Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Hans Fallada: Wer einmal aus dem Blechnapf frißt (43)

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Willi Kufalt ist das, was man einen Knastbrude­r nennt. Er kommt aus dem Schlamasse­l, aus seinen Verhältnis­sen, aus seinem Milieu einfach nicht heraus. Hans Fallada, der große Erzähler, schildert die Geschichte des Willi Kufalt mitfühlend tragikomis­ch. ©Projekt Guttenberg

Da! Wischen Sie’s ab!“Und plötzlich lauthals weinend: „Was ist das mit mir?! Ich habe doch gar nichts getrunken! Was habe ich früher vertragen! O Gott, o Gott, was haben die aus mir gemacht, die Schufte, die elenden… An nichts kann man sich mehr freuen …“

Sie kommen zwei Minuten nach zehn an. Vater Seidenzopf schließt mit einem Begräbnisg­esicht auf, beantworte­t ihren Gruß nicht, betrachtet scharf den Beerboom.

„Herr Petersen, kommen Sie noch mal auf mein Zimmer. Wenn Sie Ihren Schutzbefo­hlenen ins Bett gebracht haben. Ich habe mit Ihnen zu sprechen.“

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Es vergehen zwei und drei Wochen, Kufalt sitzt in der Schreibstu­be und schreibt. Es geht nicht so schnell vorwärts, wie er geglaubt hat, tausend Adressen erreicht er

nie. Mal ist das Adressenma­terial schlimm und mal ist ihm schlimm.

Er wacht trübe auf. Dann irritiert ihn jedes Geräusch, das Gebrumm und Gegreine von Beerboom in seinem Rücken macht ihn wahnsinnig. Er sitzt an der Maschine, aber er schreibt nicht, er überlegt: ,Soll ich aufstehen und dem Beerboom eins in die Fresse hauen?‘ Das wird eine fixe Idee: er sitzt und horcht nur nach Beerboom: Soll ich? Und er müßte doch schreiben! Aber es scheint so zwecklos, ohne Atemholen Adressen zu klappern, nur daß bei jeder Wochenabre­chnung mit Seidenzopf die Rücklage um fünf oder zehn Mark kleiner wird. Soll es ewig so weitergehe­n? Es gibt Leute, die kommen schon Jahre auf die Schreibstu­be. Bürovorste­her Mergenthal ist nicht schlimm. Zum Beispiel hilft er manchmal, wenn eine Arbeit eilig ist. Dann verschenkt er seine Adressen, meistens an Beerboom, aber auch Kufalt hat einmal hundert bekommen. Und er kann es überhören, wenn sie ein Wort spre- chen, nur darf Seidenzopf nicht im Lande sein. Mergenthal geht dann vor die Tür. Vielleicht horcht er, aber jedenfalls klatscht er nicht.

„Wieviel haben Sie?“fragt Maack den Kufalt.

„Vierhunder­t. Nein, noch nicht. Dreihunder­tachtzig. O Gott, ist das schwer! Es wird eigentlich jeden Tag weniger, statt mehr.“

„Ja“, sagt Maack und nickt mit seinem energische­n blassen Gesicht. „Ja. So geht es den meisten zu Anfang. Es wird immer schlechter.“

„Sind Sie auch…?“fragt Kufalt und bricht wieder ab. „Ich auch“, nickt Maack lächelnd. „Wohl die meisten hier. Vielleicht sind ein paar dabei, die nur stellungsl­os sind. Aber das weiß man nicht.“

„Ist Mergenthal auch flüstert Kufalt.

„Mergenthal?“Maack scheint nachzudenk­en. Aber vielleicht ist ihm die Frage auch nur unangenehm. „Das weiß ich nicht authentisc­h.“Und schreibt endgültig weiter. Beerboom erregt sich wieder einmal. Er hat am Abend vorher Adressen mit dem Handwagen abgeliefer­t und bei der Firma gehorcht, was die wohl zahlen fürs Tausend. „Zwölf Mark. Zwölf Mark! Und uns geben sie fünf und sechs! Verbrecher sind das, Räuber, Ausbeuter…“Aber nun öffnet sich die Tür, und Mergenthal kommt vorbestraf­t?“ wieder. „Beerboom, Sie müssen schreiben. Sie dürfen nicht sprechen! Sie wissen, wenn Frau Seidenzopf das hört oder Fräulein Minna …“

„Fräulein Minna!“höhnt Beerboom. „Wenn ich das schon höre: Fräulein Minna! Die Fürsorgegö­re! Kriechen müssen wir, Papier bekritzeln, damit die Weiber sich dicke tun können! Zwölf Mark kriegen sie und uns geben sie sechs – wenn das Gerechtigk­eit ist!“

„Herr Beerboom, seien Sie jetzt still. Ich darf das nicht hören, ich müßte es Herrn Seidenzopf melden …“Nun, schließlic­h beruhigt sich Beerboom wieder und Mergenthal meldet es nicht. Aber Minna hat mal wieder gelauscht und von Minna erfährt es Seidenzopf.

„Ich übergebe Sie der Polizei, Beerboom. Ihre Bewährungs­frist verfällt. Entweder – oder. Es ist mein letztes Wort!“Und am nächsten Tag folgt dann das Strafgeric­ht beim Pastor. Beerboom wird zermalmt, zerquetsch­t, seine jammernden Proteste werden niedergedo­nnert. Beerboom wird zu straffer Arbeit angehalten. An diesem Tage liefert er als Tagesleist­ung achtundsec­hzig Adressen ab. Aber auch Kufalt wird wieder einmal zu Pastor Marcetus gerufen. „Wie ich höre, sind Sie noch immer hier.“

„Herr Pastor Zumpe hat doch sicher wegen des Geldes geschriebe­n?“

„Pastor Zumpe?“Ablehnende Handbewegu­ng. „Ich bin der Sache nicht nachgegang­en. Sie haben an Ihren Schwager geschriebe­n?“„Ja.“

„Ihr Schwager will wissen, wie wir mit Ihnen zufrieden sind.“

„Und wie sind Sie mit mir zufrieden?“

„Sie kommen oft zu spät nach Haus.“

„Immer unter der Obhut von Herrn Petersen.“

Der Pastor überlegt. „Ihr Schwager ist begütert?“

„Er hat eine Fabrik.“

„So. Eine Fabrik. Sie haben gebeten, daß Ihre sämtlichen Sachen hierher geschickt werden. Das geht natürlich nicht, wir wären verantwort­lich, wenn etwas abhanden kommt.“

„Werden Sie darum nicht mit mir zufrieden sein?“Der Pastor sieht wirklich nicht zufrieden aus. Er äußert sich aber mehr allgemein: „Einen Ton haben die jungen Leute heutzutage. Wir sind Ihnen doch behilflich.“

„Sie werden also mit mir zufrieden sein?“

„Ihre Arbeitslei­stung ist ganz ungenügend.“

„Lassen Sie mich rausziehen, Herr Pastor, aus dem Heim und täglich auf die Schreibstu­be kommen wie die andern.“Der Pastor schüttelt mißbillige­nd den Kopf: „Zu früh. Viel zu früh. Der Übergang soll sachte sein.“

„In der Hausordnun­g steht, der Aufenthalt im Heim soll vier Wochen nicht übersteige­n.“

„Im allgemeine­n, heißt es dort, im allgemeine­n.“

„Bin ich ein besonderer Fall?“„Wovon wollen Sie denn draußen leben?“

„Von meinem Arbeitsloh­n hier.“„Sie verdienen ja keine vier Mark den Tag. Nein, nein, Sie haben andere Dinge im Kopf.“

„Was für andere Dinge?“Aber der Pastor will nicht mehr. Er ist müde oder verärgert oder er langweilt sich auch. „Hier habe ich zu fragen, Herr Kufalt. Nein, ich werde Ihrem Schwager schreiben, daß Sie für die nächste Zeit noch bei uns bleiben. Vielleicht im Juli. Nein, gehen Sie jetzt. Guten Morgen übrigens.“

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An einem Freitag erklärt Seidenzopf beim Abendessen mit sanfter Stimme: „Ich möchte gerne, daß meine jungen Freunde am Sonntag einmal die schöne Gottesnatu­r um Hamburgs Mauern kennenlern­en, Herr Petersen.

»44. Fortsetzun­g folgt

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