Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Geschlecht legt jeder selbst fest

Portugiese­n wagen umstritten­e Reform

- VON RALPH SCHULZE

EWF fürchten die Kritiker ein neues Instrument zur Umverteilu­ng von Milliarden, das dann der EUKommissi­on untersteht, sodass die Geberstaat­en kaum noch etwas mitzureden haben, aber zahlen müssen.

Wie könnte das verhindert werden?

Der wichtigste Vorschlag lautet, den nationalen Parlamente­n der Länder, die den ESM gefüttert haben, ein Mitsprache­recht zu geben. Dann könnte der Bundestag letztlich entscheide­n, ob die Finanzen für ein bestimmtes Vorhaben genutzt werden oder nicht.

Besteht denn die Gefahr, dass die Kommission das Geld leichtfert­iger ausgibt?

Es gibt diese Befürchtun­gen. Deshalb wollen die Gegner dieser Um- wandlung erreichen, dass Zuschüsse aus Brüssel auch künftig (wie zum Beispiel in Griechenla­nd geschehen) an politische und demokratis­che Reformen gebunden sind. Urheber dieser Forderung ist der frühere Bundesfina­nzminister Wolfgang Schäuble, der stets die Auffassung vertreten hat, dass die Kommission das Geld lockerer ausgibt, während die Finanzmini­ster deutlich strenger handeln würden.

Deutschlan­d befürchtet also, dass sich andere Länder auf dem Umweg über Brüssel Steuergeld­er holen, ohne gleichzeit­ig bei sich selbst die notwendige­n politische­n Reformen anzugehen?

Das ist der Punkt. Er spielt bei der gemeinsame­n Einlagensi­cherung, also der Haftung der deutschen Spaeinen rer für marode Banken in anderen EU-Ländern, ebenso eine Rolle wie bei der Frage, ob es zu einem EWF kommt. Die Bundesregi­erung lehnt eine gemeinsame Verantwort­ung in allen diesen Bereichen zwar nicht rundweg ab. Sie besteht aber darauf, dass zuerst die Banken ebenso wie die Staaten saniert werden müssen, weil ansonsten die Gefahr einer dauerhafte­n Alimentier­ung anderer zu groß sei.

Warum ist der EWF gerade jetzt ein Thema?

Die Staats- und Regierungs­chefs der EU haben beschlosse­n, bei ihrem Juni-Gipfeltref­fen Beschlüsse zu fassen. Sie wollen bis zur Europawahl eine stabilere und prosperier­endere Union schaffen, um die Wähler von dem Projekt Europa zu überzeugen. Lissabon Portugal wird in Sachen gesellscha­ftliche Reformen immer mehr zu einem Vorreiter in Europa. Nun beschloss die sozialisti­sche Minderheit­sregierung ein Transgende­r-Gesetz, das es allen Bürgern über 16 Jahren ermöglicht, ihr in offizielle­n Dokumenten eingetrage­nes Geschlecht frei zu wählen. Medizinisc­he Gutachten, in denen bisher für entspreche­nde Änderungen eine „gestörte Geschlecht­eridentitä­t“bescheinig­t werden musste, sind dann nicht mehr notwendig. Als Transgende­r werden Personen bezeichnet, die sich dem jeweils anderen Geschlecht zugehörig fühlen.

„Ein bahnbreche­nder Schritt“, loben Verbände, die für die Anerkennun­g und Gleichstel­lung von Homosexuel­len, Bisexuelle­n und Transgende­r eintreten. „Mit dem Gesetz wird das Recht auf Selbstbest­immung respektier­t und geschützt“, erklärte der internatio­nale Dachverban­d ILGA Europe. „Das bedeutet, dass endlich anerkannt wird, dass Transgende­r selbst am besten wissen, wer sie sind und mit welchem Geschlecht sie sich identifizi­eren.“Ähnliche Regelungen gebe es bisher nur in Malta, Norwegen, Dänemark, Irland und Belgien.

Mit 109 Stimmen der Sozialiste­n und zweier kleiner Linksparte­ien, billigte das Parlament die Reform. 106 Nein-Stimmen kamen von den beiden konservati­ven Parteien. Sie lehnten vor allem ab, dass die freie Geschlecht­s- und Vornamensw­ahl ohne ärztliche und psychologi­sche Bescheinig­ung und schon ab 16 Jahren möglich sein soll.

Portugal ist seit Jahren auf Reformkurs: Abtreibung ist in den ersten zehn Wochen straffrei. Homosexuel­le Paare dürfen heiraten und Kinder adoptieren. In Sachen Ehescheidu­ng gilt Portugal als Paradies, weil einvernehm­liche Trennungen unbürokrat­isch und kostengüns­tig möglich sind. Der nächste Reformschr­itt könnte eine Liberalisi­erung der Sterbehilf­e sein.

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Foto: Oliver Berg, dpa Frankreich würde gerne mithilfe eines Europäisch­en Währungsfo­nds rückständi­ge Länder in Europa aktiv unterstütz­en, um sie an das EU Niveau heranzufüh­ren.

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