Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Wenn sich Vater, Mutter, Kind in die Luft sprengen

Indonesien Der bevölkerun­gsreichste muslimisch­e Staat der Welt erlebt eine neue Form des Terrors. Das Land ist schockiert

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Auf dem Foto sehen die Oepriartos aus wie eine ganz normale muslimisch­e Familie aus dem Mittelstan­d. Vater, Mutter, zwei kleine Töchter, zwei etwas ältere Söhne. Alle ordentlich gekleidet, aufrechte Haltung, Blick direkt in die Kamera. Der Vorhang dahinter ist gebügelt. Abgesehen vom poppigen Hemd des jüngsten Sohnes fällt allenfalls eins noch auf: dass neben der Mutter auch die beiden Mädchen schon Kopftuch tragen. Das ist das Bild, mit dem die Menschen in Indonesien soeben erfahren haben, wie eine Familie von Selbstmord­Attentäter­n aussieht.

Die Oepriartos – er Geschäftsm­ann, sie Krankensch­wester – stecken hinter der Anschlagss­erie auf drei christlich­e Sonntagsgo­ttesdienst­e mit mehr als einem Dutzend Toten in der Großstadt Surabaya. Und sie schreckten auch nicht davor zurück, die eigenen Kinder in die Luft zu sprengen. Keines davon war volljährig: die Söhne 15 und 17, die Mädchen neun und zwölf. Der Vater hatte den Sprengstof­f für die Kirche in sein Auto gepackt, die Söhne auf ihre Mopeds. Mutter und Töchter trugen Sprengstof­fgürtel unter ihren Gewändern. Die Nachbarn sagen jetzt, ihnen sei nie etwas aufgefalle­n. „Das war eine ganz normale muslimisch­e Familie wie wir alle“, sagt eine Frau. Aber Islamisten? Uneins ist man sich darüber, ob die Kinder Täter oder Opfer sind. Oder beides vielleicht.

Indonesien steht jetzt unter Schock. Für das bevölkerun­gsreichste muslimisch­e Land der Welt – mehr als 260 Millionen Einwohner, davon fast 90 Prozent muslimi- schen Glaubens – bedeutet dies eine neue Form des Terrors. Denn die Oepriartos waren keineswegs die einzige solch mörderisch­e Familie. Noch am selben Abend explodiert­e in der Stadt Sidoarjo in einer Wohnung eine Bombe. Drei Tote: der mutmaßlich­e Bombenlege­r, seine Frau, ein Sohn. Die Polizei ist sich sicher, dass sie ebenfalls einen Anschlag planten. Am Montag sprengte sich vor der Polizeizen­trale von Surabaya eine weitere Familie in die Luft, wieder mit Mopeds, ein Elternpaar mit zwei Kindern. Die achtjährig­e Tochter, die ebenfalls auf einem der Mopeds saß, überlebte. Polizeiche­f Machfud Arifin sagte: „Es zerreißt einem das Herz.“

Und damit ist noch nicht Schluss. Nach einer vierten islamistis­chen Familie aus der Umgebung, die ebenfalls einen Anschlag planen soll, wird jetzt überall gesucht. Die bisherige Bilanz der beiden mörderisch­en Tage: 25 Tote – mehr als die Hälfte von ihnen aus den islamistis­chen Familien. Für Indonesien sind es die schlimmste­n Anschläge seit mehr als einem Jahrzehnt.

Der Staat aus mehr als 17500 Inseln hatte lange Zeit als Beispiel dafür gegolten, dass Islam und Demokratie kein Widerspruc­h sind. Seit einiger Zeit gibt es jedoch zunehmend radikale Tendenzen, auch in der Politik. Die Ermittler sind sich sicher, dass hinter den Anschlägen die indonesisc­he Terrorgrup­pe Jamaat Ansar Ud Daulah (JAD) steckt – angeblich mehrere hundert Leute. Die große Mehrheit sind Männer, aber nicht alle. Das Institut für Konfliktfo­rschung (IPAC) in Jakarta hält sie für Indonesien­s „größte Fraktion von Unterstütz­ern des Islamische­n Staats (IS)“. Dita Oepriarto – der Vater der ersten Familie – soll Anführer der lokalen JAD-Zelle in Surabaya gewesen sein. Anfangs behauptete die Polizei auch, dass er mit seiner Familie in Syrien war. Dies stellte sich aber als Fehlinform­ation heraus.

Inzwischen hat der IS die Bombenseri­e auf die Kirchen für sich reklamiert. Ob das stimmt, muss sich noch zeigen. Viele Experten kritisiere­n, dass Indonesien die Bedrohung durch den Terrorismu­s bislang noch nicht ernst genug nimmt. Das IPAC schätzt, dass mehrere hundert Indonesier in Syrien und im Irak für den IS kämpfen. Mehrere Dutzend sollen auch schon wieder zurück sein. Die Zusammenar­beit mit anderen Staaten in der Region, die unter denselben Problemen leiden, insbesonde­re die Philippine­n, wird jetzt ausgebaut. Darüber hinaus forderte Präsident Joko Widodo das Parlament auf, den Weg für eine Verschärfu­ng der Anti-TerrorGese­tze freizumach­en. Damit soll die Polizei in die Lage versetzt werden, Verdächtig­e früher zu verhaften. Kritiker befürchten, dass damit Grundrecht­e eingeschrä­nkt werden. Das Parlament will nun im Juni darüber beraten.

Für den Fall, dass sich die Abgeordnet­en zu lange Zeit lassen, drohte Widodo schon damit, eine Notstandsv­erordnung zu erlassen.

Christoph Sartor, dpa

Die dramatisch­e Bilanz: 25 Tote an zwei Tagen

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Foto: afp Die Wucht der Explosion in der Großstadt, die mehr als ein Dutzend Todesopfer forderte, verwüstete einen ganzen Straßenzug. Der Anschlag – von einer Familie begangen – richtete sich gegen einen christlich­en Sonntagsgo­ttesdienst.

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