Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Ein Trikot für Erdogan – geht das?
Diskussion Das Treffen der deutschen Nationalspieler mit dem türkischen Präsidenten hat für mächtigen Wirbel gesorgt. Was halten Fußballer und Funktionäre aus der Region von dieser Aktion?
Landkreis War es eine bewusste Provokation? Ein grobes diplomatisches Foul? Tatsächlich nur ein Versehen? Oder eine Nebensächlichkeit? Wie auch immer: Seit die deutschen Fußball-Nationalspieler Mesut Özil und Ilkay Gündogan am Sonntag zusammen mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan für Fotos posiert und ihm Trikots ihrer Vereinsmannschaften geschenkt haben, diskutieren die Fußball-Fans auch in der Region über das Verhalten der Vorbilder und die korrekte Reaktion darauf.
Am Dienstag präsentierte Bundestrainer Joachim Löw den vorläufigen, 26 Mann umfassenden Kader für die anstehende Weltmeisterschaft in Russland. Beide DeutschTürken sind dabei. Verständnis dafür hat freilich nicht jeder.
● Torsten Vrazic (Abteilungsleiter TSV Meitingen): „Grundsätzlich ist es wohl so, dass Menschen mit türkischen Wurzeln im tiefsten Inneren ein Ehr- und Heimatgefühl haben, das man ihnen niemals nehmen kann. Özil und Gündogan haben sich wohl aus wirtschaftlichen Gründen für die deutsche Nationalmannschaft entschieden. Trotzdem sollte man als Nationalspieler, der den Adler auf der Brust trägt, wissen, wo die Grenze ist und nicht in der Öffentlichkeit Wahlkampf betreiben. Hier wurde diese Grenze eindeutig überschritten.“
● Ali Sakarya (Sportdirektor VfR Foret): Ich sehe diese Aktion nicht so dramatisch und glaube auch nicht, dass es Wahlkampf war. Ob Özil und Gündogan bei Erdogan waren, wird die Wahl nicht ent- scheiden. Man sollte dieses Treffen nicht überbe- werten. Die Beiden haben wohl auch nicht gedacht, dass so ein Trubel ins Rollen kommt. Ich habe eine deutsche Frau und einen deutschen Pass und kenne beide Kulturen. Außerdem bin ich ein absoluter ÖzilFan und habe seine Biografie gelesen. Da sagt er, sein Herz ist türkisch und seine Denkweise deutsch. Obwohl seine Mutter dagegen war, hat er sich für die deutsche Nationalmannschaft entschieden. Wahrscheinlich hat das Karrieredenken auch eine Rolle gespielt. Ich verste- schon, dass diese Aktion den Deutschen nicht gefällt, aber wenn die deutsche Mannschaft auch 2018 den Titel holt und Özil viele Tore dazu beisteuert, wird er wieder von allen geliebt.
● Eugenio Paci (Spielertrainer FC Igenhausen, vorher SV Achsheim): „Als ich im Radio gehört habe, dass 70 Prozent der Deutschen diese Aktion schlecht finden, habe ich nur den Kopf geschüttelt. Ich finde, den Aufstand, der deswegen gemacht wird, schlimmer als die Aktion selbst. Ich denke, man muss die beiden verstehen. Immerhin haben sie ihre Wurzeln in der Türkei. Das ist doch klar, dass man da ein anderes Verhältnis hat. Wenn morgen Silvio Berlusconi bei mir anklopfen würde und ein Foto machen möchte, würde ich sofort ja sagen – und ich bin alles andere als ein Fan von ihm. Schließlich muss ich ihn ja nicht gleich heiraten. Die Beiden mussten auch unbedingt für die WM nominiert werden. Es wäre absolut lähe cherlich gewesen, wenn Joachim Löw sie wegen dieser Aktion zu Hause gelassen hätte. Politik und Sport hat einfach nichts miteinander zu tun.“
● Ibrahim Yildirim Yilmaz (Spielertrainer SV Gablingen): Das war schon ein bisschen unglücklich. Aber es gibt Schlimmeres. Ich glaube, sie wollten kein politisches Statement abgeben, sondern nur den Präsidenten ihrer Eltern besuchen und waren sich gar nicht bewusst, dass diese Geschichte so aufgeblasen wird. Ich finde das schon übertrieben. Aber Deutschland ist nun mal Multikulti. Wenn sie bei der WM ihre Leistung bringen, ist alles gut.
● Günther Brenner (Vorsitzender VfR Jettingen und Ehrenamtsreferent des Bezirkes Schwaben): „Ich finde, das ist eine Sauerei, was die gemacht haben. Wer ein bisschen mit offenen Augen durch die Lande geht, weiß doch, wofür Erdogan steht. Zu sagen, sie seien sich der Tragweite nicht bewusst gewesen, ist aus meiner Sicht Dummheit. Und dann noch diese Widmung von Gündogan auf dem Trikot – das ist der Gipfel. In der Konsequenz hätte ich sie für die WM ausgeladen. Auch, um ein Zeichen zu setzen.“
● Franz Bohmann (Bliensbach, Spielgruppenleiter Kreis Donau): „Man sollte die ganze Sache nicht so heiß essen, wie sie in der Öffentlichkeit jetzt gekocht wird. Mich ärgert viel mehr, wenn bei einem Länderspiel Mesut Özil beim Abspielen der Nationalhymne nicht mitsingt. Das geht eigentlich gar nicht. Was das Sportliche anbelangt, stehen Özil und Gündogan zur Recht im Kader.