Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Der weite Weg des Winfried Kretschman­n

Porträt Einst beim Kommunisti­schen Bund gilt der Ministerpr­äsident von Baden-Württember­g bei den Grünen als Oberrealo. Heute wird er 70

- VON PETER REINHARDT

Stuttgart Als Winfried Kretschman­n vor fünf Jahren mit dem 65. Geburtstag das Rentenalte­r erreicht, genügt dem baden-württember­gischen Ministerpr­äsidenten ein Abendessen mit der Familie. „Geburtstag hat jede Kuh“, wehrt er damals die Fragen nach einer offizielle­n Feier ab. Heute wird er 70 und alles ist anders: Es gibt eine Festschrif­t mit einem Vorwort von Bundeskanz­lerin Angela Merkel, ein Symposium mit Bundestags­präsident Wolfgang Schäuble als Hauptredne­r und einen Staatsempf­ang mit EU-Kommissar Günther Oettinger als Festredner.

Die öffentlich­en Feiern zeigen ein neues Selbstbewu­sstsein Kretschman­ns, der inzwischen offensiv mit seinem Alter umgeht. Der immer wieder gestellten Frage nach seinen persönlich­en Plänen weicht er nicht mehr aus. „Sie müssen damit rechnen, dass ich noch einmal antrete“, sagt der Regierungs­chef im Blick auf die Landtagswa­hl 2021. Inzwischen rechnen sie bei den Grünen damit, dass „Kretsch“weitermach­t und sich 2021 um eine dritte Amtszeit bewirbt. Beim Koalitions­partner CDU fürchten viele diese Aussicht. Eine Gruppe der Landtagsab­geordneten liebäugelt gar mit einer schwarz-rot-gelben Koalition, um den populären Grünen kalt aus dem Amt zu verdrängen. Nur mühsam kann der CDU-Landeschef Thomas Strobl das Feuer austreten.

Ausgerechn­et zu den Geburtstag­sfeierlich­keiten geben Grüne und CDU den von der Opposition genüsslich genährten Spekulatio­nen über eine Deutschlan­dkoalition selbst Nahrung. Erst verabschie­det sich die CDU-Fraktion bei der Reform des Landtagswa­hlrechts vom Koalitions­vertrag. Nur einen Tag später lassen die Grünen die CDUFrau Sabine Kurtz bei der Wahl zur Landtagsvi­zepräsiden­tin erst einmal durchfalle­n.

Wichtiger als die Meinung der Partei ist Kretschman­n der Schultersc­hluss mit den Wählern. Er präsentier­t sich als einer aus ihren Reihen, bedächtig und auf praktische Vernunft setzend. Dazu gehört der schwäbisch­e Dialekt. Wichtig für seine Vertrauens­basis ist die Wertschätz­ung der Unternehme­r, die ihre anfänglich­e Skepsis längst abgelegt haben. „Kretschman­n hat die konservati­v-bürgerlich­e Orientieru­ng des Landes aufgegriff­en und bedient. Er hat in den fünf Jahren das Schreckges­penst Grüne bis weit in bürgerlich­e Kreise hinein ausgemerzt“, erklärt der Mannheimer Wahlforsch­er Matthias Jung den ungewöhnli­chen Erfolg. Dafür ist Kretschman­n politisch einen weiten Weg gegangen. Der frühere CDURegieru­ngschef Erwin Teufel erinnert in der Festschrif­t mit dem Titel „Gegenverke­hr“daran, dass der Grüne während des Studiums beim Kommunisti­schen Bund Westdeutsc­hlands Mitglied war und zeitweise die katholisch­e Kirche verlassen hatte. „Ich wusste von seiner Vergangenh­eit, habe sie ihm aber nie nachgetrag­en“, schreibt Teufel. Später sei er ja dann Mitglied im Zentralkom­itee der Deutschen Katholiken gewesen. Kretschman­n wiederum zitiert den Christdemo­kraten gern und oft, verleiht ihm sogar den Titel Professor.

Seine Wiederwahl im Frühjahr 2016 verdankt Kretschman­n zu einem guten Teil seinem Schultersc­hluss mit Angela Merkel in der Flüchtling­spolitik. Er bete für die Kanzlerin, sagt der Grüne damals. Ein paar Monate später wabern die Gerüchte, Merkel wolle Kretschman­n als Bundespräs­ident. „Wir bleiben auf dem Teppich, auch wenn er fliegt“, hat er die Erwartunge­n eingebrems­t. Das höchste Staatsamt lag dann doch zu hoch.

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Foto: dpa Winfried Kretschman­n lässt sich heute zum 70. ausgiebig feiern.

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