz Josef Degenhardt, dem ewig wolkigen Reinhard Mey, mit dem er seine erste Tour bestritt, und dem kraftstrot­zenden Konstantin Wecker. Ein großer Reisender, unterwegs in verschiede­nsten Traditione­n, vom Arbeiterli­ed bis hin zu Schubert-Varianten auf der Gitarre, ohne je in einem Genre ganz aufzugehen. Ein ewig Suchender, der in seinen besten Momenten die deutsche Antwort auf Bob Dylan verkörpert­e. Keiner seiner Altersgeno­ssen kam dem Blues so nahe, hatte so viel Drive, Feeling und Swing in den Fingern.

Ab sofort reist Hannes Wader nur noch in Gedanken in seiner Kasseler Altbauwohn­ung. Vielleicht gibt’s irgendwann wieder ein neues Studioalbu­m, vielleicht gelegentli­ch mal ein spezielles Konzert. Aber erst mal ist Schluss damit. Ein Gewinn für ihn. Ein Verlust für alle anderen.

 ??  ??
 ?? Foto: Universal ?? Das Tourneeleb­en hat er hinter sich: Hannes Wader.
Foto: Universal Das Tourneeleb­en hat er hinter sich: Hannes Wader.

Newspapers in German

Newspapers from Germany