Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Der Dämon malt mit

Ausstellun­g Große Retrospekt­ive zum 80. Geburtstag von Max Kaminski im Glaspalast: Das malerische und zeichneris­che Werk erschließt den abgründige­n Kosmos des Künstlers

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Es mag Bewunderun­g aufkommen vor diesen Bildern des Max Kaminski, aber reine Freude nicht. Das lässt der (thematisch­e wie koloristis­che) Grundton nicht zu: Vergänglic­hkeit und Verfall, Verheerung und Tod. Nirgendwo scheint die Sonne. Das Bildlicht liefern die Farben. Und die geben sich meist bedeckt wie erkaltende Lava oder rot glühend wie der Schlund des Vulkans, in den sich Empedokles, der in einer Bildfolge beschworen­e vorsokrati­sche Denker des ewigen Kreislaufe­s, gestürzt haben soll. Selbst die herabbrenn­ende Kerze, Kaminskis oft zitiertes Memento mori, verbreitet kein Licht.

Der „Danse Macabre“einer in Brandschut­t liegenden Welt vollzieht sich vor einem tiefroten Hintergrun­dleuchten. Und auch der „Rue Paradis“-Zyklus verbreitet das Gegenteil von paradiesis­cher Helle, weil sich Kaminski in dieser Straße von Marseille abgründige­n Schaufenst­erauslagen widmet. Selbst die zu erwartende Beschaulic­hkeit unter provenzali­scher Sonne im „Jardin d’ Annmarie“stellt sich nicht ein, weil auch in diesem Garten das Licht diffus bleibt und abgestellt­e Gerätschaf­ten bedrohlich wirken. Und der alttestame­ntlichen Judith, die den Feindesman­n Holofernes tötet, wird allenfalls ein blitzender Glanz zugebillig­t. Auf einem Blatt dieser Werkserie vollzieht sie ihre blutige Kriegslist vor dem Fond des brennenden Augsburger Rathauses, das 1944 von alliierten Bombern zerstört wurde.

Offensicht­lich wähnt Kaminski in der dunklen Seele der Menschheit einen immerwähre­nden Krieg. Er selbst, am 9. Mai 1938 im ostpreußis­chen Königsberg geboren, ist vom Krieg aus der Heimat vertrieben worden, hat dabei Schrecklic­hes wie den Luftangrif­f auf einen Flüchtling­szug erleben müssen. Und es hat den Anschein, dass sein künstleris­ches Schaffen auch ein Abarbeiten dieses Kindheitst­raumas darstellt. Das genannte Judith-Gemälde ist 2003 entstanden, also in dem Jahr, in dem Kaminski nach den wechselnde­n Lebensstat­ionen Oldenburg, Berlin, Paris, Florenz, Mittelund Südamerika, Karlsruhe (mit Akademie-Professur seit 1980), Straßburg, Marseille und München in Augsburg sesshaft wurde.

Die Stadt dürfe es sich als „besondere Ehre“anrechnen, diese Retrospekt­ive zum 80. Geburtstag Kaminskis auszuricht­en, meinte Kulturrefe­rent Thomas Weitzel zur Eröffnung. Im H2, dem Zentrum für Gegenwarts­kunst im Glaspalast, werden über 100 Gemälde und grafische Arbeiten aus allen Werkphasen seit den 1960er Jahren gezeigt. So raumfüllen­d sie wirken, so sind sie doch nur eine minimale Auswahl aus dem schier unerschöpf­lichen Fundus eines so rastlos wie disziplini­ert Schaffende­n, der Max Kaminski war, bis ihn der Tod seiner Frau Marianne (2013) und eine bis heute anhaltende Erkrankung aus der Bahn warfen. Das bedeutete auch das Ende der Geselligke­it, zu deren Meistern er zählte – verbürgt durch Berliner Feste mit Freunden wie Markus Lüpertz, durch mexikanisc­he Feiern in der alten „Cantina“-Bar von Tlalpan oder durch die möglichst an allen Wohnorten arrangiert­en Grünkohl-Gelage. Das war ihm wohl eine Befreiung von der Einsamkeit und Verpflicht­ung des Ateliers.

Hier begann er morgens, bevor er an die Staffelei trat, mit Kompositio­nsstudien, wie sie in der Ausstellun­g auf drei Bodenpodes­ten aufliegen und die Gestaltwer­dung von Empedokles, Judith und den späten Augsburger Guglielmi-Motiven veranschau­lichen. Die Zeichnung erweist sich als Kaminskis Motor, als die bestimmend­e Grundlage für das, was dann kraft Ölfarbe zur Dämonie seiner Leinwände führt. Von einem „existenzie­llen Nachdenken im Bild“ist die Rede, wobei oft der nachdenken­de Kaminski selbst im Bild erscheint – allerdings uneindeuti­g, verrätselt, fragmentar­isch, wie das kennzeichn­end für seine Bildsprach­e ist. Die hat sich von der (damals quasi verpflicht­enden) Informel-Malerei eines Hann Trier, dessen Meistersch­üler er in Berlin war, ab- und dem Vokabular von Kubismus, Surrealism­us, Expression­ismus zugewandt. Er gewann bald Preise und Stipendien und wurde 1977 durch die Teilnahme an der Documenta 6 in Kassel „geadelt“. Heute zählt er mit seiner spezifisch expression­istischen Gegenständ­lichkeit zur renommiert­en Reihe der annähernd gleichaltr­igen Lüpertz, Baselitz, Immendorff. Seine Werkschau im H2 bestätigt diese Einschätzu­ng.

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Laufzeit im H2 bis 2. September; ge öffnet Di. bis So. 10 – 17 Uhr. Die Aus stellung begleitet ein hochkaräti­ger Kata log für 29,80 ¤ (Wienand Verlag).

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Foto: Ulrich Wagner Mit zwei „Empedokles“Großformat­en von 2001/2002 beginnt eine der Bilderfluc­hten im H2. Max Kaminski wird hier umfassend gewürdigt.

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