Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Wenn die Schule zum Zirkus wird
Kinder Die Montessori-Gemeinschaft Dinkelscherben feiert ihr 25-jähriges Bestehen. Manche Familien haben die Entwicklung über mehrere Generationen verfolgt – so wie Pio, seine Mama Minza Waizman und seine Oma Birgit Muskat
Dinkelscherben „Die Ausbildung zum Zirkusclown sollte verpflichtender Bestandteil des Lehramtsstudiums sein, weil der Narr schon immer im Zentrum der gesellschaftlichen Weisheit stand.“Das hat der renommierte Reformpädagoge Otto Herz der Montessori-Gemeinschaft Dinkelscherben mit in die Festwoche zum 25-jährigen Bestehen gegeben. Aus Anlass des Jubiläums beschenkten die Montessori-Schule, das Haus für Kinder und der Trägerverein sich selbst mit einem großen Zirkuszelt, das im Schulgarten an der Franz-Grabowski-Straße aufgebaut und die komplette Woche über mit buntem Programm gefüllt wurde.
Wie ein Zirkus kommt zwar selbst eine Montessori-Schule den Kindern nicht alle Tage vor – „aber meine vier Kinder sind jeden Tag gerne in die Schule gegangen und jeden Tag glücklich nach Hause gekommen“, erzählt Birgit Muskat. Sie gehörte vor 25 Jahren zur Gründungsriege der Elternschaft, und nun besucht Enkel Pio die erste Klasse. „Diese selbstbestimmte Art zu lernen mit Freiarbeit und einleuchtenden Materialien tut Kindern einfach gut“, findet Muskat und erzählt, wie sich das vor 25 Jahren ergeben hat: „Wir waren damals frisch nach Kutzenhausen gezogen, meine Tochter Minza war drei, und Freunde erzählten uns von der anstehenden Neugründung.“Alles ging ganz schnell: Über den Sommer hätten Eltern das erste Schulhaus an der Brunstätter Straße gebaut, das mittlerweile das Haus für Kinder beherbergt. Mittlerweile betreibt der Montessori-Verein drei Standorte mit knapp 80 Beschäftigten für 250 Schützlinge: neben dem Haus für Kinder das größere FerrumSchulgebäude und den Campus Häder, wo die 7. bis 10. Jahrgangsstufe lernt und das Schulgelände nebst Tier-WG und Kanu-Werkstatt zum Gutteil eigenständig organisiert und verwaltet.
Aus Anlass des Jubiläums bummelte Pio mit seiner Mama und seiner Oma durch den Schulgarten und zeigte ihnen im Luft-Klassenzimmer sein Lieblingsmaterial, was Mama Minza Waizman aufjauchzen ließ: „Die große Divisions-Apotheke, echt!? Das war auch immer mein Lieblingsmaterial! Und schau mal, den Trinomischen Würfel hier hat dein Opa gemacht.“Birgit Muskat beobachtete schmunzelnd, wie vertieft Tochter und Enkel bald bauten und rechneten.
Das ist die von Maria Montessori beschriebene „Polarisation der Aufmerksamkeit“, und solche Art des Lernens meinte auch Pädagoge Otto Herz, als er die Festwoche am Montagabend mit einem Vortrag im Zirkuszelt eröffnete: „Die Aufgabe der Schule ist es, das Gelingen zu organisieren, nicht das Misslingen zu dokumentieren. Dafür muss der kindliche Lernwille erhalten und wachsen gelassen werden und Pädagogik vom Kind und nicht von den Fä- chern aus gedacht werden.“Er plädiere zum Beispiel dafür, Skypen (also Video-Telefonie via Internet) mit Freunden auf der ganzen Welt in den Lehrplan aufzunehmen.
Anstatt über Skype trafen sich am Dienstagnachmittag Freunde der Montessori-Gemeinschaft ganz real zur offenen Jamsession im und rund ums Zirkuszelt: Es wurde musiziert, geredet und gelacht, die Kinder übten Zirkusnummern ein und führten unter der Leitung des Künstlers Herbert Fleschutz ein Puppentheater auf. Am Mittwoch gab es dann Popcorn und Kino für Klein und Groß, und am Donnerstag gastierte das Augsburger Märchenzelt im Zirkus. Märchen als verbindendes kulturelles Element stehen auch im Zentrum eines deutsch-türkischen Schülerprojektes, das vorgestellt wurde.
Am gestrigen Freitag ging die Jubiläumswoche mit einem Festakt und der großen Zirkusshow zu Ende, die alle Schüler die Woche über mit dem pädagogischen Zirkus Zapp Zarap eingeübt hatten: Staunend beobachteten die Gäste, wie die Kinder auf riesigen Bällen balancierten, am Trapez schwangen oder über Nagelbretter liefen – und wie Lehrerinnen Feuer spuckten. Pio hatte sich für die Akrobatik-Gruppe entschieden und fand: „Das war eine noch schönere Schulwoche als alle anderen!“
Schulleiterin Petra Sternegger war genauso zufrieden mit der Jubiläumswoche wie mit den vergangenen 25 Jahren: „Es ist wichtig für die bayerische Schullandschaft, dass es außer den staatlichen Schulen Lernorte wie die Montessori-Schule Dinkelscherben gibt, an denen Kinder und Jugendliche ihren eigenen Weg finden können, um zu verantwortungsbewussten, zukunftsorientierten Erwachsenen heranzuwachsen.“