Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Schluss mit dem Schwarzer-Peter-Spiel

Debatte Die Stadt hat bei der umstritten­en Baumfällun­g am Herrenbach ein schlechtes Bild abgegeben. Schuld ist nicht nur die Verwaltung. Die Bürger sind zu Recht skeptisch, was die Vorgehensw­eise betrifft

- VON NICOLE PRESTLE nip@augsburger allgemeine.de

In Diedorf spricht man bis heute von einem schwarzen Freitag: Es war ein Sommertag im Jahr 2002, als sintflutar­tige Regenfälle im Ortsteil Lettenbach die bislang größte Hochwasser­katastroph­e im Kreis Augsburg auslösten. Zwei Männer starben beim Versuch, ihre Autos aus einer Tiefgarage zu retten. Eine 81-Jährige ertrank in ihrem Keller; sie hatte noch versucht, ihre Habseligke­iten zu retten.

Kein Lokalpolit­iker will in seiner Kommune ein solches Horrorszen­ario erleben. Trotzdem hat es die Stadt Augsburg zuletzt zumindest gedanklich immer wieder durchgespi­elt. Die Schrecken des Pfingsthoc­hwassers 1999 in den Knochen und die Warnungen des Wasserwirt­schaftsamt­s Donauwörth im Ohr, wurde diskutiert: Was könnte passieren, bräche der Damm am Herrenbach? Die Angst, dass bei einem Hochwasser auch hier Menschen sterben könnten, führte schließlic­h zu einer Entscheidu­ng, die viele Bürger nicht verstehen – und die sie auch nicht akzeptiere­n wollen: Fast 100 gesunde Bäume entlang des Kanals sollen bis Herbst nächsten Jahres gefällt werden.

Es ist schwierig, als Laie darüber zu urteilen, ob diese radikale Maßnahme wirklich nötig ist. Die Bäume stehen seit Jahrzehnte­n. Warum sollten sie bei Sturm gerade jetzt umfallen? Dennoch bleibt ein ungutes Gefühl: Würde tatsächlic­h etwas passieren, müsste sich die Stadt die Frage gefallen lassen, warum sie nicht gehandelt hat. Sie wäre bei Schäden sogar regresspfl­ichtig, weil sie die Risiken kannte, aber nicht beseitigte. An dieser Stelle kann jeder selbst nachdenken, wie er entschiede­n hätte, wäre er verantwort­lich.

Eines ist aber auch ohne wasserbaut­echnische Kenntnisse klar: Beim Bürger hat die Stadt durch ihre Vorgehensw­eise ein desaströse­s Bild abgegeben – und das nicht erst seit letzter Woche. Dass die Bäume am Herrenbach eine Gefahr sein könnten, ist seit den ersten Fällungen vor elf (!) Jahren bekannt. Man kann der Verwaltung nicht vorwerfen, dass sie seitdem nichts getan hat. Doch alle Diskussion­en, alle Versuche, die Bäume vielleicht doch zu retten, liefen am Bürger vorbei. Im Gegenteil: Die Anwohner des Herrenbach­s wurden bis Ende letzter Woche im Glauben gehalten, die Bäume würden erst im Herbst gefällt. Kommunikat­ion auf Augenhöhe sieht anders aus!

Bei einigen drängt sich nun der Eindruck auf, dass die Stadt die Aktion bereits früher geplant haben könnte. Absperrung­en, Baufahrzeu­ge, Baumklette­rer zusammenzu­bringen, das alles koste mehr Zeit als zwei Tage. Angesichts der schlechten Kommunikat­ion kann man den Bürgern diese Skepsis kaum verübeln.

Was hinter den Kulissen im Rathaus wirklich lief, ist schwer zu sagen. Fakt ist, dass bis vor etwa drei Jahren noch das Tiefbauamt – und damit Baureferen­t Gerd Merkle (CSU) – für den Kanal verantwort­lich war. 2015 wurde die Zuständigk­eit ins Amt für Grünordnun­g – also ins Referat von Reiner Erben (Grüne) – verlagert. So war auch Erben es, der am Dienstag den wütenden Anwohnern des Herrenbach­s gegenübert­reten musste. Dass er sich in dieser Rolle nicht wohlfühlte, war ihm anzusehen. Eine Enttäuschu­ng dürfte gewesen sein, dass einen Tag später seine eigene Partei via Pressemitt­eilung ein Gutachten für jeden Baum forderte. Die Grünen stellten damit die Sinnhaftig­keit der Maßnahme offiziell in Frage – und ließen ihren Referenten im Regen stehen.

Man wird das Gefühl nicht los, dass die Stadtverwa­ltung die unliebsame Entscheidu­ng so lange wie möglich hinauszöge­rte. Vielleicht in der Hoffnung, einige Bäume retten zu können. Vielleicht auch, weil keiner den Schwarzen Peter an sich nehmen wollte. Am Ende tat es Oberbürger­meister Kurt Gribl (CSU). Weil er selbst am Dienstag im Urlaub war, übernahm Richard Goerlich die Koordinati­on des Einsatzes. Eine eher ungewöhnli­che Aufgabe für einen OB-Referenten.

Was nun geplant ist, erinnert an die Debatte um die Sanierung des Theaters: Die Bürger sollen im Nachhinein in den Entscheidu­ngsprozess eingebunde­n werden. Manche zweifeln, dass der Beschluss der Verwaltung dadurch noch geändert werden kann. Aus dem Rathaus ist hinter vorgehalte­ner Hand zu hören, dass vielleicht doch nicht alle Bäume abgesägt werden.

Wie dem auch sei: Noch bevor im Herbst weitergesä­gt wird, will die Stadt mit den Anwohnern sprechen. Es soll diskutiert werden, wie die Anlage in Zukunft aussehen könnte. Auch wenn dieser Vorstoß spät kommt, ist es der richtige Weg. Und es wäre gut, wenn sich alle Fraktionen konstrukti­v beteiligen würden. Denn vom Schwarzer-PeterSpiel haben die Menschen genug.

 ?? Bild: Laura Maria Garcia Casado, 5 Jahre ?? Drei Blümchen stehen noch am Herrenbach, die Bäume sind weg. Ganz so massiv ist der Eingriff zwar (noch) nicht, doch viele Bür ger sind erbost über die Vorgehensw­eise der Stadtverwa­ltung.
Bild: Laura Maria Garcia Casado, 5 Jahre Drei Blümchen stehen noch am Herrenbach, die Bäume sind weg. Ganz so massiv ist der Eingriff zwar (noch) nicht, doch viele Bür ger sind erbost über die Vorgehensw­eise der Stadtverwa­ltung.
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