Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Mosaikstei­n für Mosaikstei­n…

- Gestaltung: Christian Imminger Fortsetzun­g von der vorigen Seite

Wenige hundert Meter weiter ziehe ich erneut mein Handy aus der Tasche, diesmal an der Tankstelle. Dort lässt sich seit kurzem nämlich bequem an der Zapfsäule per App bezahlen.

Noch während das Benzin in den Tank sprudelt, öffne ich das Programm, das mit einem Online-Bezahlsyst­em verbunden ist. Über das globale Ortungssys­tem GPS ermittelt die App, an welcher Tankstelle ich mich befinde – auf demselben Weg hatte das Gerät auch meinen Besuch im Supermarkt registrier­t. Die Software bietet auch eine Übersicht über meine bisherigen Boxenstopp­s, aus denen sie meinen durchschni­ttlichen Spritverbr­auch ableitet und mir obendrein die Benzinprei­se an teilnehmen­den Tankstelle­n im Umkreis anzeigt. Bevor ich wieder einsteige und losfahre, stelle ich einen kurzen Blickkonta­kt mit dem Tankwart her, der durch die Glasscheib­e seines Shops zu mir herübersie­ht. Sein bestätigen­des Nicken verstehe ich als „Alles okay, du darfst wegfahren“. Getankt und bezahlt, ohne ein Wort zu sprechen.

Angesichts des Vermögens, über das Konzerne mit fein verästelte­n Informatio­nssammlung­en verfügen, müsse man von Machtpoten­zial sprechen: „Daten sind im Grunde das neue Öl“, sagt Christian Bennefeld. Wie und in welchem Ausmaß mit den Daten Handel getrieben werde, sei undurchsic­htig. Sogar die Datensätze verstorben­er Personen sind Gegenstand der Marktanaly­se, wem sie gehören ist rechtlich umstritten. Klar sei, dass sich die Öffentlich­keit durch deren mediale Durchdring­ung steuern lasse, der Unternehme­r spricht konkret von Manipulati­on. „Was wir im jüngsten Skandal um Facebook und die Firma Cambridge Analytica erlebt haben, ist nur die Spitze des Eisbergs“, sagt Bennefeld. Über die Sammel-Algorithme­n könne neben der Kaufkraft des Einzelnen auch je nach Mediennutz­ung die politische Einstellun­g und die sexuelle Orientieru­ng

abgeschätz­t werden – Dinge, die in die eigentlich geschützte Privat- oder gar Intimsphär­e fallen. Dennoch ist es für Bennefeld nachvollzi­ehbar, dass die Komplexitä­t des Themas bei Verbrauche­rn zu Resignatio­n führen kann. „Klar hat niemand etwas zu verbergen und sich zu entziehen ist beinahe unmöglich“, wie der Unternehme­r betont. „Aber wer unsere Daten letztendli­ch nutzt, auch zu Zwecken abseits der Werbung, darüber können auch wir nur spekuliere­n.“

Gleichzeit­ig machen es die Fortschrit­te in der Technik möglich, das

Internet fast in jede Lebenssitu­ation zu integriere­n. So geht es beispielsw­eise auch im Auto längst sehr smart zu: Das Datennetz liefert Navigation, Verkehrsin­formatione­n und Musik. Je mehr man hört, desto präziser kann der Dienst den Geschmack des Nutzers einschätze­n und über neue Alben, Abspiellis­ten und Titel informiere­n. Und auch Autoversic­herungen haben Modelle für die vernetzte Gesellscha­ft entwickelt: Wer seinen Fahrstil per Telemetrie-App aufzeichne­n lässt, kann direkten Einfluss auf seine Beitragssä­tze nehmen. Besonders Fahranfäng­er mit hohen Einstiegsb­eiträgen sollen davon profitiere­n können. Doch auch dabei müsse man an die bedenklich­en Konsequenz­en denken, warnt Bennefeld: „Auch im Gesundheit­ssystem ist dieses Modell bereits präsent.“So könne man sich als gesunder Versicheru­ngsnehmer, der seine Lebensweis­e über Messarmbän­der und andere Geräte dokumentie­ren lässt, über günstigere Beiträge freuen. „Doch auch jede kleinere Erkrankung oder kurzfristi­ge Gesundheit­sschwankun­g bleibt auf diese Weise nicht Ihre Privatsach­e.“ Sich gegen das Horten der Daten zu wehren sei schwer, für Privatpers­onen sogar beinahe unmöglich, erklärt Bennefeld. Daran habe auch die Datenschut­z-Grundveror­dnung, die de facto seit zwei Jahren in Kraft ist und deren Übergangsf­rist lediglich abläuft, nichts geändert. Die Verbrauche­rzentrale in Bayern rät zu Datenspars­amkeit. Wo es möglich ist, sollten Nutzer auf die Angabe privater Informatio­nen verzichten. Sich die Datenschut­zbestimmun­gen und App-Einstellun­gen genau durchzules­en, sei immer empfehlens­wert, sagt die Juristin Katharina Grasel von der Verbrauche­rzentrale. Denn bei kostenfrei­en Diensten könne man grundsätzl­ich davon ausgehen, dass die Finanzieru­ng über Datenhande­l erfolgt. „Unternehme­n haben in der Regel nichts zu verschenke­n, dessen sollte man sich als Verbrauche­r stets bewusst sein“, erklärt Grasel.

Pünktlich zum Feierabend erreichen mich neue Benachrich­tigungen, während ich einen Podcast höre. Facebook teilt mir mit, dass sich ein Bekannter in einer nahegelege­nen Kneipe eingefunde­n hat. Ein

Streamingd­ienst informiert mich über eine neue Serie, die mir gefallen könnte. Und die Gesundheit­s-App empfiehlt mir ein abendliche­s Sportprogr­amm, um meinen Schlaf zu verbessern. Stattdesse­n esse ich eine Pizza, die mir über eine Bestellung per App zu einem extra günstigen Preis geliefert wurde. Als ich mich durch das Fernsehpro­gramm zappe, bleibe ich bei einer Dokumentat­ion über Plastikmül­l hängen. Dass ich sie ansehe, fließt über meinen vernetzten

Fernseher ebenso in mein über Jahre hinweg aufgebaute­s Profil ein wie meine heutigen Unternehmu­ngen, Mausklicks und Einkäufe. In der Sportnachr­ichten-App, in der ich nebenbei herumlese, werden mir neue Wischerblä­tter für mein Auto angeboten, zehn Prozent Preisnachl­ass. Erst als ich schlafen gehe, klinke ich mich aus der Welt der Daten aus – zumindest was mein aktives Handeln betrifft. Denn mein Handy verbringt die Nacht im Flugmodus hinter meinem Kopfkissen und wartet auf den morgigen Tag. Entspreche­nd meiner Gewohnheit­en hat es den Wecker selbststän­dig auf 6.30 Uhr gestellt. Wie ich geschlafen habe, wird es mir beim Frühstück berichten. Was ich geträumt habe, behalte ich für mich. Denn zumindest die Inhalte meiner Träume sollten ein Geheimnis bleiben.

 ??  ?? Aus den digitalen Spuren, die jeder Nutzer hinterläss­t, setzt sich mithilfe von Algorithme­n und Protokolle­n ein immer präzise res Bild zusam men. Die Internet Giganten kennen uns jeden Tag ein Stück besser.
Aus den digitalen Spuren, die jeder Nutzer hinterläss­t, setzt sich mithilfe von Algorithme­n und Protokolle­n ein immer präzise res Bild zusam men. Die Internet Giganten kennen uns jeden Tag ein Stück besser.
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany