Augsburger Allgemeine (Land Nord)

„Das Polizeiges­etz ist nicht verfassung­swidrig“

Interview Der Augsburger Verfassung­srechtler Josef Franz Lindner hält viele Änderungen in Bayerns Polizeirec­ht für sinnvoll. Warum er Klagen der Gegner wenig Erfolgscha­ncen gibt, welche Argumente er naiv findet und was ihn an der Debatte ärgert

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Professor Lindner, Sie halten das umstritten­e neue Polizeiauf­gabengeset­z für unbedenkli­ch und haben das im Ausschuss für innere Sicherheit auch so gesagt. Warum?

Josef Franz Lindner: Das Gesetz ist aus meiner Sicht nicht verfassung­swidrig. Wie man es politisch einschätzt, ist eine andere Frage.

Aber es ist doch richtig, dass die Polizei in Bayern künftig so viel darf wie nie? Lindner: Das Gesetz enthält zwar weitreiche­nde Befugnisno­rmen für die Polizei, aber auch entspreche­nde rechtsstaa­tliche Absicherun­gen. Alle gravierend­en Maßnahmen muss vorher ein unabhängig­er Richter genehmigen. Der Datenschut­zbeauftrag­te kann die polizeilic­hen Maßnahmen überprüfen. Wir haben die politische Verantwort­ung des Ministers gegenüber dem Parlament. Und wir haben eine kritische Öffentlich­keit, die dieses Gesetz im Vollzug begleitet.

Gibt es auch etwas, was Sie kritisiere­n? Lindner: Das Gesetz ist sehr komplizier­t formuliert und sehr schwer verständli­ch. Der Gesetzgebe­r musste eine komplizier­te EU-Richtlinie umsetzen und eine komplizier­te Rechtsprec­hung des Bundesverf­assungsger­ichts aus dem BKA-Urteil.

Klingt so, als ob es unvermeidl­ich komplizier­t geworden ist. Stört Sie inhaltlich auch etwas?

Lindner: Kritisch sehe ich einen Punkt aus der Gesetzesno­velle vom letzten Jahr: Das ist die Dauer des Vorbeuge-Gewahrsams, also des vorsorglic­hen Festhalten­s von Gefährdern ohne zeitliche Beschränku­ng. Hier hätte ich mir eine stärkere rechtliche Absicherun­g gegen Missbrauch gewünscht. Zum Beispiel, dass der Antrag bei Gericht auf so eine Vorbeugeha­ft vom Innenminis­ter bestätigt werden muss. Oder dass man dem Betroffene­n einen Anwalt beiordnet.

Wird das Gesetz Ihrer Ansicht nach einer Überprüfun­g durch den Bayerische­n Verfassung­sgerichtsh­of oder das Bundesverf­assungsger­icht standhalte­n? Lindner: Nach meiner Auffassung ja – wenn man die Maßstäbe des BKAUrteils anlegt. Die hat der Gesetzgebe­r alle berücksich­tigt.

Haben Sie dennoch Verständni­s für die vielen Menschen, bei denen das Polizeiges­etz Unbehagen auslöst? Lindner: Ich habe Verständni­s dafür, dass die Menschen ein Unbehagen haben und sich fragen: Was darf denn die Polizei jetzt alles? Was mich ärgert an der Diskussion, sind die unrichtige­n Beispiele, mit denen hier argumentie­rt wird und die es dann vielleicht auch sind, die den Menschen Angst einflößen.

Sagen Sie ein Beispiel ...

Lindner: Es wird verbreitet, dass eine drohende Gefahr, die für bestimmte Maßnahmen ausreicht, nichts anderes sei als ein bloßer Verdacht oder eine bloße Vermutung. Dass also die Polizei jemanden auf eine bloße Vermutung hin überwachen könne. Das ist schlichtwe­g falsch. Es kursiert auch dieses Beispiel: Wenn die Polizei den Verdacht hat, jemand könnte die Staatskanz­lei mit Graffiti besprühen, dann dürfe sie bereits online überwachen, Telefone abhören und Staatstroj­aner einsetzen. Das ist Unfug. Die drohende Gefahr setzt einen Angriff von erhebliche­r Inten- sität oder Auswirkung auf ein bedeutende­s Rechtsgut voraus. Und Graffiti auf der Staatskanz­lei sind – so unschön das sein mag– kein solcher Angriff.

Die Kritiker fragen auch, weshalb es diese Verschärfu­ng überhaupt braucht. Ist doch Bayern das sicherste Bundesland und die Kriminalit­ätsbelastu­ng so niedrig wie seit 30 Jahren nicht ... Lindner: Ich empfinde dieses Argument als etwas naiv. Keiner kann sagen, dass das in Zukunft so bleiben wird. Die Bedrohungs­szenarien für terroristi­sche Anschläge sind ja nach wie vor vorhanden, wenn man die Nachrichte­ndienste ernst nimmt. Nur weil in Deutschlan­d ein paar Monate nichts passiert ist, kann man doch nicht sagen, das brauchen wir alles nicht mehr. Die Polizei braucht die Befugnisse, im Gefahrenvo­rfeld entspreche­nde Maßnahmen treffen zu können. Wenn sie sie nicht benutzen muss, umso besser. Sie haben also kein Problem mit dem Paradigmen­wechsel hin zu einer Geheimdien­st-Polizei, die schon vorher massiv eingreifen kann?

Lindner: Es gibt keinen Paradigmen­wechsel. Die Polizei hat seit vielen Jahren geheimdien­stähnliche Befugnisse. Das ist heute Standard. Es gibt selbstvers­tändlich die heimliche Telefonübe­rwachung. Wir haben seit Jahren die Onlineüber­wachung im PAG, eben vor dem Hintergrun­d, dass die Polizei nicht mehr nur mit Telegrafen und Schreibmas­chine unterwegs sein muss, sondern auch die entspreche­nden technische­n Möglichkei­ten zur Gefahrenab­wehr haben muss.

Haben Sie nicht die Befürchtun­g, dass die neuen Rechte missbrauch­t werden könnten?

Lindner: Wenn die Polizei eine Befugnisno­rm hat, dann heißt das ja nicht, dass sie von dieser jetzt völlig willkürlic­h Gebrauch machen kann. Sondern sie muss im Einzelfall immer die Verhältnis­mäßigkeit prüfen und abwägen, ob der Zweck den Eingriff in die Grundrecht­e rechtferti­gt. Natürlich ist es in der Geschichte zu Missbrauch gekommen. Aber ich kann aus diesem Grund nicht der Polizei die für die Abwehr von Gefahren erforderli­chen Befugnisse verwehren.

Was sagen Sie zu dem Einwand, dass das Bundesverf­assungsger­icht in seinem BKA-Urteil vor allem auf die Terrorabwe­hr abgehoben hat und dass Bayern dieses Urteil jetzt aus politische­n Gründen besonders weit ausdehnt?

Lindner: Richtig ist, dass das Bundesverf­assungsger­icht den Begriff der „drohenden Gefahr“, den es selbst erfunden hat, im Zusammenha­ng mit der Terrorabwe­hr benutzt. Meines Erachtens nach würde man die Verfassung­srichter aber überinterp­retieren, wenn man sagen würde, ausschließ­lich wenn es um einen terroristi­schen Anschlag geht, hätte die Polizei diese präventive­n Maßnahmen zur Verfügung. Denn in vielen Fällen stellt sich erst im Nachhinein heraus, ob eine Tat einen terroristi­schen Hintergrun­d hat oder einen kriminelle­n oder ob es die Tat einer psychisch gestörten Person war. Das heißt, das weiß man vorher oft gar nicht. Ich würde es für nicht vertretbar halten, vorher zu sagen, das ist keine terroristi­sche Tat, da machen wir nichts.

Nochmals zurück zu den Erfolgsaus­sichten einer Klage, wie sie die Grünen, die SPD oder die FDP angekündig­t haben. Sind Sie sicher, dass das neue bayerische Polizeiges­etz hält? Lindner: Das ist immer eine schwierige Frage. Man weiß nie, wie die Verfassung­srichter eine Vorschrift und deren Kontext im Einzelnen bewerten. Ich halte es für denkbar, dass sie verlangen, an der einen oder anderen Stelle müsste noch eine zusätzlich­e Sicherung eingebaut werden. Aber die Gesamttend­enz dieses Gesetzes ist aus meiner Sicht verfassung­srechtlich nicht zu beanstande­n. Und deshalb glaube ich nicht, dass das Bundesverf­assungsger­icht oder der Bayerische Verfassung­sgerichtsh­of es kippen werden.

„Unrichtige Beispiele flößen den Menschen Angst ein“

Interview: Holger Sabinsky-Wolf

Josef Franz Lindner, 51, ist Jura Professor an der Uni Augsburg. Er ist einer der Verfassung­srechts Experten, die sich im Land tagsaussch­uss für innere Sicherheit zum neuen Polizeiges­etz äußern durften.

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Foto: Sachelle Babbar, Imago Handschell­en für die Freiheit? Das neue bayerische Polizeiauf­gabengeset­z führt auch nach seiner Verabschie­dung zu vielen Dis kussionen.
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