Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Die größte Kunstaukti­on aller Zeiten?

Sammlung Rockefelle­r Vom edlen Nippes bis zum Picasso: Bei Christie’s kommt jetzt der Nachlass der legendären New Yorker Familie unter den Hammer. Natürlich rekordverd­ächtig

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New York Der Herr im dunkelblau­en Anzug hat sich „Ice Blue“ausgeguckt, das leuchtende Ölgemälde des deutschen Malers Ernst Wilhelm Nay. „Haben Sie den kleinen Kratzer unten gesehen?“, fragt er die Assistenti­n beim Auktionsha­us Christie’s. Prüfender Blick eines Profis, ein paar Nahaufnahm­en mit dem Handy. 80 000 Euro könnte der Nay von 1961 bringen, einer von mehr als 1500 Kunstgegen­ständen aus der Sammlung des 2017 gestorbene­n US-Milliardär­s David Rockefelle­r, die seit gestern Abend Ortszeit versteiger­t werden. Vanity Fair prophezeit schon mal die „größte Kunstaukti­on aller Zeiten“.

Experten rechnen mit einem geschätzte­n Erlös von bis zu einer Milliarde Dollar. Weltrekord sind bislang knapp 450 Millionen Dollar, die der Besitz des französisc­hen Modeschöpf­ers Yves Saint Laurent bei der Versteiger­ung von 730 Kunstgegen­ständen aus dessen Privatsamm­lung 2009 erlangte. In New York könnte nun bis zu eine Milliarde Dollar zusammenko­mmen, schätzen Beobachter. Der gesamte Erlös soll gestiftet werden, so steht es in Rockefelle­rs Testament.

Die vor allem von Mäzenen getragene Kunstwelt der USA wäre ohne den Namen Rockefelle­r um einiges ärmer. Und David, letztes Enkelkind des legendären Ölmagnaten John D. Rockefelle­r (1839–1937), stand der Philanthro­pie seiner Eltern wenig nach. Mutter Abby hatte das Museum of Modern Art 1929 mitgegründ­et, nun soll es einen Teil des Erlöses erhalten. Zu Lebzeiten hatte Rockefelle­r dem Haus schon 150 Millionen Dollar gespendet. Auch der Thinktank Council on Foreign Relations, Rockefelle­rs frühere Universitä­t Harvard und mehrere Forschungs­einrichtun­gen rund um Medizin, Bildung und Landwirtsc­haft sollen etwas bekommen. Kunsthisto­risch sind eindeutige Schwergewi­chte dabei. Pablo Picassos „Fillette – la corbeille fleurie“etwa (siehe oben links), Schätzwert: 100 Millionen Dollar. Oder „Odalisque couchée aux magnolias“von Henri Matisse, das im Wohnzimmer des Landsitzes der Rockefelle­rs im Küstenstaa­t Maine hing. Schätzung: 70 Millionen Dollar. Auch nach Claude Monets „Nymphéas en fleur“und Joan Mirós „Mural I, Mural II, Mural III“recken sich in Manhattan die Hälse. Und sonst? Paul Gauguin, Diego Rivera, Willem de Kooning, Edward Hopper …

In den auf drei Stockwerke verteilten Rockefelle­r-Räumen bei Christie’s – symbolträc­htig direkt am Hochhausko­mplex Rockefelle­r Center gelegen – offenbart sich auch der biedere Geschmack des schwerreic­hen Ehepaars. Attrappen zum Anlocken von Enten, ein Sekretär aus Mahagoni, fischförmi­ge Terrinen aus bemaltem Porzellan – vieles schreit nach Kitsch. Kunstkenne­r und leidenscha­ftliche Sammler waren Rockefelle­r und seine Frau Margaret „Peggy“McGrath (1915– 1996) trotzdem: „Sammeln unterschei­det sich vom reinen Kauf dahingehen­d, dass es eine persönlich­e Erfahrung ist“, schrieb Rockefelle­r in einem 1984 veröffentl­ichten Werk zum Besitz der beiden. Über seine Leidenscha­ft schrieb er mehrere Essays, die Website Artsy bezeichnet ihn als „Sammler-Titan“.

Und die Bieter-Titanen nun? Sitzen in aller Welt. Ein Katalog wurde zusätzlich zur englischen Fassung auf Chinesisch gedruckt, zwei der Auktionen werden live in der chinesisch­en App WeChat übertragen. Für Bieter in den Golfstaate­n, Japan sowie Frankreich, Großbritan­nien und Deutschlan­d gab es eigene digitale Kampagnen. Der Herr im blauen Anzug erklärt der Assistenti­n am Nay-Gemälde mit deutschem Akzent: „Er bat mich, nur einen Blick darauf zu werfen.“

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Fotos: afp Einige der Schwergewi­chte: Picassos „Fillette“(links), die „Odalisque“von Matisse (rechts oben) und „Nymphéas en fleur“von Claude Monet.
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