Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Ohne Funk und Navi über dem Ärmelkanal
Prozess Wie ein Münchner in Augsburg eine Maschine charterte und wie sich nach dem dramatischen Zwischenfall herausstellte, dass das Flugzeug schon zuvor technische Probleme hatte. Und wie der Vermieter vor Gericht davon kam
Augsburg „Über den Wolken muss die Freiheit wohl grenzenlos sein. Alle Ängste, sagt man, bleiben darunter verborgen…“besingt Reinhard Mey Glücksgefühle der Flieger. Aber an jenem 18. Juni 2014 war es anders, war das Glück ein anderes über dem Ärmelkanal: Das einmotorige Privatflugzeug war mit Reiseziel London um zehn Uhr vom Augsburger Flughafen gestartet. An Bord ein Münchner Filmproduzent, selbst Pilot, und seine Reisebegleiterin. Nach dreistündiger Flugzeit überquerte die Cirrus SR 20 gerade den Ärmelkanal, als die Avionikund Funksysteme an Bord komplett ausfielen.
Es war eine äußerst brenzlige Situation, noch dazu bei geschlossener Wolkendecke. „Ich habe den Flugschein seit 20 Jahren. Ich weiß nicht, was passiert wäre, wenn ich ihn erst zwei Jahre gehabt hätte“, sagt der Münchner, der gestern vor Amtsrichterin Rita Greser als Zeuge auftritt. Auf der Anklagebank sitzt der frühere Betreiber der Augsburger Flugzeugvermietung Rent A Star. Die Staatsanwaltschaft wirft dem Mann aus Landsberg Gefährdung des Luftverkehrs und versuchten Prozessbetrug vor. Auch wenn es anfangs anders aussieht, endet der Prozess für den 39-Jährigen mit einem Freispruch.
Der Pilot hat vor fast vier Jahren die Nerven behalten. Er steuerte die Maschine zurück ans Festland und konnte unweit Calais auf einem kleinen Flugplatz notlanden. Vor Gericht berichtet der 53-Jährige von einem Telefonat, das er morgens vor dem Flug noch von München aus mit dem Angeklagten von München geführt hatte. Dieser habe ihm auf seine Frage hin versichert, dass das Flugzeug repariert sei. Denn sechs Wochen vor dem geplanten Flug nach London hatte es schon einmal einen Zwischenfall gegeben. Der Münchner war nach Augsburg gefahren, um sich in die Maschine einweisen lassen. Nach einer gemeinsamen Platzrunde mit dem Vermieter waren vor der Landung Funkgerät und GPS-System komplett ausgefallen. Wie später die Polizei ermittelte, waren bei der Maschine seit 2013 immer wieder Probleme mit der Elektronik aufgetreten. Und auch drei Wochen vor dem Flug nach London. Ein anderer Pilot, der den Tiefdecker für einen Flug zur Nordseeinsel Juist gechartert hatte, musste im Sauerland notlanden: Die Low-Volt-Warnlampe hatte aufgeleuchtet. Sie signalisiert, dass alle Instrumente im Cockpit demnächst ausfallen könnten.
Den Vorwurf der Staatsanwaltschaft, er habe bewusst ein fluguntüchtiges Flugzeug verchartert, weist der Angeklagte über seinen Verteidiger zurück. Und Frank Rösler, als Sachverständiger für Luftfahrt vom Gericht geladen, gibt ihm recht. Denn die Piloten sind verpflichtet, alles, was ihnen während eines Flugs auffällt, was auf einen Schaden hindeutet, ins Bordbuch einzutragen. Und die viersitzige Cirrus ist nachweislich nach jedem dieser Einträge in die Werft gekommen. Teile wurden repariert, frische Kabel verlegt. Abschließend hat die Maschine jedes Mal ein Zertifikat bekommen, das sie als flugtüchtig ausweist.
Dennoch „lässt sich leider nicht alles am Boden entdecken“, klärt der als Zeuge geladene Eigentümer des Flugzeugs, ein Münchner Geschäftsmann, das Gericht auf. Er erinnert sich, wie er dem Angeklagten nach der letzten Reparatur noch geraten hatte, „bitte lass es nicht gleich zum Nordkap fliegen. Man wisse ja nie…“Der Trip nach London war da schon zu weit. Die Plädoyers wie das Urteil fallen, wie nach dem Gutachten zu erwarten, kurz aus. Auch wenn der Staatsanwalt anmerkt, er habe noch „Restzweifel“.
Dem Freispruch war ein Schadenersatzprozess vor einem Zivilgericht vorausgegangen. Beide Seiten hatten sich darin auf einen Vergleich geeinigt. Der Geschädigte wartet, wie er angibt, noch immer auf sein Geld: Der frühere Betreiber der Flugvermietung hat angeblich Insolvenz angemeldet.