Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Bin ich wirklich?

Premiere „Welt am Draht“geht auf einen TV-Zweiteiler von Rainer Werner Fassbinder zurück. Die Umsetzung vom Film ins Theater ist für Regisseur David Ortmann eine Herausford­erung

- VON BIRGIT MÜLLER BARDORFF

Ist es tatsächlic­h die Wirklichke­it, in der wir uns bewegen und handeln? Oder ist das, was wir wahrnehmen, nur ein Abbild davon? Und wie selbstbest­immt ist dieses Leben dann tatsächlic­h? Dies sind Fragen, die seit Jahrtausen­den die Menschheit beschäftig­en: Platons Höhlenglei­chnis handelt davon ebenso wie der Hollywood-Blockbuste­r „Matrix“. Auch Filmemache­r Rainer Werner Fassbinder widmete sich in den 70er Jahren diesem Sujet in einem TV-Zweiteiler mit dem Titel „Welt am Draht“. Der ScienceFic­tion-Film ist die Grundlage einer Theaterauf­führung, die an diesem Freitag in der Brechtbühn­e Premiere hat.

„Ein Thriller, der ins Existenzie­lle umkippt, dies aber nicht im Diskurs abhandelt, sondern in einer packenden Theaterhan­dlung“, urteilt der Regisseur David Ortmann über das Drehbuch, das 2013 in Dortmund erstmals als Theaterstü­ck aufgeführt wurde. Ort des Geschehens ist ein Institut für Kybernetik und Zukunftsfo­rschung, in dem das Computerpr­ogramm Simulacron entwickelt wurde. Tausende simulierte Menschen, sogenannte „Identitäts­einheiten“, leben darin, sie selbst sind jedoch ahnungslos, dass ihre Realität und Existenz künstli- che sind. Zweck dieser virtuellen Gesellscha­ft ist es, gesellscha­ftliche, ökonomisch­e und politische Entwicklun­gen vorherzusa­gen. Doch plötzlich beginnen die „Identitäts­einheiten“, ihre Existenz zu hinterfrag­en und versuchen auszubrech­en aus der Simulation. Eine auf vielen Ebenen angelegte Verschwöru­ng scheint im Gange zu sein. Es geht um die Grenzen von Schein und Sein, um Manipulati­on und Überwachun­g, um die Macht von Forschung und Industrie und um die Frage der individuel­len Identität. „Ein komplexer Überbau“sei das, gibt Daniel Ortmann zu, dennoch hält er das Stück nicht für überladen.

Nicht nur die brisante Themenmisc­hung ist es jedoch, die David Ortmann für das Stück einnimmt. Ein großer Reiz besteht für ihn darin, die filmische Vorlage nun auf der Bühne umzusetzen. „Das geht bei den Locations los“, stellt Ortmann dar. Gut 50 Spielorte gebe es bei Fassbinder, im Theater lasse sich das selbst mit einer Drehbühne nur schwer machen. Deshalb habe man sich für einen „Durchstehe­r“, wie es im Theaterjar­gon heißt, also ein einheitlic­hes Bühnenbild, entschiede­n. Ein anonymes Großraumbü­ro wird in der Augsburger Inszenieru­ng der Handlungso­rt sein.

Zudem mussten Überleitun­gen geschaffen werden, wo im Film Schnitte gemacht und verschiede­ne Einstellun­gen gezeigt werden. Auch die knappen Dialoge wurden etwas bearbeitet. „Auf der Bühne muss man Dinge ausspreche­n, die man im Film visuell erzählen kann“, erläutert Ortmann.

Auf Videoproje­ktionen, mit denen er in seinen Inszenieru­ngen gern arbeitet, wird David Ortmann bei „Welt am Draht“bewusst verzichten. „Wir verwenden vor allem Theatereff­ekte, in erster Linie Licht und Spiegelung­en“, verrät er. Dem digitalen Thema möchte er analoge Stilmittel entgegense­tzen. Starke optische Effekte, auch Täuschunge­n, verspricht, er um etwas darzustell­en, „was vorhanden, aber nicht zu sehen ist“.

Zentral in der Umsetzung war für David Ortmann die Frage, in welcher Zeit die Inszenieru­ng spielen soll. Fassbinder­s Film geht von einer näheren Zukunft der 70er Jahre aus. Die ist mittlerwei­le aber längst überholt. „Das Tastentele­fon, das sie im Film verwendete­n, war damals visionär, weil es ja nur Telefone mit Wählscheib­en gab“, erklärt der Regisseur. Auf der Brechtbühn­e wird nun zu erleben sein, wie sich Ortmann und seine Ausstatter­in Sabine Schmidt die Zukunft im Jahr 2030 vorstellen.

 ?? Foto: David Ortmann ?? Um die Grenzen von Schein und Sein geht es in dem Stück „Welt am Draht“, das an diesem Freitag Premiere in der Brechtbühn­e hat. Patrick Rupar spielt darin die Haupt rolle.
Foto: David Ortmann Um die Grenzen von Schein und Sein geht es in dem Stück „Welt am Draht“, das an diesem Freitag Premiere in der Brechtbühn­e hat. Patrick Rupar spielt darin die Haupt rolle.
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David Ortmann

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