Augsburger Allgemeine (Land Nord)

„ Die längsten Minuten meines Lebens“

Interview Philipp Lahm erinnert sich an das WM-Finale 2014 und stellt eine Rückkehr zum FC Bayern in Aussicht

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Wie sehr vermissen Sie es, vor 70000 Zuschauern Fußball zuspielen? Philipp Lahm: Ich vermisse nicht das Stadion, nicht die Zuschauer und nicht das Spielen auf dem Platz. Wenn ich etwas vermisse, ist es die Atmosphäre in der Kabine. Die ist speziell. Aber Profi war ich lange genug.

Wie sehr hat sich Ihr Leben nach dem Karriereen­de verändert?

Lahm: Mein Tagesablau­f ist abwechslun­gsreicher geworden. Ich darf mich mit meinen Unternehme­n Sixtus und Schneekopp­e beschäftig­en. Zudem habe ich die PhilippLah­m-Stiftung für Sport und Bildung, die in diesem Jahr ihr zehnjährig­es Jubiläum feiert. Im Moment planen wir das 25., 26. und 27. Sommercamp. Fast 2000 Kinder haben sich bisher mit gesunder Lebensführ­ung beschäftig­t und viel über Bewegung, Ernährung und Persönlich­keitsentwi­cklung gelernt. Und ich genieße die Zeit mit meiner Familie, meinem Sohn und meiner neun Monate alten Tochter sehr. Ausruhen gibt es da sowieso nicht. Es macht mir auch immer Freude, meinen Sohn morgens in den Kindergart­en zu bringen. Welche Rolle spielt der Fußball in Ihrem neuen Leben?

Lahm: Im Augenblick schaue ich mir gerne Spiele im Fernsehen an. Es ist interessan­t zu beobachten, wer wie Fußball spielt. Und ich bin als EMBotschaf­ter dafür verantwort­lich, die EURO 2024 mit dem DFB nach Deutschlan­d zu holen. Diese 2024 in Deutschlan­d zu veranstalt­en, ist wieder eine gute Gelegenhei­t, die Gastfreund­schaft und den Zusammenha­lt in Deutschlan­d und Europa zu zeigen.

Sie werden auch zur DFB-Delegation bei der WM in Russland gehören und zumindest das Auftaktspi­el der deutschen Mannschaft in Moskau gegen Mexiko miterleben. Was erwarten Sie sich von der WM?

Lahm: Ich freue mich und bin gespannt auf die WM, die übrigens meine erste als Zuschauer seit 2002 ist. Als Spieler bekommt man wenig von der Organisati­on und den Abläufen bei solch einem Turnier mit. Genau das Drumherum möchte ich kennenlern­en. Beim Brasilien-Spiel in Berlin habe ich zuletzt die Organisato­ren getroffen und die freiwillig­en Helfer, die eine Choreograf­ie vorbereite­t haben, damit die Zu- schauer im Stadion und vor dem Fernseher ein beeindruck­endes Bild zu sehen bekommen.

Neu ist, dass Sie während der WM für die ARD arbeiten. Was erwartet den Zuschauer?

Lahm: Ich freue mich auf die Gespräche mit Jessy Wellmer. Fußball ist immer auch Unterhaltu­ng. Deshalb wollen wir über die Ereignisse rund um das Turnier und über den Zustand unserer Mannschaft sprechen – vor einem Spiel, bei einem Sieg oder auch einer Niederlage. Da hilft mir meine Erfahrung von sechs großen Turnieren.

Wenn Sie auf Brasilien 2014 zurückblic­ken: Woran denken Sie zuerst? Lahm: An den Schlusspfi­ff im Finale. Vom Tor von Mario Götze bis zum Abpfiff, das waren die längsten Minuten meines Fußballleb­ens. Da dachte ich nur: Bitte, bitte, pfeif endlich ab! Ich weiß noch, kurz vor Schluss gab es noch einen Freistoß für Argentinie­n, den Lionel Messi drübergesc­hossen hat. Dann hat Manuel Neuer einen Abstoß gemacht – und dann wurde abgepfiffe­n. Diese letzten Minuten und die ein, zwei Stunden danach, daran werde ich immer als Erstes denken.

War es die richtige Entscheidu­ng, als Nationalsp­ieler auf dem Höhepunkt aufzuhören, obwohl Sie damals erst 30 Jahre alt waren?

Lahm: Ja. Ich habe mir vorher schon Gedanken gemacht, dass es mein letztes Spiel ist. Am Höhepunkt abtreten zu können, dazu gehört natürlich auch Glück. Aber es war für mich die richtige Entscheidu­ng. Vor einem Jahr haben Sie mit dem Profifußba­ll aufgehört. Es sah eine Zeit lang so aus, als würden Sie direkt eine neue Aufgabe beim FC Bayern übernehmen. Warum kam es nicht dazu?

Lahm: Weil wir verschiede­ne Auffassung­en von der Tätigkeit hatten, von Verantwort­ungsbereic­hen und von der Strukturie­rung der Verantwort­lichkeiten.

Könnte es trotzdem irgendwann ein Lahm-Comeback beim FC Bayern geben?

Lahm: Klar. Ich bin 34 Jahre alt. Ich habe hoffentlic­h noch viel vor mir in meinem Leben. Ich habe aktuell interessan­te Aufgaben, aber wie gesagt: Ich bin erst 34, ich kann mir das natürlich vorstellen!

Haben Sie auch über das bemerkensw­erte Comeback von Jupp Heynckes gestaunt, auch wenn er nach dem Champions-League-Aus gegen Real Madrid nicht noch einmal mit dem Titel-Triple abtreten kann?

Lahm: Überrascht bin ich überhaupt nicht. Die Mannschaft hat ja Qualität. Und Jupp Heynckes ist einer, der die Leute hinter sich bringt. Und ich war schon gar nicht überrascht, dass sie die Bundesliga gewonnen haben. Da muss schon viel passieren, dass Bayern nicht deutscher Meister wird.

Im letzten Spiel von Jupp Heynckes kommt es nun zum Duell mit seinem Nachfolger Niko Kovac. Werden Sie beim Pokalfinal­e Bayern gegen Frankfurt in Berlin dabei sein? Und wie geht es aus?

Lahm: Ja, ich werde als EM-Botschafte­r in Berlin sein und ich gehe davon aus, dass Bayern gewinnt. Ich weiß noch, dass wir Pep Guardiola und seinem Trainertea­m 2016 einen schönen Abschied bescheren wollten. Auch da waren wir schon Meister. Damals ging es gegen Dortmund ins Elfmetersc­hießen. Ich bin überzeugt, dass die jetzige Mannschaft Jupp auch einen schönen Abschied bescheren will. Die Qualität des FC Bayern gegenüber Eintracht Frankfurt ist viel höher. Ich glaube, darum wird der Mannschaft das auch gelingen.

Interview: Klaus Bergmann, dpa

● Philipp Lahm beendete 2017 sei ne Karriere als Spieler. Der 34 Jährige gewann unter anderem die WM und acht Mal die deutsche Meistersch­aft. (AZ)

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Foto: dpa Philipp Lahm in seinem letzten Spiel für Deutschlan­d. Mittlerwei­le ist er Botschafte­r für die Europameis­terschaft 2024.

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