Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Wo Sinti und Roma ihre letzte Ruhe finden
Erinnerung Auf dem Nordfriedhof befinden sich monumentale Gräber der Volksgruppe. Eine Gedenktafel will jetzt sichtbar machen, welches Unrecht den Familien während des Naziregimes widerfuhr
Manche Trauernde werfen vielleicht nur einen kurzen Blick auf die in Stein gemeißelte Inschrift. Für andere Besucher des Nordfriedhofs ist die Tafel, die jetzt vor der Leichenhalle angebracht ist, von großer Bedeutung: Darauf wird der Augsburger Sinti und Roma gedacht, die Opfer des Nationalsozialismus geworden sind. Die Tafel geht auf eine Initiative des Regionalverbands der Sinti und Roma und seiner Sprecherin Marcella Reinhardt zurück.
Der Vater der gebürtigen Augsburgerin musste im Krieg Zwangsarbeit leisten, ihr Großvater wurde in Auschwitz ermordet. Dennoch, so betonte Reinhardt am Donnerstag bei der Enthüllung der Tafel, gehe es ihr nicht um Vorwürfe, sondern darum, den Opfern und ihren Angehörigen ein Stück Würde und Anerkennung zurückzugeben.
Die Stadt hat mit der Firma Steinwelt Sebastian Wagner die Gedenktafel finanziert. Laut Umweltreferent Reiner Erben soll damit sichtbar gemacht werden, dass auf dem Nordfriedhof Opfer des Nationalsozialismus beziehungsweise ihre Angehörigen bestattet sind. „In Augsburg darf es in Zukunft keinen Platz für Diskriminierungen geben. Unrecht muss benannt werden, damit es uns berührt“, zitierte er zwei Sätze der Inschrift.
Zu der Feier war neben Angehörigen auch Claudia Roth, die Vizepräsidentin des Bundestages, gekommen. Sie erinnerte an die 500 000 Sinti und Roma, die im Zweiten Weltkrieg umgekommen waren. „Die Nazis haben es aber nicht geschafft, deren Sprache, Musik und Kultur auszurotten.“Der evangelische Pfarrer Andreas Hoffmann-Richter aus Ulm kritisierte christlichen Kirchen wegen ihres mangelnden Engagements für die Volksgruppe. Obwohl Sinti und Roma zu ihren Mitglieder zählten, schweige sie bis heute. Er meinte damit nicht seinen Augsburger Kollegen Bernd Fischer, der die neue Tafel weihte.
Ihr Standort am Nordfriedhof ist bewusst gewählt: Nach Schätzungen des Regionalverbandes gibt es in Oberhausen rund 100 Gräber von Sinti, Roma und sogenannten Reisenden. Mindestens 45 Menschen, die im Faschismus verfolgt wurden, aber damals überlebt haben, fanden hier ihre letzte Ruhe.
Marcella Reinhardt führte die Gäste der Gedenkfeier dorthin, wo ihre Eltern Robert und Rosa Herzenberger bestattet sind. Ringsum befinden sich weitere Gräber von Familien, denen wegen ihrer Zugehörigkeit zu der Volksgruppe der Sinti oder Roma unsägliches Leid widerfuhr. Zu jedem der Namen weiß Reinhardt Geschichten, etwa über Schläge, Zwangsarbeit und Zwangssterilisation.
Unbeteiligte Friedhofsbesucher kennen diese Geschichten meist nicht. Ihnen fallen die prächtigen, teilweise pompösen und sichtbar kostspieligen Grabstätten auf. Marcella Reinhardt weiß, dass die Sinti und Roma damit für Verwunderung sorgen oder sogar anecken. „Mein Vater sagte einmal, ein Grab dürfe nie vergessen aussehen. Unsere Familien haben deshalb das Geld, das sie als Wiedergutmachung bekommen haben, in Gräber investiert“, erklärt sie. Sich davon eine Reise zu leisten oder etwas Schönes zu kaudie fen, wäre nicht infrage gekommen. Reinhardt und die anderen Angehörigen der verfolgten Sinti und Roma Holocaust-Opfern erfahren seit Kurzem eine weitere Hilfe bei der Instandhaltung der Ruhestätten. Laut einem Beschluss der Ministerpräsidenten teilen sich Bund und Länder die Grabgebühren.
Für eine würdige Trauerfeier sorgen die Familien selbst. Oft entlockt dabei Nico Franz seiner Geige wunderbare Melodien. Der junge Musiker, der eben sein Bachelorstudium abgeschlossen hat, weiß um die Gräuel seiner Vorfahren durch die Erzählungen seiner Großeltern. Er steht zu seiner Herkunft, macht sie aber aus Angst vor Diskriminierung nicht ohne Weiteres publik: „Im Zweifelsfall sage ich lieber nicht, dass ich ein Sinti bin.“