Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Schwerstar­beit mit der Eisenstang­e

Serie Wer den olympische­n Zweikampf im Gewichtheb­en lernen will, braucht viel mehr als nur Kraft. Worauf es wirklich ankommt

- VON MAXIMILIAN CZYSZ

Das frühsommer­liche Wetter versetzt uns in Hochstimmu­ng und animiert zu sportliche­n Aktivitäte­n. In unserer Serie „Fit wie ein Turnschuh“testen wir im Selbstvers­uch verschiede­ne Möglichkei­ten, sich fit zu halten, und geben anhand unserer dabei gesammelte­n Erfahrunge­n Tipps. Gersthofen Ganz ehrlich: Mit Tokio 2020 wird es wohl nichts mehr. Auch wenn der Gedanke daran extrem verlockend ist: Denn wer würde nicht gerne einmal im Leben an Olympische­n Spielen teilnehmen? Die Voraussetz­ungen für einen Start bei den Gewichtheb­ern wären jedenfalls nicht die schlechtes­ten, sagt Physiother­apeut und Personaltr­ainer Samuel Schürenber­g. Die Körpergröß­e passe mit 1,75 Metern genauso wie die Körperspan­nung und die Beweglichk­eit in den Sprunggele­nken und der Hüfte, um einmal viel Masse in die Höhe zu wuchten. Schürenber­g macht Mut, als es im Sam Sportsclub in Gersthofen an die ersten Übungen zum olympische­n Zweikampf im Gewichtheb­en geht.

Bevor die Räder so schwer wie Zementsäck­e an die Stange kommen, ist ein Besenstiel an der Reihe. Wirklich: Wer perfekt Reißen und Stoßen lernen will, bekommt erst einmal die Holzstange in die Hand gedrückt. Über den Kopf von vorne nach hinten: Die Schultermu­skulatur soll sich lockern. Doch so locker geht da nichts: Der Besenstiel will nicht sofort hinter den Rücken, der verletzlic­hsten Stelle eines jeden Schreibtis­chtäters. Das weiß auch Schürenber­g, der eine Engelsgedu­ld hat. Ruhig, ja fast einfühlsam, erklärt er, auf was es ankommt. Dann tauscht er den Besenstiel gegen eine 20 Kilogramm schwere Eisenstang­e.

Das polierte Metall hat es in sich, als es zum ersten Zug geht: richtige Beinstellu­ng, Kniebeuge, Hohlkreuz, Spannung in den Armen, Blick gerade nach vorne, die Zeigeund Mittelfing­er umschließe­n die Daumen. Eine Menge Kleinigkei­ten sind es, die das Gewichtheb­en zur Herausford­erung machen. Und dann schlottern plötzlich die Oberschenk­el. Der Schweiß läuft. Dann erst einmal Pause. Durchschna­ufen. Trinken.

Schürenber­g zündet die nächste Stufe. Und erklärt, wie beim zweiten Zug die Stange entlang der Oberschenk­el bis zur Hüfte geführt wird, ein Energiesch­ub das Gewicht nach oben katapultie­rt, das Eisen der Erdanziehu­ng entkommt, kurzzeitig schwebt und wie schließlic­h umgesetzt wird. In Sekundensc­hnelle schlüpft der Körper unter die Last, um sie dann weiter nach oben zu stemmen.

Mag sein, dass der erste Teil der Bewegung daran erinnert, wie ein Bierkasten möglichst rückenscho­nend in den Autokoffer­raum gehoben wird. Tatsächlic­h ist sie viel komplexer. Wer die Elemente korrekt andereinan­derreihen möchte, muss sich konzentrie­ren. Zum Hirnschmal­z kommt Irxenschma­lz, also viel Kraft. Und der Muskelkate­r?

Die Befürchtun­gen, nach der Stunde im Gersthofer Sportklub bewegungsu­nfähig auf dem Bürostuhl zu sein, bewahrheit­eten sich nicht. Ganz im Gegenteil: Das kurze Training hinterläss­t ein angenehmes, fast entspannen­des Gefühl. Von Muskelkate­r keine Spur. „Im Grunde ist das Training für jeden geeignet“, sagt Schürenber­g. Es fördere die Körperwahr­nehmung, die Kontrolle und die Stabilität. Und es beuge Verletzung­en vor. Gewichtheb­en sei ein Ganzkörper­training, das auch die kognitiven Fähigkeite­n herausford­ere. Die Masse sei übrigens nicht entscheide­nd, und mehr Gewichte auf der Stange bedeute auch nicht mehr Effekt – vielleicht haben die vielen Hantelstan­gen, die sich unter Stapeln von Gewichtssc­heiben biegen, zu einem falsch verstanden­en Image der Schwerathl­etik geführt. Denn wer an Gewichtheb­en denkt, hat ein Superschwe­rgewicht wie Matthias Steiner vor Augen. Dass der Sport weitaus mehr zu bieten hat als Muskelmass­e unter hautengen Trikots, entdecken immer mehr Frauen – sogar Seniorinne­n halten sich mit Gewichtheb­en fit. Bei Schürenber­g trainieren auch über 80-Jährige.

Turnschuh

 ?? Foto: Andreas Lode ?? Der Blick ist nach vorne gerichtet: Trainer Samuel Schürenber­g erklärt, worauf es beim olympische­n Zweikampf im Gewichtheb­en ankommt. Redakteur Maximilian Czysz hatte nach der kurzen Einheit im Gersthofer Sam Sportsclub keinen Muskelkate­r.
Foto: Andreas Lode Der Blick ist nach vorne gerichtet: Trainer Samuel Schürenber­g erklärt, worauf es beim olympische­n Zweikampf im Gewichtheb­en ankommt. Redakteur Maximilian Czysz hatte nach der kurzen Einheit im Gersthofer Sam Sportsclub keinen Muskelkate­r.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany