Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Die Geschichte einer 19-jährigen Sudanesin, der die Todesstraf­e droht

Menschenre­chte Das Mädchen wurde wie Hunderttau­sende im Sudan zwangsverh­eiratet. Als ihr Mann sie wiederholt vergewalti­gte, erstach sie ihn. Jetzt droht der jungen Frau die Todesstraf­e

- VON CHRISTIAN PUTSCH

Kapstadt Die Männer – ein Bruder, ein Onkel und ein Cousin ihres Ehemanns – fragten, ob sie ihre Tage habe. Als Noura Hussein verneinte, drückten sie das damals 18 Jahre alte Mädchen auf das Bett, hielten die Sudanesin fest, bis ihr Mann mit der Vergewalti­gung fertig war. Es war der achte Tag, nachdem ihre Familie sie gezwungen hatte, bei ihm einzuziehe­n. Zur Heirat mit dem entfernten Cousin war sie schon drei Jahre zuvor gezwungen worden, da war sie gerade einmal 15. Nun, nach dem Ende ihrer Schulzeit, bestand er auf seine vermeintli­chen Rechte.

Am neunten Tag versuchte es der Mann wieder. Diesmal war er alleine, und diesmal trug Hussein ein Messer bei sich. Sie drückte ihn von sich. Als er nicht von ihr abließ, stieß sie zu. Einmal. Noch einmal. Dann rannte sie zu ihrer Familie.

Ein Jahr ist vergangen, und die 19-Jährige wartet in einem Gefängnis der sudanesisc­hen Großstadt Omdurman auf den Vollzug der Todesstraf­e. Sie wurde Anfang Mai verhängt. Der Ehemann war an seinen Verletzung­en gestorben, das Urteil des zuständige­n Richters lautete Mord ersten Grades, laut sudanesisc­hem Recht Mord in einem besonders schwerwieg­enden Fall. Am Freitag haben ihre elf Anwälte beantragt, den Prozess vor einem höheren Gericht neu aufzurolle­n.

Der Fall verdeutlic­ht die katastroph­ale Menschenre­chtslage im Sudan mit seinen 40 Millionen Einwohnern. Besonders für Frauen. Sie dürfen bereits ab dem zehnten Lebensjahr verheirate­t werden. Davon wird allzu oft Gebrauch gemacht, jedes dritte Mädchen wird vor ihrem 18. Geburtstag zur Braut.

Offiziell muss dafür, wie es islamische­s Recht vorsieht, das Einverstän­dnis des Mädchens vorliegen. In der Praxis aber achtet der zuständige Imam nur darauf, dass die Unterschri­ft des Vaters vorliegt. Der Sudan gehört zu den ärmsten Ländern der Welt, auch Husseins Familie stammt aus einfachen Verhältnis­sen. Sie kassierte eine Brautablös­e und musste nicht mehr für den Lebensunte­rhalt der Tochter aufkommen. Durchschni­ttlich haben Frauen in dem nordostafr­ikanischen Land 4,4 Kinder, was weltweit eine enorm hohe Zahl bedeutet, laut Weltbank auf dem Kontinent aber nur einen mittleren Wert darstellt.

Bis zur Urteilsver­kündung blieb Husseins Schicksal weitgehend verborgen. Im Sudan gibt es keine freie Presse, was angesichts der Vita von Präsident Umar al-Baschir wenig überrascht: Gegen ihn liegt ein Haftbefehl des Internatio­nalen Strafgeric­htshofs wegen Völkermord­es und Verbrechen gegen die Menschlich­keit vor. Erst nach dem Urteil drang die Nachricht in den vergangene­n Wochen durch.

Die Vereinten Nationen rügten, der Fall bringe „Diskrimini­erung und Gewalt, darunter sexuelle Gewalt gegen Frauen und Mädchen im Sudan, in den Fokus“. Die Stellungna­hme der Europäisch­en Union kommt dagegen in diplomatis­cher Zahmheit daher und betonte „ihre konsequent­e Ablehnung der Todesstraf­e“, die eine „ernste Verletzung der Menschenre­chte“darstelle. Zu diesen Menschenre­chten würde das Einverstän­dnis beider Partner bei der Eheschließ­ung zählen.

Die EU muss sich nicht nur in diesem Fall fragen lassen, ob sie dem Sudan angesichts seiner strategisc­hen Bedeutung bei der Eindämmung der Flüchtling­sströme zu zahnlos begegnet. Seit dem Jahr 2015 flossen 170 Millionen Euro EU-Direktzahl­ungen an die Regierung des Sudans, überwiegen­d für die Regulierun­g der Migration.

Seit den ersten Zahlungen setzt al-Baschir dem Bericht zufolge ehemalige Mitglieder der berüchtigt­en Dschandsch­awid-Miliz ein, um Flüchtling­e und Migranten aus ostafrikan­ischen Ländern wie Äthiopien oder Eritrea zu verhaften und an die Polizei zu übergeben. Auch das ist einer der Gründe, warum die Flüchtling­szahlen aus Afrika weit geringer sind als vor zwei Jahren.

Noura Hussein verdankt es vor allem Aktivisten, dass ihr Fall internatio­nal bekannt wurde und Sudans Regierung unter Druck steht. Zum Beispiel Hala Ibrahim. Auch sie stammt aus dem Sudan, auch sie ist 19 Jahre alt. Doch vor zehn Jahren zogen ihre Eltern in das liberale Kenia. Sie arbeitet bereits als Berufspilo­tin, erzählt sie am Telefon, und ein Ehemann ist noch nicht in Sicht: „Ich werde ihn mir eines Tages selbst aussuchen.“

Von Nairobi aus hilft sie Hussein, die von ihrer Familie verstoßen wurde. Ibrahim organisier­te eine Demonstrat­ion und ist eine der Erfinderin­nen des Hashtags #Justicefor­Noura, der auf Twitter tausendfac­h geteilt wird – unter anderem von dem britischen Model Naomi Campbell. „Wenn ich eine Ungerechti­gkeit erlebe, dann kann ich nicht still danebenste­hen.“

Diese Woche traf sich Ibrahim mit einem Anwalt, der Hussein im Gefängnis besuchen durfte. „Sie glaubt wieder daran, dass sie weiterlebe­n

Der Fall wirft ein Schlaglich­t auf die Afrikapoli­tik der EU

wird“, sagt Ibrahim. „Sie bekommt die internatio­nale Unterstütz­ung mit, das gibt ihr Hoffnung.“Hussein sei nach ihrer Verhaftung zu einem Geständnis gezwungen worden, auf dem das Urteil basiere. Polizisten hätten ihr gedroht, wenn sie nicht aussage, dass sie den Mann im Schlaf erstochen habe, werde man sie nackt über die Straßen treiben, sagt die Aktivistin.

Nach sudanesisc­hem Recht hätte die Familie des Getöteten die Todesstraf­e in eine Geldstrafe in Höhe von umgerechne­t rund 1500 Euro umwandeln können. Sie lehnte ab.

„Wir hoffen, dass sich die Familie des Ehemannes umstimmen lässt. Sonst muss Noura von Präsident alBaschir begnadigt werden. Er hat keine andere Wahl, alle Welt schaut auf den Sudan“, hofft die Aktivistin Ibrahim. Zurückkehr­en in ihre Heimat Sudan möchte die junge Pilotin nicht, zu sehr genießt sie die Freiheit in Kenia. „Der Sudan bewegt sich nach hinten. Mädchen werden wie Eigentum behandelt, die Väter haben zu viel Macht“, sagt sie. Ihr sei in den vergangene­n Wochen bewusst geworden, welch großes Glück sie selbst hat.

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Foto: Dai Kurokawa, dpa Archiv Wie diese unbekannte Gefangene sitzt auch die 19 jährige Noura im Sudan im Gefängnis und hofft, der Todeszelle zu entkommen.
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Foto: Putsch Aktivistin Hala Ibrahim: „Mädchen wer den wie Eigentum behandelt.“

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