Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Schwerstarbeit mit der Eisenstange
Serie Wer den olympischen Zweikampf im Gewichtheben lernen will, braucht viel mehr als nur Kraft. Worauf es wirklich ankommt
Das frühsommerliche Wetter versetzt uns in Hochstimmung und animiert zu sportlichen Aktivitäten. In unserer Serie „Fit wie ein Turnschuh“testen wir im Selbstversuch verschiedene Möglichkeiten, sich fit zu halten, und geben anhand unserer dabei gesammelten Erfahrungen Tipps. Gersthofen Ganz ehrlich: Mit Tokio 2020 wird es wohl nichts mehr. Auch wenn der Gedanke daran extrem verlockend ist: Denn wer würde nicht gerne einmal im Leben an Olympischen Spielen teilnehmen? Die Voraussetzungen für einen Start bei den Gewichthebern wären jedenfalls nicht die schlechtesten, sagt Physiotherapeut und Personaltrainer Samuel Schürenberg. Die Körpergröße passe mit 1,75 Metern genauso wie die Körperspannung und die Beweglichkeit in den Sprunggelenken und der Hüfte, um einmal viel Masse in die Höhe zu wuchten. Schürenberg macht Mut, als es im Sam Sportsclub in Gersthofen an die ersten Übungen zum olympischen Zweikampf im Gewichtheben geht.
Bevor die Räder so schwer wie Zementsäcke an die Stange kommen, ist ein Besenstiel an der Reihe. Wirklich: Wer perfekt Reißen und Stoßen lernen will, bekommt erst einmal die Holzstange in die Hand gedrückt. Über den Kopf von vorne nach hinten: Die Schultermuskulatur soll sich lockern. Doch so locker geht da nichts: Der Besenstiel will nicht sofort hinter den Rücken, der verletzlichsten Stelle eines jeden Schreibtischtäters. Das weiß auch Schürenberg, der eine Engelsgeduld hat. Ruhig, ja fast einfühlsam, erklärt er, auf was es ankommt. Dann tauscht er den Besenstiel gegen eine 20 Kilogramm schwere Eisenstange.
Das polierte Metall hat es in sich, als es zum ersten Zug geht: richtige Beinstellung, Kniebeuge, Hohlkreuz, Spannung in den Armen, Blick gerade nach vorne, die Zeigeund Mittelfinger umschließen die Daumen. Eine Menge Kleinigkeiten sind es, die das Gewichtheben zur Herausforderung machen. Und dann schlottern plötzlich die Oberschenkel. Der Schweiß läuft. Dann erst einmal Pause. Durchschnaufen. Trinken.
Schürenberg zündet die nächste Stufe. Und erklärt, wie beim zweiten Zug die Stange entlang der Oberschenkel bis zur Hüfte geführt wird, ein Energieschub das Gewicht nach oben katapultiert, das Eisen der Erdanziehung entkommt, kurzzeitig schwebt und wie schließlich umgesetzt wird. In Sekundenschnelle schlüpft der Körper unter die Last, um sie dann weiter nach oben zu stemmen.
Mag sein, dass der erste Teil der Bewegung daran erinnert, wie ein Bierkasten möglichst rückenschonend in den Autokofferraum gehoben wird. Tatsächlich ist sie viel komplexer. Wer die Elemente korrekt andereinanderreihen möchte, muss sich konzentrieren. Zum Hirnschmalz kommt Irxenschmalz, also viel Kraft. Und der Muskelkater?
Die Befürchtungen, nach der Stunde im Gersthofer Sportklub bewegungsunfähig auf dem Bürostuhl zu sein, bewahrheiteten sich nicht. Ganz im Gegenteil: Das kurze Training hinterlässt ein angenehmes, fast entspannendes Gefühl. Von Muskelkater keine Spur. „Im Grunde ist das Training für jeden geeignet“, sagt Schürenberg. Es fördere die Körperwahrnehmung, die Kontrolle und die Stabilität. Und es beuge Verletzungen vor. Gewichtheben sei ein Ganzkörpertraining, das auch die kognitiven Fähigkeiten herausfordere. Die Masse sei übrigens nicht entscheidend, und mehr Gewichte auf der Stange bedeute auch nicht mehr Effekt – vielleicht haben die vielen Hantelstangen, die sich unter Stapeln von Gewichtsscheiben biegen, zu einem falsch verstandenen Image der Schwerathletik geführt. Denn wer an Gewichtheben denkt, hat ein Superschwergewicht wie Matthias Steiner vor Augen. Dass der Sport weitaus mehr zu bieten hat als Muskelmasse unter hautengen Trikots, entdecken immer mehr Frauen – sogar Seniorinnen halten sich mit Gewichtheben fit. Bei Schürenberg trainieren auch über 80-Jährige.
Turnschuh