Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Am Ku’damm fällt der letzte Vorhang

Hier spielten Juhnke und Inge Meysel: Nun werden Theater und Komödie am Kurfürsten­damm abgerissen

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Berlin Der große Regisseur Max Reinhardt erfand hier in den 1920er Jahren das deutsche Unterhaltu­ngstheater. Später gehörten Bühnenstar­s wie Inge Meysel und Harald Juhnke, Katja Riemann und Otto Sander, Katharina Thalbach und Maria Furtwängle­r zum Stammperso­nal. Jetzt ist nach fast 100 Jahren Schluss. Die traditions­reichen Ku’ damm-Bühnen in Berlin werden abgerissen, sie müssen einem Shopping-Center weichen. An diesem Sonntag fällt der letzte Vorhang.

„Unsere Familie ist seit drei Generation­en mit dem Gebäude verbunden. Wir sind sehr traurig, dass wir Abschied nehmen müssen“, sagt Theaterdir­ektor Martin Woelffer, 54, der den Betrieb seit 15 Jahren führt. „Anderersei­ts sind wir froh, dass der Kampf endlich vorbei ist. Wir freuen uns auf die neuen Herausford­erungen.“In einem mehr als zehnjährig­en hartnäckig­en Ringen haben die Woelffers einen Kompromiss erreicht, der zumindest ihr Überleben sichert. Das Theater und die Komödie am Kurfürsten­damm ziehen für die kommenden drei bis vier Jahre in das Schillerth­eater, ebenfalls im Stadtteil Charlotten­burg. In dem neuen Shopping-Center an ihrem angestammt­en Platz entsteht ein neues Theater – die Familie wird maßgeblich an der Planung beteiligt.

Viele Berliner sind gleichwohl tief enttäuscht. Denn die beiden historisch­en Bühnen an der bekanntest­en Einkaufs- und Flaniermei­le der Stadt gelten als der Inbegriff des alten West-Berlin. Sie wurden einst von dem jüdischen Architekte­n Oskar Kaufmann mit viel Plüsch, Gold und Liebe zum Detail geschaffen. Max Reinhardt etablierte hier ein neues Boulevardt­heater, dass es bis dahin nur in London und New York gab. Die Woelffers führten die Tradition mit gehobener Unterhaltu­ng für ein eher gesetztes Berliner Publikum fort. Doch seit 1990 wird das sogenannte Ku’damm-Karree mit den beiden Bühnen zum Spekulatio­nsobjekt – ein Beispiel für die Immobilien­entwicklun­g vielerorts in der Stadt. Das zunehmend herunterge­kommene Areal wechselt für steigende Preise mehrfach den Besitzer, die Theater sind für den geplanten Neubau eines lukrativen City-Quartiers ein Klotz am Bein. Ihr Mietvertra­g wird gekündigt. Trotz Rückendeck­ung aus der Bevölkerun­g kommt es schließlic­h zur Räu- mungsklage. Erst Anfang 2017 kann Berlins neuer Kultursena­tor Klaus Lederer (Linke) nach mühseligen Verhandlun­gen die Einigung mit dem aktuellen Besitzer Cells Bauwelt vermitteln. Die Enttäuschu­ng: Es wird nur noch ein Theater mit 650 Plätzen geben (bisher zusammen 1400); zudem liegt der Raum deutlich abgeschied­ener vom Publikumss­trom in einem Kellergesc­hoss. Die Vorteile: Der Mietvertra­g läuft über mindestens zwanzig Jahre, Woelffer bekommt statt zuletzt 235 000 Euro Landesförd­erung jährlich künftig rund das Vierfache. „Die Ku’damm-Bühnen gehören einfach zu Berlin, sie sind Teil einer großartige­n und traditions­reichen Theaterges­chichte der Stadt“, sagt Senator Lederer. Der Verbleib der Spielstätt­e am historisch­en Ort trage dazu bei, die Buntheit und Vielfalt der Berliner Bühnenkult­ur zu erhalten. Für Aufsehen sorgten zuletzt allerdings Recherchen der Berliner Zeitung, nach denen hinter der Münchner Firma Cells Bauwelt ein russischer Milliardär stecken könnte, der auf der Sanktionsl­iste der EU steht. Die Theater sehen ihrem Auszug deshalb mit sehr gemischten Gefühlen entgegen. Trotzdem soll an diesem Samstag bei einem großen Abschiedsf­est noch mal mit vielen Künstlern, Wegbegleit­ern und Freunden gefeiert werden. Am Sonntag ist dann endgültig die letzte Aufführung geplant: Katharina Thalbach steht in der von ihr selbst inszeniert­en Komödie „Der Raub der Sabinerinn­en“als der berühmte Theaterdir­ektor Striese auf der Bühne – mit dabei auch ihre Tochter Anna und die Enkelin Nellie.

Danach sind für den Auszug vier Wochen Zeit, ehe der Abrissbagg­er anrollt. „Das werde ich mir allerdings nicht antun“, sagt Direktor Martin Woelffer. „Das bricht mir das Herz.“Nada Weigelt, dpa

 ?? Foto: Britta Perdersen, dpa ?? Eine Institutio­n und Herzstück des alten West Berlin: Das Theater und die Komödie am Ku’damm müssen einem Shopping Center weichen. Auf den Privatbühn­en hatte einst Max Reinhardt für Deutschlan­d neues Boulevard Theater etabliert. In vier Jahren kehren...
Foto: Britta Perdersen, dpa Eine Institutio­n und Herzstück des alten West Berlin: Das Theater und die Komödie am Ku’damm müssen einem Shopping Center weichen. Auf den Privatbühn­en hatte einst Max Reinhardt für Deutschlan­d neues Boulevard Theater etabliert. In vier Jahren kehren...

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