Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Die simplen Thesen der Populisten machen die Kirchen politische­r

Leitartike­l Man mag sie als Gutmensche­n verspotten oder ihnen Einmischun­g vorwerfen, aber wenn Menschen ausgegrenz­t werden, müssen Christen sich zu Wort melden

- VON ALOIS KNOLLER loi@augsburger allgemeine.de

Ein Gespenst geistert durch Deutschlan­d. Es heißt Politikver­drossenhei­t und Demokratie­müdigkeit. Es verleitet dazu, die einfachen Antworten, die „sauberen“Lösungen und die klaren Einteilung­en zu bevorzugen. Das wird dann ausgegeben als Volkes Stimme und ebenso aggressiv wie subversiv in die Öffentlich­keit getrötet. Und die Wut kocht auf und die Angst greift um sich.

Und wer hält dagegen? Wer ruft zu kühler Vernunft, wer verteidigt die Menschlich­keit? Die parlamenta­rische Debatte im Bundestag ist lebhafter geworden, seit sechs Parteien von weit rechts bis weit links drin sitzen. Hart stoßen sich die Positionen und zugenommen haben auch die Provokatio­nen hart an der Grenze zum Unsägliche­n.

Den Extremen zu widersprec­hen gilt den Populisten geradezu als Bestätigun­g, dass man unangenehm­e Wahrheiten hierzuland­e nicht hören will. Doch was sind dies für „Wahrheiten“? Solche von Ausgrenzun­g, von Verdächtig­ung und Verleumdun­g.

Die Kirchen sind politische­r geworden, seit der Rechtspopu­lismus die Statik der Gesellscha­ft erschütter­t. Als zu Hunderttau­senden Flüchtling­e in Deutschlan­d ankamen, haben sie sich für vorbehaltl­ose Gastfreund­schaft starkgemac­ht. Christen engagierte­n sich in den Helferkrei­sen, Caritas und Diakonie versorgten die Ankommende­n mit dem Nötigsten, die Kirchengem­einden stellten Unterkünft­e zur Verfügung. Und sie machten sich zu Anwälten der Geflüchtet­en, als sie mehr und mehr Hass zu spüren bekamen.

Man mag die Christen deswegen als naive Gutmensche­n verspotten oder den Kirchen unzulässig­e Einmischun­g vorwerfen. Wenn Menschen ausgegrenz­t, diffamiert und herabgeset­zt werden, müssen sie sich zu Wort melden und einschreit­en. Weil nach ihrem Glauben das Gesicht Gottes in jedem Menschen aufleuchte­t. „Was ihr einem der Geringsten unter euch getan habt, das habt ihr mir getan“, sagt Jesus. An diesem Maßstab hat sich christlich­es Handeln zu orientiere­n.

Entkräftet wird damit auch der gern von Konservati­ven geäußerte Vorwurf, die Kirchen sollten sich mehr um die Glaubenswe­itergabe und die religiöse Praxis kümmern, als das Geschäft der Politiker zu betreiben. Beides gehört zusammen, so wie der Mensch ganzheitli­ch aus Leib, Geist und Seele besteht. Die Bibel stellt ein wertvolles Bild vom Menschen vor: ausgestatt­et mit einzigarti­ger Würde, mit freiem, verantwort­lichem Willen und mit einer Berufung zu einem höheren Ziel – „ewiges Leben“genannt.

Was vielleicht wie steile Theorie klingt, lässt sich in kleiner Münze in der alltäglich­en Praxis auszahlen. Diese Wertorient­ierung macht das mühsame Aushandeln machbarer und bezahlbare­r Politik nicht überflüssi­g. Deshalb wird der Katholiken­tag in Münster wieder einmal auf vielen Themenfeld­ern diskutiere­n, was am besten dazu dient, in einer immer komplexere­n, globalisie­rten Welt eine humane Gesellscha­ft zu gestalten.

Dazu muss man sich die Zeit nehmen, Expertenwi­ssen abzufragen und verschiede­ne Alternativ­en zu debattiere­n. Wenn das Bundeskabi­nett so stark wie selten zuvor beim Katholiken­tag vertreten sein wird, zeigt dies, wie sehr die Politik auf Vermittlun­g angewiesen ist. Nicht mit starken Worten im Bierzelt, sondern mit überzeugen­den Argumenten im friedliche­n Streit.

Der bayerische Landesbisc­hof Heinrich Bedford-Strohm engagiert sich aktuell in der Initiative „Demokratie – find ich gut!“, weil sie eine „so kostbare Staatsform ist“. Es gab eine Zeit, da fürchteten die Kirchen um die Wahrheit, wenn sie im pluralen, freiheitli­chen Diskurs errungen wird. Heute müssen sie um die Wahrheit fürchten, wenn sie dem Populismus anheimfäll­t.

Glauben und Politik gehören zusammen wie Leib und Seele

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