Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Geschlecht legt jeder selbst fest
Portugiesen wagen umstrittene Reform
EWF fürchten die Kritiker ein neues Instrument zur Umverteilung von Milliarden, das dann der EUKommission untersteht, sodass die Geberstaaten kaum noch etwas mitzureden haben, aber zahlen müssen.
Wie könnte das verhindert werden?
Der wichtigste Vorschlag lautet, den nationalen Parlamenten der Länder, die den ESM gefüttert haben, ein Mitspracherecht zu geben. Dann könnte der Bundestag letztlich entscheiden, ob die Finanzen für ein bestimmtes Vorhaben genutzt werden oder nicht.
Besteht denn die Gefahr, dass die Kommission das Geld leichtfertiger ausgibt?
Es gibt diese Befürchtungen. Deshalb wollen die Gegner dieser Um- wandlung erreichen, dass Zuschüsse aus Brüssel auch künftig (wie zum Beispiel in Griechenland geschehen) an politische und demokratische Reformen gebunden sind. Urheber dieser Forderung ist der frühere Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, der stets die Auffassung vertreten hat, dass die Kommission das Geld lockerer ausgibt, während die Finanzminister deutlich strenger handeln würden.
Deutschland befürchtet also, dass sich andere Länder auf dem Umweg über Brüssel Steuergelder holen, ohne gleichzeitig bei sich selbst die notwendigen politischen Reformen anzugehen?
Das ist der Punkt. Er spielt bei der gemeinsamen Einlagensicherung, also der Haftung der deutschen Spaeinen rer für marode Banken in anderen EU-Ländern, ebenso eine Rolle wie bei der Frage, ob es zu einem EWF kommt. Die Bundesregierung lehnt eine gemeinsame Verantwortung in allen diesen Bereichen zwar nicht rundweg ab. Sie besteht aber darauf, dass zuerst die Banken ebenso wie die Staaten saniert werden müssen, weil ansonsten die Gefahr einer dauerhaften Alimentierung anderer zu groß sei.
Warum ist der EWF gerade jetzt ein Thema?
Die Staats- und Regierungschefs der EU haben beschlossen, bei ihrem Juni-Gipfeltreffen Beschlüsse zu fassen. Sie wollen bis zur Europawahl eine stabilere und prosperierendere Union schaffen, um die Wähler von dem Projekt Europa zu überzeugen. Lissabon Portugal wird in Sachen gesellschaftliche Reformen immer mehr zu einem Vorreiter in Europa. Nun beschloss die sozialistische Minderheitsregierung ein Transgender-Gesetz, das es allen Bürgern über 16 Jahren ermöglicht, ihr in offiziellen Dokumenten eingetragenes Geschlecht frei zu wählen. Medizinische Gutachten, in denen bisher für entsprechende Änderungen eine „gestörte Geschlechteridentität“bescheinigt werden musste, sind dann nicht mehr notwendig. Als Transgender werden Personen bezeichnet, die sich dem jeweils anderen Geschlecht zugehörig fühlen.
„Ein bahnbrechender Schritt“, loben Verbände, die für die Anerkennung und Gleichstellung von Homosexuellen, Bisexuellen und Transgender eintreten. „Mit dem Gesetz wird das Recht auf Selbstbestimmung respektiert und geschützt“, erklärte der internationale Dachverband ILGA Europe. „Das bedeutet, dass endlich anerkannt wird, dass Transgender selbst am besten wissen, wer sie sind und mit welchem Geschlecht sie sich identifizieren.“Ähnliche Regelungen gebe es bisher nur in Malta, Norwegen, Dänemark, Irland und Belgien.
Mit 109 Stimmen der Sozialisten und zweier kleiner Linksparteien, billigte das Parlament die Reform. 106 Nein-Stimmen kamen von den beiden konservativen Parteien. Sie lehnten vor allem ab, dass die freie Geschlechts- und Vornamenswahl ohne ärztliche und psychologische Bescheinigung und schon ab 16 Jahren möglich sein soll.
Portugal ist seit Jahren auf Reformkurs: Abtreibung ist in den ersten zehn Wochen straffrei. Homosexuelle Paare dürfen heiraten und Kinder adoptieren. In Sachen Ehescheidung gilt Portugal als Paradies, weil einvernehmliche Trennungen unbürokratisch und kostengünstig möglich sind. Der nächste Reformschritt könnte eine Liberalisierung der Sterbehilfe sein.