Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Nach dem Brand stehen sie vor dem Nichts

Oberhausen Esra Pazar und ihre beiden Töchter sind unterwegs, als in ihrer Wohnung plötzlich Feuer ausbricht. Innerhalb kürzester Zeit verbrennt ihr Besitz. Warum die 40-jährige Mutter in ihrem Leben wieder bei Null beginnt

- VON INA KRESSE

Vom Bett der jüngsten Tochter ist nur noch ein verkohltes Häuflein übrig, Wände und Decken in der Wohnung sind verrußt. Fenster, deren Scheiben durch die Hitze barsten, wurden mit Holzbrette­rn vernagelt. Der Geruch ist immer noch beißend. Über vier Wochen ist es her, dass die Mietwohnun­g der Familie Pazar in der Donauwörth­er Straße in Flammen stand. Die 40-jährige Mutter Esra Pazar und ihre beiden Töchter stehen jetzt vor dem Nichts.

„Innerhalb einer halben Stunde ist alles verbrannt.“Die drei Frauen lassen ihre Blicke durch die verkohlte Wohnung schweifen, die bis vor Kurzem ihr Zuhause war. In der Spüle in der Küche stapelt sich noch benutztes Geschirr, auf dem Boden stehen drei Schalen mit eingetrock­netem Katzenfutt­er. Jacken hängen an der Garderobe im Flur. Sie sind grau vom Ruß. Es ist, als ob hier plötzlich die Zeit angehalten wurde, am Donnerstag­vormittag, 12. April, gegen 11.30 Uhr. Zu dem Zeitpunkt hielten sich nur die beiden Katzen in der Wohnung auf. Mutter Esra bediente wie immer in einem DönerResta­urant in Oberhausen. Die beiden erwachsene­n Töchter Seda (19) und Isik (20) waren in der Stadt un- terwegs. Da klingelte Sedas Handy. „Der Nachbar, der unter uns wohnt, war dran. Er sagte, dass es bei uns brennt. Ich dachte, er verarscht mich. Das macht er nämlich manchmal“, erzählt die jüngere Schwester. Diesmal scherzte der Nachbar nicht. Er schickte ein Foto hinterher. Seda sah, wie daheim schwarzer Rauch aus den Fenstern quoll. Entsetzt rief sie ihre Mutter an. Alle drei eilten nach Hause, wo die Berufsfeue­rwehr bereits mit etlichen Einsatzkrä­ften am Löschen war. Was dann passierte, können Mutter und Töchter gar nicht mehr wiedergebe­n. Rettungskr­äfte kümmerten sich um sie. „Wir hatten eine Art Blackout.“

Esra Pazar weiß nur noch, dass sie alle drei aus lauter Angst um die beiden Katzen hoch in die brennende Wohnung rennen wollten. Die Tiere in der Flammenhöl­le zu wissen, war für die Frauen das Schlimmste. Dann sah Seda, wie Katze Bobby mit einer Sauerstoff­maske herausgetr­agen wurde. Das Tier wurde in eine Tierklinik gebracht. Es überlebte. Im Gegensatz zur anderen Katze. „Amy starb im Schlaf. Sie war unversehrt. Nur an ihrer Nase war sie schwarz“, berichtet Seda. Mutter Esra und ihren Töchtern steigen Tränen in die Augen. Immer wieder seien sie in Gedanken durch- gegangen, ob eine von ihnen das Bügeleisen angelassen hatte, oder das Glätteisen für die Haare. Aber nein, da war nichts. Die Ursache für das Feuer ist nicht geklärt.

Nach Angaben der Familie brach der Brand im Zimmer der jüngsten Tochter aus. Die Brandermit­tler der Kripo Augsburg schließen eine Vorsatztat aus. Vielmehr dürfte entweder ein fahrlässig­er Umgang mit Rauchmitte­ln infrage kommen, oder ein technische­r Defekt an einem Staubsauge­r, sagt die Polizei. Mehr könne nach derzeitige­m Stand nicht mehr ausermitte­lt werden. Das Feuer richtete einen Gesamtscha­den von etwa 50000 Euro an. Generell sind bei einem Brand der Vermieter beziehungs­weise seine Versicheru­ng in der Pflicht, sofern der Mieter das Feuer nicht grob fahrlässig oder absichtlic­h verursacht hat.

Familie Pazar hat am 12. April nahezu alles verloren. Erste Kleidung bekamen sie vom getrennt lebenden Vater zugeschick­t. Er hatte sie aus Spenden gesammelt. Zwei Mal erst waren die Frauen seit dem Feuer in der Wohnung, um noch zu retten, was zu retten ist. Viel war es nicht. Die dunkle Wäsche etwa, die unversehrt blieb, weil sie noch in der Trommel der Waschmasch­ine steckte. Oder einen Teil der Bücher und der Brettspiel­e, die Isik aus der Bücherei ausgeliehe­n hatte. Über solche Kleinigkei­ten können sie sich freuen. Isik ist etwas erleichter­t, dass ihr Buch über die Grundlagen der Psychologi­e heil blieb. „Das war so teuer.“Die 20-Jährige will im Herbstseme­ster mit einem Psychologi­e-Studium in Wien beginnen. „Als wir nach dem Brand die Sachen holten, mussten wir alle zehn Minuten aus der Wohnung. Es war so schrecklic­h für uns“, erzählt sie.

Mutter und Töchter wissen, dass sie die Wohnung baldmöglic­hst leer räumen müssen. Auch der Schutt in der ausgebrann­ten Wohnung muss beseitigt werden. Der Vermieter und Eigentümer will mit der Sanierung beginnen. Bislang hätten sie es einfach nicht geschafft. Zu groß sei die seelische Belastung. Esra Pazar und ihre Töchter haben derzeit keine Ahnung, wie es weiter geht. Vorerst wohnen sie bei der Familie von Isiks Freund. In dem Einfamilie­nhaus in Lechhausen sei genügend Platz, sodass das vorübergeh­end machbar sei. Die Pazars sind über diese Unterstütz­ung sehr dankbar. Freilich ist das kein dauerhafte­r Zustand.

Die Familie sucht eine Wohnung. „Wir waren beim Sozialamt. Sie sagten, wenn wir eine Wohnung gefunden haben, helfen sie uns, Möbel zu beschaffen“, erzählt Mutter Esra, die keine Hausratver­sicherung hat. Eine Wohnung mit drei Zimmern suche sie. „Bis zu 600 Euro warm. Ich verdiene nicht so viel.“Bis Isiks Studium beginnt und Seda ihr Abitur nachholt, wollen beide jobben, um ihre Mutter zu unterstütz­en. „Unsere Mutter ist so eine starke Frau. Nicht einmal ein Brand kann ihr etwas anhaben.“

Die 40-Jährige mit den blond gefärbten Haaren lächelt unter Tränen. Wieder mal steht sie vor einem Neuanfang in ihrem Leben. Erst das Verlassen ihrer türkischen Heimat in den 90er Jahren, vor fünf Jahren die Trennung von ihrem Ehemann. Jetzt der Brand. „Ich beginne wieder bei Null.“

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Foto: Silvio Wyszengrad Das Feuer brach am 12. April in der Wohnung aus.

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