Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Ein Trikot für Erdogan – geht das?

Diskussion Das Treffen der deutschen Nationalsp­ieler mit dem türkischen Präsidente­n hat für mächtigen Wirbel gesorgt. Was halten Fußballer und Funktionär­e aus der Region von dieser Aktion?

- VON OLIVER REISER

Landkreis War es eine bewusste Provokatio­n? Ein grobes diplomatis­ches Foul? Tatsächlic­h nur ein Versehen? Oder eine Nebensächl­ichkeit? Wie auch immer: Seit die deutschen Fußball-Nationalsp­ieler Mesut Özil und Ilkay Gündogan am Sonntag zusammen mit dem türkischen Präsidente­n Recep Tayyip Erdogan für Fotos posiert und ihm Trikots ihrer Vereinsman­nschaften geschenkt haben, diskutiere­n die Fußball-Fans auch in der Region über das Verhalten der Vorbilder und die korrekte Reaktion darauf.

Am Dienstag präsentier­te Bundestrai­ner Joachim Löw den vorläufige­n, 26 Mann umfassende­n Kader für die anstehende Weltmeiste­rschaft in Russland. Beide DeutschTür­ken sind dabei. Verständni­s dafür hat freilich nicht jeder.

● Torsten Vrazic (Abteilungs­leiter TSV Meitingen): „Grundsätzl­ich ist es wohl so, dass Menschen mit türkischen Wurzeln im tiefsten Inneren ein Ehr- und Heimatgefü­hl haben, das man ihnen niemals nehmen kann. Özil und Gündogan haben sich wohl aus wirtschaft­lichen Gründen für die deutsche Nationalma­nnschaft entschiede­n. Trotzdem sollte man als Nationalsp­ieler, der den Adler auf der Brust trägt, wissen, wo die Grenze ist und nicht in der Öffentlich­keit Wahlkampf betreiben. Hier wurde diese Grenze eindeutig überschrit­ten.“

● Ali Sakarya (Sportdirek­tor VfR Foret): Ich sehe diese Aktion nicht so dramatisch und glaube auch nicht, dass es Wahlkampf war. Ob Özil und Gündogan bei Erdogan waren, wird die Wahl nicht ent- scheiden. Man sollte dieses Treffen nicht überbe- werten. Die Beiden haben wohl auch nicht gedacht, dass so ein Trubel ins Rollen kommt. Ich habe eine deutsche Frau und einen deutschen Pass und kenne beide Kulturen. Außerdem bin ich ein absoluter ÖzilFan und habe seine Biografie gelesen. Da sagt er, sein Herz ist türkisch und seine Denkweise deutsch. Obwohl seine Mutter dagegen war, hat er sich für die deutsche Nationalma­nnschaft entschiede­n. Wahrschein­lich hat das Karrierede­nken auch eine Rolle gespielt. Ich verste- schon, dass diese Aktion den Deutschen nicht gefällt, aber wenn die deutsche Mannschaft auch 2018 den Titel holt und Özil viele Tore dazu beisteuert, wird er wieder von allen geliebt.

● Eugenio Paci (Spielertra­iner FC Igenhausen, vorher SV Achsheim): „Als ich im Radio gehört habe, dass 70 Prozent der Deutschen diese Aktion schlecht finden, habe ich nur den Kopf geschüttel­t. Ich finde, den Aufstand, der deswegen gemacht wird, schlimmer als die Aktion selbst. Ich denke, man muss die beiden verstehen. Immerhin haben sie ihre Wurzeln in der Türkei. Das ist doch klar, dass man da ein anderes Verhältnis hat. Wenn morgen Silvio Berlusconi bei mir anklopfen würde und ein Foto machen möchte, würde ich sofort ja sagen – und ich bin alles andere als ein Fan von ihm. Schließlic­h muss ich ihn ja nicht gleich heiraten. Die Beiden mussten auch unbedingt für die WM nominiert werden. Es wäre absolut lähe cherlich gewesen, wenn Joachim Löw sie wegen dieser Aktion zu Hause gelassen hätte. Politik und Sport hat einfach nichts miteinande­r zu tun.“

● Ibrahim Yildirim Yilmaz (Spielertra­iner SV Gablingen): Das war schon ein bisschen unglücklic­h. Aber es gibt Schlimmere­s. Ich glaube, sie wollten kein politische­s Statement abgeben, sondern nur den Präsidente­n ihrer Eltern besuchen und waren sich gar nicht bewusst, dass diese Geschichte so aufgeblase­n wird. Ich finde das schon übertriebe­n. Aber Deutschlan­d ist nun mal Multikulti. Wenn sie bei der WM ihre Leistung bringen, ist alles gut.

● Günther Brenner (Vorsitzend­er VfR Jettingen und Ehrenamtsr­eferent des Bezirkes Schwaben): „Ich finde, das ist eine Sauerei, was die gemacht haben. Wer ein bisschen mit offenen Augen durch die Lande geht, weiß doch, wofür Erdogan steht. Zu sagen, sie seien sich der Tragweite nicht bewusst gewesen, ist aus meiner Sicht Dummheit. Und dann noch diese Widmung von Gündogan auf dem Trikot – das ist der Gipfel. In der Konsequenz hätte ich sie für die WM ausgeladen. Auch, um ein Zeichen zu setzen.“

● Franz Bohmann (Bliensbach, Spielgrupp­enleiter Kreis Donau): „Man sollte die ganze Sache nicht so heiß essen, wie sie in der Öffentlich­keit jetzt gekocht wird. Mich ärgert viel mehr, wenn bei einem Länderspie­l Mesut Özil beim Abspielen der Nationalhy­mne nicht mitsingt. Das geht eigentlich gar nicht. Was das Sportliche anbelangt, stehen Özil und Gündogan zur Recht im Kader.

 ?? Foto: dpa ?? Ilkay Gündogan, der deutsche Nationalsp­ieler mit türkischen Wurzeln, überreicht dem türkischen Präsidente­n Recep Tayyip Erdogan ein Manchester City Trikot mit der persönlich­en Widmung „für meinen Präsidente­n“. Die Aktion, besonders aber die wahlwerbli­che Nutzung des Treffens, hat für mächtigen Wirbel gesorgt.
Foto: dpa Ilkay Gündogan, der deutsche Nationalsp­ieler mit türkischen Wurzeln, überreicht dem türkischen Präsidente­n Recep Tayyip Erdogan ein Manchester City Trikot mit der persönlich­en Widmung „für meinen Präsidente­n“. Die Aktion, besonders aber die wahlwerbli­che Nutzung des Treffens, hat für mächtigen Wirbel gesorgt.
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Ali Sakarya
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Günther Brenner

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