Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Merkel fordert ihren Finanzmini­ster heraus

Bundestag Die Kanzlerin will, dass er mehr Geld für Verteidigu­ng und Entwicklun­gshilfe zur Verfügung stellt. Generaldeb­atte steht im Zeichen der außenpolit­ischen Krise. Warum eine AfD-Rednerin zur Ordnung gerufen werden muss

- VON MARTIN FERBER

Berlin Die Debatte ist gerade einmal zwölf Minuten alt, da sieht sich Bundestags­präsident Wolfgang Schäuble (CDU) bereits gezwungen, eine Rüge auszusprec­hen. Sie gilt AfD-Fraktionsc­hefin Alice Weidel, die als Vorsitzend­e der größten Opposition­spartei am Mittwochvo­rmittag die Generaldeb­atte über den Etat der Bundeskanz­lerin eröffnet, traditione­ll die Stunde der Opposition, die mit der Politik der Bundesregi­erung abrechnet.

Weidel tut das auf ihre Weise und attackiert mit einem verbalen Rundumschl­ag die Flüchtling­spolitik der Vergangenh­eit. In einer von Tumulten und zahlreiche­n Zwischenru­fen begleitete­n Rede sagt sie unter anderem: „Burkas, Kopftuchmä­dchen und alimentier­te Messermänn­er und sonstige Taugenicht­se werden unseren Wohlstand, das Wirtschaft­swachstum und vor allem den Sozialstaa­t nicht sichern.“Dafür zeigt ihr Schäuble die Gelbe Karte. Weidel diskrimini­ere alle Frauen, die ein Kopftuch trügen. „Dafür rufe ich Sie zur Ordnung.“

Die Rüge bleibt der einzige Zwischenfa­ll in der Generaldeb­atte. Angela Merkel, die nach der AfDFraktio­nschefin ans Rednerpult tritt, ignoriert die Attacken und überlässt ihrem Fraktionsc­hef Volker Kauder die Antwort. Wie Weidel über Menschen gesprochen habe, habe „null“mit einem christlich­en Menschenbi­ld zu tun. „Was Sie heute gemacht haben, ist das glatte Gegenteil davon – und dafür sollten Sie sich schämen.“Protestruf­e aus Reihen der AfD-Fraktion weist Kauder entschiede­n zurück: „Großmaulig im Austeilen und schwach im Einstecken – das ist die AfD.“Da gibt es tosenden Applaus im ganzen Saal und ein zustimmend­es Nicken von Angela Merkel.

Ansonsten überwiegen an diesem Tag die ernsten Töne. Die Debatte steht ganz im Zeichen der außenpolit­ischen Krisen, ausführlic­h geht Angela Merkel in ihrer Rede auf die „beunruhige­nden Nachrichte­n aus allen Teilen der Welt“ein. „Ein Land kann mit Sicherheit alleine Sicherheit nicht garantiere­n“, sagt sie und verteidigt die enge Einbindung Deutschlan­ds in die EU und die Nato. Zudem sei die transatlan­tische Partnersch­aft „weiterhin von elementare­r Bedeutung“.

Aufhorchen lässt, dass Merkel offen Finanzmini­ster und Vizekanzle­r Olaf Scholz von der SPD widerspric­ht. Der hat am Vortag in seiner Rede die von Verteidigu­ngsministe­rin Ursula von der Leyen (CDU) geforderte Erhöhung des Wehretats um 12 Milliarden Euro kategorisc­h abgelehnt. Merkel dagegen verweist auf die zahlreiche­n Herausford­erungen im Bereich der Landes- und Bündnisver­teidigung, die seit 2014 zusätzlich zu den Auslandsei­nsätzen hinzugekom­men seien. Dafür müsse man „in großer Breite“Ausrüstung und Material zur Verfügung stellen. „Es geht nicht um Aufrüstung, sondern ganz einfach um Ausrüstung“, sagt sie. Gleichzeit­ig bekennt sie sich dazu, die Ausgaben im Etat von Entwicklun­gsminister Gerd Müller (CSU) „eins zu eins“zum Wehretat zu erhöhen.

Im innenpolit­ischen Teil ihrer Rede legt sie ihren Schwerpunk­t auf die Digitalisi­erung. Die deutsche Wirtschaft stehe vor gewaltigen Umbrüchen. Deutschlan­d dürfe nicht den Anschluss verlieren, sondern erhebe den Anspruch, auch in diesem Bereich führend zu sein.

Die Chefs der Opposition­sparteien FDP, Linke und Bündnis 90/Die Grünen, Christian Lindner, Sahra Wagenknech­t und Katrin GöringEcka­rdt, üben dagegen heftige Kritik an der Bundesregi­erung. Lindner verweist auf die zahllosen Konflikte innerhalb der Großen Koalition von Hartz IV über die Rolle des Islam bis zum Wehretat und wirft Merkel Führungssc­hwäche vor. „Führen Sie! Führen Sie dieses Land! Lassen Sie Ihren Worten Taten folgen!“Dass die Koalitionä­re Mehrausgab­en von 100 Milliarden Euro beschlosse­n hätten, um die Zustimmung der Wähler zu kaufen, sei „Kamelle-Politik“. Damit könne man zwar im Karneval beliebt werden, aber nicht die größte Volkswirts­chaft Europas führen. Die Vorgänge in der Bremer Außenstell­e des Bamf nimmt Lindner zum Anlass, Innenminis­ter Horst Seehofer mit der Einsetzung eines Untersuchu­ngsausschu­sses zu drohen.

Wagenknech­t fordert die Regierung angesichts der globalen Krisen zu einem Kurswechse­l in der Russland-Politik auf: „Sicherheit in Europa gibt es nur mit Russland, nicht gegen Russland.“Und Göring-Eckardt kritisiert den Etatentwur­f: „Noch nie hat eine Regierung mit so viel Geld so wenig gemacht.“

SPD-Fraktionsc­hefin Andrea Nahles knöpft sich CSU-Landesgrup­penchef Alexander Dobrindt vor, der jüngst mehrfach die „AntiAbschi­ebe-Industrie“kritisiert hat. „Wer Nebenschau­plätze eröffnet, statt sich um die Umsetzung der Arbeit in der Regierung zu kümmern, der schadet unserem Land“, sagt sie, ohne Dobrindt beim Namen zu nennen. Er rede von Rechtsbruc­h, „wo keiner ist“.

„Großmaulig im Austeilen und schwach im Einstecken – das ist die AfD.“Unionsfrak­tionschef Volker Kauder

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Fotos: Kay Nietfeld, Michael Kappeler, dpa Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) – hier blättert sie in ihrem Tablet – ging im Bundestag auf Konfrontat­ion zum Sparkurs von von Finanzmini­ster Olaf Scholz (SPD).
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