Augsburger Allgemeine (Land Nord)
„Dillingen ist eine Marke“
Porträt Seit Februar leitet Alfred Kotter die Dillinger Akademie. Ein Gespräch über Digitalisierung, Pantoffeln und Brezen
Dillingen Was haben Brezen und die Dillinger Akademie gemeinsam? Alfred Kotter kennt sich mit beidem gut aus. Denn der neue Leiter der Dillinger Akademie hat zuvor nicht nur das Laufener Gymnasium geleitet, sondern vor seiner akademischen Laufbahn eine Bäckerlehre abgeschlossen. Inzwischen wohnt der Traunsteiner in Dillingen und weiß: Bei den Brezen gibt es einen grundsätzlichen Unterschied im Teig zwischen schwäbischen und oberbayerischen. „Sehr gut finde ich Seelen, das ist Backwerk, das man unbedingt in Oberbayern einführen sollte“, fügt er noch hinzu und lacht. Auch seine Ehefrau Astrid fühlt sich in der Großen Kreisstadt außerordentlich wohl. „Fast täglich sagt sie mir, dass die Menschen hier von einer unglaublichen Freundlichkeit sind. Das fiel ihr von Anfang an auf.“Der 59-Jährige kannte Dillingen schon länger: Als Referent kam er früher regelmäßig her. Unter Lehrern sei Dillingen eine Marke. „Hätte ich die Stadt damals nicht so schätzen gelernt, wäre ich nie auf die Idee gekommen, mich hier zu bewerben.“Bevor er das tat, zeigte er seiner Frau die Stadt, die ihr auf Anhieb gefallen habe.
Er habe sich gut eingelebt, sagt Kotter. Dennoch sei jeder Tag spannend. Die Akademie beschreibt er als einen Kosmos aus vielen kleinen Welten. Jeder der rund 50 Referenten habe ein Alleinstellungsmerkmal und aufgrund seiner Fachrichtung auch andere Kontakte zu Schulen, Universitäten oder weiteren Akademien. Als ehemaliger Referent fühlte sich der neue Leiter an seinem ersten Arbeitstag nicht wie ein Neuling. „Aber diese Vielfalt, da staunt man doch“, sagt er. Das Netzwerk der Akademie gehe weit über Bayern hinaus. Kotter nimmt nicht nur an der Kultusministerkonferenz teil, sondern auch am jährlichen Treffen aller Landesinstitute. „Bis zum CERN in Genf reichen die Kooperationen. Kürzlich kam eine mit dem Ifo-Institut dazu.“
Den Arbeitsalltag Kotters bestimmt zurzeit vor allem die Digitalisierung. Das Konzept für die von der Bayerischen Staatsregierung beschlossene Fortbildungsoffensive entstand in Dillingen. Dort wird nun an verschiedenen Modulen zu dem Thema gearbeitet, um dieses an allen bayerischen Schulen zu realisieren. Bereits im September soll es starten. Alle 120000 Lehrkräfte in Bayern – ob Informatiker oder Kollegen, die bislang wenig mit dem Thema zu tun hatten – sollen erreicht werden. „Das ist eine enorme Herausforderung für die Akademie“, sagt Kotter. Die Module beinhalten Onlinevideos mit Experten, ethische und rechtliche Themen oder Ideen zur Unterrichtsentwicklung. Fake News, die demokratische Entwicklung oder Inklusion, überall spiele Digitalisierung eine Rolle. Jede Schule muss laut Kotter ein Medienkonzept aufstellen, auch dabei sollen die Module helfen. „Die Schulen müssen auch darüber entscheiden, ob sie Smartphones erlauben. Ich denke nicht, dass es ein klares Ja oder Nein dazu geben wird, sondern eher eine Erlaubnis mit bestimmten Voraussetzungen.“Auch die Akademie wird sich im digitalen Bereich breiter aufstellen und schafft weitere Stellen für Lehrer, Informatiker und Webdesigner. Und wie steht der Germanist, Historiker und Theologe zur Integration? Schule sei der richtige Ort dafür, könne es aber nicht allein richten. „Es kommt auf die Gesellschaft im Ganzen an. Wie jeder Einzelne dem anderen begegnet.“Integration sei ein komplizierter Vorgang. Wie weit gibt man Teile seiner bisherigen Identität auf – was wird von der Mehrheit noch akzeptiert? „In New York findet man das Viertel Little Italy toll“, gibt Kotter zu bedenken.
Parallel dazu ist der Akademieleiter immer von irgendeiner Baustelle umgeben. Zurzeit ist es der Bettentrakt. Die Akademie hat das leere Stadthotel Convikt in der Innenstadt komplett gemietet und konnte so viele Zimmer ersetzen. „Aber es gibt Zeiten, da mieten wir noch viel mehr Zimmer in anderen Hotels der Stadt an.“Kotter fürchtet, dass die Sanierung des Bettentrakts bis weit ins Jahr 2019 dauern wird, weil es auf manche Ausschreibungen aufgrund der guten Konjunktur kein einziges Angebot gibt.
An anderer Stelle ist Kotter schon ein bisschen weiter: Der spektakuläre Bibliothekssaal, dessen Boden aufwendig saniert worden ist, soll der Öffentlichkeit besser zugänglich gemacht werden. Gar nicht so einfach: Für Veranstaltungen kommt der wunderschöne Raum mit rund 7000 Büchern laut Kotter nicht infrage. Mehr als 30 Menschen dürfen aus brandschutztechnischen Gründen nicht hinein. Außerdem gibt es keinen eigenen Zugang dorthin wie zum Goldenen Saal; der Raum, der in den Jahren 1737/38 entstand, liegt mitten im Gelände. Und wie soll man sich einen Raum anschauen, dessen Boden man nicht betreten darf, den man aber auch nicht abdecken will? Dafür hat der Traunsteiner schon eine Lösung gefunden: Schlosspantoffeln. 35 Paar Filzüberschuhe hat er angeschafft, auch für Besucher des Goldenen Saals. Ein paar Referenten haben sich inzwischen mit der Bibliothek beschäftigt und bieten auf Nachfrage für Gruppen oder Einzelpersonen Führungen an. „Ich denke weiter darüber nach, wie man den Raum öffentlich zugänglich machen kann. Ich bin noch nicht am Ende.“