Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Schluss mit dem Schwarzer-Peter-Spiel
Debatte Die Stadt hat bei der umstrittenen Baumfällung am Herrenbach ein schlechtes Bild abgegeben. Schuld ist nicht nur die Verwaltung. Die Bürger sind zu Recht skeptisch, was die Vorgehensweise betrifft
In Diedorf spricht man bis heute von einem schwarzen Freitag: Es war ein Sommertag im Jahr 2002, als sintflutartige Regenfälle im Ortsteil Lettenbach die bislang größte Hochwasserkatastrophe im Kreis Augsburg auslösten. Zwei Männer starben beim Versuch, ihre Autos aus einer Tiefgarage zu retten. Eine 81-Jährige ertrank in ihrem Keller; sie hatte noch versucht, ihre Habseligkeiten zu retten.
Kein Lokalpolitiker will in seiner Kommune ein solches Horrorszenario erleben. Trotzdem hat es die Stadt Augsburg zuletzt zumindest gedanklich immer wieder durchgespielt. Die Schrecken des Pfingsthochwassers 1999 in den Knochen und die Warnungen des Wasserwirtschaftsamts Donauwörth im Ohr, wurde diskutiert: Was könnte passieren, bräche der Damm am Herrenbach? Die Angst, dass bei einem Hochwasser auch hier Menschen sterben könnten, führte schließlich zu einer Entscheidung, die viele Bürger nicht verstehen – und die sie auch nicht akzeptieren wollen: Fast 100 gesunde Bäume entlang des Kanals sollen bis Herbst nächsten Jahres gefällt werden.
Es ist schwierig, als Laie darüber zu urteilen, ob diese radikale Maßnahme wirklich nötig ist. Die Bäume stehen seit Jahrzehnten. Warum sollten sie bei Sturm gerade jetzt umfallen? Dennoch bleibt ein ungutes Gefühl: Würde tatsächlich etwas passieren, müsste sich die Stadt die Frage gefallen lassen, warum sie nicht gehandelt hat. Sie wäre bei Schäden sogar regresspflichtig, weil sie die Risiken kannte, aber nicht beseitigte. An dieser Stelle kann jeder selbst nachdenken, wie er entschieden hätte, wäre er verantwortlich.
Eines ist aber auch ohne wasserbautechnische Kenntnisse klar: Beim Bürger hat die Stadt durch ihre Vorgehensweise ein desaströses Bild abgegeben – und das nicht erst seit letzter Woche. Dass die Bäume am Herrenbach eine Gefahr sein könnten, ist seit den ersten Fällungen vor elf (!) Jahren bekannt. Man kann der Verwaltung nicht vorwerfen, dass sie seitdem nichts getan hat. Doch alle Diskussionen, alle Versuche, die Bäume vielleicht doch zu retten, liefen am Bürger vorbei. Im Gegenteil: Die Anwohner des Herrenbachs wurden bis Ende letzter Woche im Glauben gehalten, die Bäume würden erst im Herbst gefällt. Kommunikation auf Augenhöhe sieht anders aus!
Bei einigen drängt sich nun der Eindruck auf, dass die Stadt die Aktion bereits früher geplant haben könnte. Absperrungen, Baufahrzeuge, Baumkletterer zusammenzubringen, das alles koste mehr Zeit als zwei Tage. Angesichts der schlechten Kommunikation kann man den Bürgern diese Skepsis kaum verübeln.
Was hinter den Kulissen im Rathaus wirklich lief, ist schwer zu sagen. Fakt ist, dass bis vor etwa drei Jahren noch das Tiefbauamt – und damit Baureferent Gerd Merkle (CSU) – für den Kanal verantwortlich war. 2015 wurde die Zuständigkeit ins Amt für Grünordnung – also ins Referat von Reiner Erben (Grüne) – verlagert. So war auch Erben es, der am Dienstag den wütenden Anwohnern des Herrenbachs gegenübertreten musste. Dass er sich in dieser Rolle nicht wohlfühlte, war ihm anzusehen. Eine Enttäuschung dürfte gewesen sein, dass einen Tag später seine eigene Partei via Pressemitteilung ein Gutachten für jeden Baum forderte. Die Grünen stellten damit die Sinnhaftigkeit der Maßnahme offiziell in Frage – und ließen ihren Referenten im Regen stehen.
Man wird das Gefühl nicht los, dass die Stadtverwaltung die unliebsame Entscheidung so lange wie möglich hinauszögerte. Vielleicht in der Hoffnung, einige Bäume retten zu können. Vielleicht auch, weil keiner den Schwarzen Peter an sich nehmen wollte. Am Ende tat es Oberbürgermeister Kurt Gribl (CSU). Weil er selbst am Dienstag im Urlaub war, übernahm Richard Goerlich die Koordination des Einsatzes. Eine eher ungewöhnliche Aufgabe für einen OB-Referenten.
Was nun geplant ist, erinnert an die Debatte um die Sanierung des Theaters: Die Bürger sollen im Nachhinein in den Entscheidungsprozess eingebunden werden. Manche zweifeln, dass der Beschluss der Verwaltung dadurch noch geändert werden kann. Aus dem Rathaus ist hinter vorgehaltener Hand zu hören, dass vielleicht doch nicht alle Bäume abgesägt werden.
Wie dem auch sei: Noch bevor im Herbst weitergesägt wird, will die Stadt mit den Anwohnern sprechen. Es soll diskutiert werden, wie die Anlage in Zukunft aussehen könnte. Auch wenn dieser Vorstoß spät kommt, ist es der richtige Weg. Und es wäre gut, wenn sich alle Fraktionen konstruktiv beteiligen würden. Denn vom Schwarzer-PeterSpiel haben die Menschen genug.