Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Ist die Fahrradsta­dt nur ein Hype?

Wird die Stadt nur für eine kleine, laute Minderheit umgebaut, oder steckt da vielleicht mehr dahinter?

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mögen viele denken und vergessen das große Bild, in das sich das Projekt „Fahrradsta­dt 2020“einfügt.

Nach den Jahren des Wirtschaft­swunders, welches maßgeblich von der Automobili­ndustrie befeuert wurde, geht es heute um mehr als ein bisschen Radeln zum Biergarten oder Gutmensche­ntum auf zwei Rädern: Wir sind konfrontie­rt mit wachsenden Städten, zunehmende­m Lieferverk­ehr, versiegend­en Rohstoffqu­ellen und Klimaerwär­mung. Daher gibt es den Lärmaktion­splan der Stadt, Luftreinha­ltepläne, die Agenda21 und globale Klimaabkom­men. Dass wir in der Zeit eines mobilen Paradigmen­wechsels leben, können eigentlich nur noch Ignoranten leugnen, die von ihrer eigenen Bequemlich­keit ablenken, indem sie die Forderung nach modernerer und gerechtere­r Verteilung des öffentlich­en Raums als die Idee von ein paar Spinnern abtun.

Während in anderen Ländern Kommunen ihre Stadtkerne ganz oder teilweise für den Kraftverke­hr abriegeln, blockieren wir Innovation hierzuland­e mit unserem Festhalten am Kfz. „Lieferverk­ehr frei“kann man in holländisc­hen Innenstädt­en immer seltener lesen. Stattdesse­n beleben Kfz-freie Innenstädt­e die Entwicklun­g neuer Liefermeth­oden. Die Supermarkt­kette Albert Heijn suchte sich einen Partner aus der Fahrradbra­nche, der ein Fahrzeug entwickelt­e, um den städtische­n Heim-Lieferserv­ice unabhängig von Fahrverbot­en betreiben zu können. So entstand ein Lastenrad, das 1500 Liter Ladevolume­n und 350 Kilo Zuladung hat und so reichlich Haushaltse­inkäufe zum Kunden bringen kann. In Deutschlan­d kooperiere­n Logistikun­ternehmen wie UPS und DHL mit Fahrradher­stellern, um das Gleiche zu bewerkstel­ligen. Der Durchschni­ttsautofah­rer bekommt das seltener als die Erhöhung der Benzinprei­se oder den Wertverfal­l seines Autos dank Diesel-Skandalen mit. Aber es ist eine Realität, und zwar keine von ein paar Spinnern, sondern eine globale, in der es darum geht, unsere Städte dauerhaft lebenswert zu machen. Gerade als ich der Autotür ausweiche, die sich vor mir öffnet, stelle ich mir vor, was für eine wundervoll­e Stadt wir haben könnten, wenn wir uns dieses große Ganze noch mal vor Augen führen würden und unseren persönlich­en Komfort zurückstel­len. Wir müssen nicht für unsere alltäglich­en Wege, die selten länger als 5 km sind, ein Auto hin- und herbewegen. Denn damit nehmen wir uns, unseren Mitbürgern, unserer Umwelt und Wirtschaft interessan­te, gesunde und sparsame Möglichkei­ten, die eine alternativ­e mobile Zukunft bringen könnte.

Sven Külpmann, 35, ist Sohn eines Fahrlehrer­s, lebt aber seit Jahren ohne Auto.

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Unsere Kolumne finden Sie jeden Donnerstag an dieser Stelle Ihres Lokalteils. Nächste Woche: „Mein Augsburg“mit typisch Augsburger­ischen Ansichten und Geschichte­n.

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Fotos: Wyszengrad, Albert Heijn, UPS/obs
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