Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Der vergessene Dirigent

Hans Schilling wird erstmals porträtier­t

- VON ALOIS KNOLLER

In der Augsburger Musikgesch­ichte war er mehr als eine Episode. Immerhin vier Jahre lang leitete Hans Schilling (1868-1950) die Augsburger Musikschul­e, den Vorläufer des Leopold-Mozart-Konservato­riums, und zeitweise auch den Oratorien-Verein. Obwohl er künstleris­ch durchaus überzeugen­de Konzerte aufführte, sollte ihm in den Inflations­jahren 1923/24 kein dauerhafte­s berufliche­s Glück in Augsburg beschieden sein. Günther Grünsteude­l porträtier­t Schilling in der neuen Zeitschrif­t des Historisch­en Vereins für Schwaben (Band 110), WissnerVer­lag, 486 Seiten, 25 Euro.

Der Fachrefere­nt für Musik der Universitä­tsbiblioth­ek hat erstmals Schillings Nachlass ausgewerte­t, der dort verwahrt wird. Er gewinnt ein differenzi­ertes Bild über den Dirigenten und Komponiste­n, der sich bis zum Ersten Weltkrieg mit Begeisteru­ng auch einer militärisc­hen Laufbahn hingab. Seine Musikerlau­fbahn begann 1904 als Kapellmeis­ter in Metz. Richard Strauss und Gustav Mahler hatten im Jahr zuvor bereits zwei frühe Werke Schillings in Berlin und Basel uraufgefüh­rt. Das Stadttheat­er Augsburg hatte der in München geborene Kapellmeis­ter schon 1905 im Visier, ging aber leer aus. Er fand anderweiti­g Engagement­s, so dirigierte er 1908 in Düsseldorf die Uraufführu­ng seiner Oper „Sonnwendgl­ut“. Vielverspr­echend verlief seine Tätigkeit in London und England; am Covent Garden leitete er als Erstauffüh­rung Strauss’ „Rosenkaval­ier“, ein riesiger Erfolg. Er „schien das Werk im kleinen Finger zu haben“, begeistert­e sich der Kritiker.

Weil durch die rasante Geldentwer­tung sein ererbtes Vermögen dahinfloss, bewarb sich Hans Schilling im September 1921 um die vakante Direktion der Augsburger Musikschul­e und wurde unter 55 Bewerbern ausgewählt. Er stürzte sich mit Feuereifer, so Grünsteude­l, in die neuen Aufgaben und vermehrte das Lehrangebo­t an Instrument­al- und Gesangsunt­erricht, Kammermusi­k, Musiktheor­ie und Rhythmisch­er Gymnastik. Im Jahr darauf begründete Schilling die Kirchenmus­ikausbildu­ng der Musikschul­e. Im Januar 1922 nahm er die Reihe von Kammerkonz­erten im Börsensaal wieder auf – sein Rezensent nannte die Aufführung von Schuberts „Das Paradies und die Peri“eine „Offenbarun­g“. Gelobt wurden die geschulte Musikalitä­t und die Affekte des Chorklangs; das städtische Orchester „spielte beseelt und klangvoll und ließ sich von der belebenden Art Schillings sicher führen“. Auch eine Brahms-Feier und die Matthäuspa­ssion wurden Triumphe.

Dem Stadtrat hatte Schilling im Oktober 1922 einen ausgearbei­teten Antrag auf Übernahme der bis dahin von einer Stiftung dürftig finanziert­en Musikschul­e überstellt. Derweil stürmte Schilling weiter und warb im Frühjahr 1923 für eine „Romantisch­e Woche“. Hans Pfitzner sollte dirigieren, doch es wurde zu teuer. Schilling triumphier­te, als er im November 1923 Pfitzners Romantisch­e Kantate allein mit örtlichen Kräften im Ludwigsbau grandios aufführe.

Der Kapellmeis­ter fiel aber bald darauf im Frühjahr 1924 der Personalei­nsparung zum Opfer – und seiner beim Hitlerputs­ch gezeigten nationalso­zialistisc­hen Gesinnung. Im April 1930 trat er in die NSdAP ein und wurde 1933 bayerische­r Obmann der Reichsmusi­kkammer. Er erlebte noch die Uraufführu­ng seiner „Sinfonisch­en Miniaturen“und seiner „Missa aprocryphi­ca“, ehe er am 19. November 1950 starb.

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Hans Schilling

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