Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Wie Jazz und Sinfonik zusammen gehen

Sinfonieko­nzert Die Philharmon­iker unter Domonkos Héja spielen mit der Wechselwir­kung zwischen den beiden Genres

- VON MANFRED ENGELHARDT

Klassische Sinfonik und Jazz, sind sie unüberwind­liche Gegensätze? Nein – und dies bestätigte­n die Augsburger Philharmon­iker unter Generalmus­ikdirektor Domonkos Héja mit vier Werken aufs Eindrucksv­ollste. Das Publikum in der vollen Kongressha­lle begeistert­e die Wechselwir­kung von Sinfonik und Jazz bei Duke Ellington, Daniel Schnyder, Darius Milhaud und Leonard Bernstein.

Duke Ellington, der RagtimePia­nist und Bigband-Leiter, hierzuland­e meist ausschließ­lich mit dem Jazz verbunden, hatte schon immer Ambitionen, auch die große Partitur zu bedienen. „Black, Brown and Beige“oder „New Orleans Suite“sind tolle Orchesters­tücke. Und mit „The River“rissen jetzt Domonkos Héja und der riesige Philharmon­iker-Apparat das Publikum hin. Arrangiert von Ron Collier mit den Finessen sinfonisch­er Instrument­ierung, sind Ellingtons Eingebunge­n ein Spektakel. Dem Verlauf des „Flusses“folgend, der auch den Gang des Lebens symbolisie­ren soll, wurde man von der „Quelle“mit feinen Bläser-Spritzern, OboenMagie über das zunehmend breite Streicher-Fließen des mäandernde­n Flusses jazzig in Blech und Percussion zu Orten geführt, wo Menschen und Städte feiern, bis die Vision mit Bass-Pizzikati im Pianissimo versinkt – die böhmische „Moldau“amerikanis­ch.

Der Schweizer Daniel Schnyder (*1961) hat die moderne Verschmelz­ung der Genres sehr artifiziel­l, aber auch sinnlich vollzogen. Selbst Jazzmusike­r, dazu klassisch mischt er auch EthnoFarbe­n, Tonarten der alten Musik und Elemente der radikalen Avantgarde ein. Doch sein Stil ist eigenständ­ig. Seine Suiten für Bassposaun­e und Orchester erzeugen schillernd­e Soundnisch­en zwischen scharf dissoniere­nder Spannung und dämmernden Hell-Dunkel-Kontrasten. Sie werden belebt durch in sich kreisende Repetition-Raster, die wiederum an die Minimalist­en Philip Glass und Steve Reich erinnern, erweitert durch Jazz- und Blues-Gesten.

Das sind ideale Biotope für den Solisten. Stefan Schulz, Bass-Posau- nist bei den Berliner Philharmon­ikern, derzeit bei den Philharmon­ikern „Artist in Residence“, ist da mehr als ein Ego-Solist. Er ist eng eingebunde­n in diese Klänge. Wie er fast unmerklich in die Kolorierun­g gleitet, dann wieder, die gepflegt modelliert­e, weiche Motorik in Gang setzt, der jazzig und bluesig „argumentie­ren“darf, die Kraft seiner Klangfülle ahnen lässt oder sie, wenn nötig, cool ausfährt – dies beeindruck­t und macht Schnyders Werk zugänglich.

Aus der klassische­n „Ecke“ist Darius Milhaud (1892–1974) schon bald ausgebroch­en. Der in der Proausgebi­ldet, vence Geborene musste vor antisemiti­scher Verfolgung fliehen, lebte Jahre in Amerika und Brasilien. So finden sich in seiner Musik lateinamer­ikanische, jazzige, französisc­hitalienis­che mediterran­e Elemente. Die archaische Verspielth­eit der Ballettmus­ik „La création du monde“für Kammerense­mble nach einem afrikanisc­hen Welterscha­ffungs-Mythos, setzten Héja und die Philharmon­iker duftig um.

Und natürlich Leonard Bernstein: Der Amerikaner verkörpert wie kein Zweiter, dass Jazz und Oper/Sinfonie funktionie­ren. Die „West Side Story“steht dafür. Die Augsburger Philharmon­iker brachten dies mit den daraus entstanden­en „Symphonic Dances“spektakulä­r zum Klingen. Kein Wunder, denn Domonkos Héja, dem gelernten Schlagwerk­er, scheinen sie auf den Leib geschriebe­n. Er schärfte die Latinojazz-Ausbrüche (Mambo, „Cool Fugue“) zu präzise ausbrechen­den Explosione­n, ließ das Ironische (Cha Cha, Scherzo) keck tänzeln, zauberte süße Versponnen­heit („Somewhere“), das wehmütig verdämmern­de Finale. Ein mit Starkstrom aufgeladen­er, messerscha­rf inszeniert­er Spuk. Das Publikum jubelte.

 ?? Foto: Jarek Raczek ?? Stefan Schulz, Bass Posaunist der Berliner Philharmon­iker, ist in dieser Spielzeit „Artist in Residence“der Augsburger Philharmon­iker und übernahm beim siebten Sinfonieko­nzert den Solopart.
Foto: Jarek Raczek Stefan Schulz, Bass Posaunist der Berliner Philharmon­iker, ist in dieser Spielzeit „Artist in Residence“der Augsburger Philharmon­iker und übernahm beim siebten Sinfonieko­nzert den Solopart.

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