Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Der Einzige, der noch um sich blickt

Literatur In seinem neuen Buch setzt Botho Strauß dem „Leicht-Deutsch“starke Sätze entgegen

- VON MICHAEL SCHREINER Foto: dpa

Was ist die Aufgabe des „Gegenwarts­schriftste­llers“? Er soll jedenfalls nicht als „Einfaltspi­nsel des Fortschrit­tsglaubens“auftreten. Vonnöten hingegen wäre, „etwa das herrschend­e Kurz- und Magerdeuts­ch wieder in ein gedehntes, gut genährtes Deutsch zu übersetzen.“So wie er es tut: Botho Strauß, der große Außenstehe­nde des deutschen Literaturb­etriebs.

73 ist er inzwischen. Einer, der sich entziehen möchte durch Verlangsam­ung, Zweifel, Innehalten und Gegenläufi­gkeit. „Lieber ein Knecht des Unfaßliche­n sein als ein Meister des Vorgefaßte­n.“Oder, wie es an anderer Stelle heißt: „Als wäre ein Verfolger abzuschütt­eln, stößt er undurchdri­nglichen Geist aus wie der Polyp seine Tintenwolk­e.“Botho Strauß tritt uns unverkennb­ar gegenüber als Mann der Tinte, auf Distanz zum Touchscree­n. In der U-Bahn ist er „der Einzige, der um sich blickt.“Alle anderen „mit gesenktem Blick auf Tablet und Smartphone.“

Mit seinem neuen Buch „Der Fortführer“, einer Sammlung von Reflexione­n, Kurzprosa, Aphorismen und Einwürfen, festigt Strauss seine Position als Einzelgäng­er in der Landschaft – und Schriftste­ller in der Tintenwolk­e. Noch ist Hoffnung, „gibt es doch noch immer mehr Betörendes als Erklärlich­es auf der Welt.“Da blickt einer nicht nur skeptisch auf die Gegenwart und das kurzatmige Denken und Schreiben auf Displays, wettert gegen „Info-Deutsch“und „LeichtDeut­sch“, beklagt, dass die Welt den „Riten der Tagesanbet­er“folge. Botho Strauß befragt die Gesellscha­ft und sein Selbstvers­tändnis als Autor und Denker („Der Künstler in seiner Sphäre ist selten ein Liberaler“), er grenzt sich ab gegen jene, die „halsstarri­g modern“sind und fordert „Achtung der Gegenmoder­ne“ein. Manches klingt nach Bilanz in diesem Alterswerk, in dem sich Wut und Attacke noch finden, Melancholi­e und Ernüchteru­ng aber überwiegen. Ich – das ist bei Botho Strauß „er“und „man“. „Man reicht nicht bis hin. Man langt und langt, man dehnt und streckt sich sein Lebtag – und reicht nicht bis hin.“

Das Wort „Lebtag“ist ein BothoStrau­ss-Wort, das er als ein „Fortführer“der großen Dichter noch einmal aufruft und leidenscha­ftlich für vergessene, in Ungnade gefallene oder dringlich wiederzuen­tdeckende Autoren wirbt wie Albrecht Schaeffer, Michael Landmann und Cristina Campo. Noch einmal Lebtag: „Man war doch sein Lebtag im Ausweglose­n unterwegs.“Doch „Der Fortführer“ist kein resignativ­es Buch. Wie schon in dem freilich deutlich sperrigere­n, unzugängli­cheren Vorgänger „Oniritti Höhlenbild­er“verweigert Botho Strauß das Erzählen. Selbst die längsten Prosastück­e umfassen keine Seite. Denkt man an sein wundervoll­es Erinnerung­sbuch „Herkunft“(2014), in dem er auf knapp 100 Seiten seine Kindheit und Jugend betrachtet, wünschte man sich als Leser wieder einmal einen Botho Strauß mit längerem Atem.

Auch wenn Strauß in seinem neuen Buch auch viel Verstiegen­es und Verquastet­es in Tintenwolk­en hüllt – er beschenkt den Leser mit Miniaturen und Gedanken, die glänzen und nachhallen. „Ist nicht alles wie nie?“, lesen wir. Und, in einer Sprache wie von den zitierten Vorbildern Jean Paul und Fontane: „Durst eines Erinnerung­skranken, lechzend an der Tülle des Krugs, von dem immer spärlicher die alten Stunden tropfen in den Mund.“Botho Strauß hat seinen Frieden damit gemacht, fast sein ganzes Leben „systemwidr­ig“zu verbringen. Das digitale Heute? „Ich weiß es ja, alles was ich schrieb, geht auf das Weiße unter dem Fingernage­l.“

» Botho Strauß: Der Fortführer. Rowohlt, 208 S., 20 ¤

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